Der Schild Achilles17 wird unter der Hand Vulkans: warum wird er? Natürlich, weil er werden soll! Achilles hat Waffen nöthig: Thetis flehet Vulkan darum an: er versprichts, steht auf, arbeitet – warum soll er nicht arbeiten? Im ganzen Homerischen Gedichte sind Götter wirksam: ihre Auftritte wechseln mit den Auftritten der Menschen ab: nun ist Nacht: die Handlung steht: Vulkan haben wir so lange nicht gesehen: seit dem er als hinkender Mundschenke der Götter erschien: Achilles hat seine Waffen mit Patroklus verlohren; nun gehe Thetis zum Vulkan, nun kann Vulkan schmieden: der Schild ist werdend. – Die ganze Scene gehört zur Handlung des Gedichts, zum Gange der Epopee, und ist keine Figur, die aus seinem Poem vorruffe, keine Besonderheit der Homerischen Manier. Im Werden, in der Schöpfung des Schildes liegt ja hier alle Kraft der Energie, der ganze Zweck des Dichters. Bei jeder Figur, die Vulkan aufgräbt, bewundere ich den schaffenden Gott, bei jeder Beschreibung der Maaße und der Fläche erkenne ich die Macht des Schildes, das dem Achilles wird, auf welches der in das Interesse der Handlung verflochtne Leser so sehnlich, als Thetis, wartet. –
Kurz: ich kenne keine Successionen in Homer, die als Kunstgriffe, als Kunstgriffe der Noth, eines Bildes, einer Schilderung wegen, da seyn sollten: sie sind das Wesen seines Gedichts, sie sind der Körper der Epischen Handlung. In jedem Zuge ihres Werdens muß Energie, der Zweck Homers liegen: mit jeder andern Hypothese von Kunstgriffen, von Einkleidungen, um das Coexsistente der Schilderung zu vermeiden, komme ich aus dem Tone Homers. Ich weiß, daß dieser Vorwurf groß sey, daß kein größers Hinderniß der Kraft eines Dichters gelegt werden könne, als nicht in seinem Tone zu lesen; allein deßwegen nehme ich meinen Vorwurf nicht zurück. Wer in dem Zusammensetzen des Wagens der Juno, und in der Geschichte des Bogens und des Zepters, und in dem Werden des Schildes, nichts als einen Kunstgrif bemerken will, um einem körperlichen Bilde zu entkommen: der weiß nicht, was Handlung des Gedichts sey, an dem hat Homer seine Energie verfehlet. Wenn Homer ein körperliches Bild braucht, so schildert ers, wenn es auch ein Thersites seyn sollte; er weiß von keinen Kunstgriffen, von keiner Poetischen List und Gefährde: Fortschreitung ist die Seele seines Epos.
1 p. 152. 154.
2 p. 178. 179.
3 p. 174. 175.
4 p. 154. 155.
5 p. 155.
6 p. 155.
7 p. 153.
8 p. 167.
9 Iliad. E.v. 722–731.
10 Laok. p. 163. 164.
11 Laok. p. 183. 184.
13 p. 166.
14 Laok. p. 180. 181.
15 Laok. p. 159–63.
16 Iliad. E.v. 722–731.
17 Iliad. ςʹ, 497
XVIII.
Nun aber ist Homer auch nicht der einzige Dichter: es gab bald nach ihm einen Tyrtäus, Anakreon, Pindarus, Aeschylus u.s.w. Sein επος, seine fortgehende Erzälung, verwandelte sich mehr und mehr in ein μελὸς in ein Gesangartiges, und drauf in ein ειδος, in ein Gemälde; Gattungen, die noch aber immer Poesie blieben. Ein Sänger, (μελοποιος) und ein Lyrischer Maler (ειδοποιος) Anakreon und Pindar, stehe also gegen den Geschichtsdichter (εποποιος) Homer.
Homer dichtet erzälend: »es geschah! es ward!« bei ihm kann also alles Handlung seyn, und muß zur Handlung eilen. Hierhin strebt die Energie seiner Muse: wunderbare, rührende Begebenheiten sind seine Welt: er hat das Schöpfungswort: »es ward!« Anakreon schwebt zwischen Gesang und Erzälung: seine Erzälung wird ein Liedchen, sein Liedchen ein επος des Liebesgottes. Er kann also seine Wendung: »es war!« oder »ich will!« oder »du sollst!« haben – gnug, wenn sein μελος von Lust und Freude schallet: eine frohe Empfindung ist die Energie, die Muse jedes seiner Gesänge.
Pindar hat ein großes Lyrisches Gemälde, ein Labyrinthisches Odengebäude im Sinne, das eben durch anscheinende Ausschweifungen, durch Nebenfiguren in mancherlei Licht ein Energisches Ganzes werden: wo kein Theil für sich, wo jeder auf das Ganze geordnet, erscheinen soll: ein ειδος: ein Poetisches Gemälde, bei dem überall schon der Künstler, nicht die Kunst, sichtbar ist. »Ich singe!«
Wo mag nun Vergleichung Statt finden? Das Idealganze Homers, Anakreons, Pindars, wie verschieden! wie ungleich das Werk, worauf sie arbeiten! Der eine will nichts, als dichten: er erzälet: er bezaubert; das Ganze der Begebenheit ist sein Werk: er ist ein Dichter voriger Zeiten. Der andre will nicht sprechen; aus ihm singet die Freude; der Ausdruck einer lieblichen Empfindung ist sein Ganzes. Der dritte spricht selbst, damit man ihn höre: das Ganze seiner Ode ist ein Gebäude mit Symmetrie und hoher Kunst. – Kann jeder seinen Zweck auf seine Art erreichen: mir sein Ganzes vollkommen darstellen; mich in dieser Anschauung täuschen – was will ich mehr?
Es ist eine längst angenommene, und an sich unschuldige Hypothese, das Ganze jeder Gedichtart, als eine Art von Gemälde, von Gebäude, von Kunstwerke zu betrachten, wo alle Theile zu ihrem Hauptzwecke, dem Ganzen mitwirken sollen. Bei allen ist der Hauptzweck Poetische Täuschung; bei allen aber auf verschiedne Art. Die hohe wunderbare Illusion, zu der mich die Epopee bezaubert, ist nicht die kleine süße Empfindung, mit der mich das Anakreontische Lied beseelen will; noch der Tragische Affekt, in den mich ein Trauerspiel versetzet – indessen arbeitet jedes auf seine Täuschung, nach seiner Art, mit seinen Mitteln, etwas im vollkommensten Grade anschauend vorzustellen; es sey nun dies Etwas Epische Handlung, oder Tragische Handlung, oder eine einige Anakreontische Empfindung, oder ein vollendetes Ganze Pindarischer Bilder, oder – alles muß indessen innerhalb seiner Gränzen, aus seinen Mitteln und seinem Zwecke beurtheilt werden.
Keine Pindarische Ode also als eine Epopee, der das Fortschreitende fehle: kein Lied als ein Bild, dem der Umriß mangele: kein Lehrgedicht als eine Fabel, und kein Fabelgedicht, als beschreibende Poesie. Sobald wir nicht um ein Wort »Poesie, Poem« streiten wollen; so hat jede eingeführte Gedichtart ihr eignes Ideal – eine ein höheres, schwereres, größeres, als eine andre; jede aber ihr eigenes. Aus einer muß ich nicht auf die andre, oder gar auf die ganze Dichtkunst Gesetze bringen.
Wenn also »Homer nichts als fortschreitende Handlungen malet, und für jeden Körper, für jedes einzelnes Ding nur