Homers Sprache sei so vortreflich, als sie seyn kann, – jedes Wort liefre ein Bild – ohne alle Suspension der Beziehungen – so schnell fortschreitend, als Diane in ihrem Gange;14 soll dies schnelle Fortschreitende da seyn, um gleichsam das Hinderniß des Raums zu mindern, zu vernichten, um dadurch den täuschenden Anblick eines räumlichen Gegenstandes, eines Körpers im Raume zu erwecken – dies kann keine Rede. Dazu wohl kaum wird Homer seiner schreitenden Manier so treu geblieben seyn: dazu eben nicht für jedes Ding nur Einen Zug gehabt; dazu am wenigsten das Consekutive Werden gewählt haben: »um die Theile seines Gegenstandes mit dem Flusse der Rede einerley Schritt halten zu lassen.« Dies kann keine Rede: noch minder wills die Rede des Dichters: am mindsten wollte es der Erste der Dichter. Seine ganze Manier zeigt, daß er nicht fortschreite, um uns es sei, wovon es sei, ein Bild des Ganzen durch Succession zu geben, sondern er schreitet durch die Theile, weil ihm an dem Bilde des Ganzen ganz und gar nicht lag.
Ich wollte um alles nicht, Hrn. L. einen falschen Sinn angedichtet zu haben: in der Sache selbst mit ihm eins, machen mich nur in dem Grunde der Sache seine Schlüsse und Verbindungen verlegen. Dünkt jemand dieser Unterschied unbeträchtlich – so liegt mir nichts daran; andern wird er beträchtlich scheinen.
Homer ist immer fortschreitend in Handlungen, weil er damit fortschreiten muß, weil alle diese Theilhandlungen Stücke seiner ganzen Handlung sind, weil er ein Epischer Dichter ist. Ich brauche also den Wagen der Juno, und den Zepter des Agamemnon, und den Bogen des Pandarus nicht weiter kennen zu lernen, als sie in die Handlung mit eingeflochten, mitwirken sollen auf meine Seele. Darum also höre ich die Geschichte des Bogens, nicht damit mir diese statt Gemälde sey; sondern um einen Begrif von seiner Stärke, von der Macht seiner Arme, mithin von der Kraft seiner Sehne, seines Pfeils, seines Schusses zum Voraus in mich zu pflanzen. Wenn nun Pandarus den Bogen vornimmt, die Sehne anlegt, den Pfeil ansetzt – abdrückt! – wehe dem Menelaus, den der Pfeil eines solchen Bogens trift, wir kennen seine Stärke. Hr. L. kann also nicht sagen, es sey Homeren mit seiner Geschichte des Bogens, um sein Bild, und blos um sein Bild zu thun gewesen. Um nichts minder, als hierum: die Stärke, die Kraft des Bogens war seine Sache: sie, und nicht die Gestalt des Bogens, gehört zum Gedichte: sie, und keine andre Eigenschaft, soll hier energisch mitwirken, daß wir, wenn nachher Pandarus abdrückt, wenn nachher die Senne schwirrt, der Pfeil trift – um so mehr den Pfeil empfinden. Dieser Energie zufolge, die in einem Gedichte das Hauptwerk ist, erlaubt sich Homer, aus der Schlacht auf die Jagd zu spatzieren, und die Geschichte des Bogens zu dichten: denn ich sehe keine andre Art, diesen Begrif in aller Stärke, als durch Geschichte. Durch ein Bild können wir eigentlich nur Gestalt lernen: aus der Gestalt müssen wir Größe, aus dieser Stärke erst schließen; durch eine Geschichte lernen wir diese unmittelbar – und wenn es dem energischen Künstler, dem Dichter, blos um diese Stärke zu thun ist, was soll er sich andre Arbeiten aufbürden? Der Maler male Bild, Gestalt; er aber wirke Stärke, Energie. – Die wirkt auch Homer von Anfange zu Ende der Beschreibung; nur freilich nicht, wenn ich ihn in der Umkleidung lese, die Hr. L. mit dem Schusse Pandarus macht; aus ihr ist blos ein successives, nicht aber (der Hauptzweck des Dichters!) ein energisches Bild zu hören: wobei wir nicht durch successive Töne Malerisch, sondern in jedem Tone energisch getäuscht werden, daß wir zusammen fahren sollen, wenn endlich ein solcher Bogen trift.
Ein gleiches gilt vom Zepter Agamemnons: ich betrachte die Geschichte desselben gar nicht »als einen Kunstgriff, uns bei einem einzelnen Dinge verweilen zu machen, ohne sich in die frostige Beschreibung seiner Theile einzulassen.«15 Sein Zepter ist ein uraltes, Königliches, Göttliches Zepter! Der Begrif soll wirken; um alle andre Kunstgriffe und Allegorien bleibe ich unbekümmert.
Der Wagen der Juno wird beschrieben:16 warum? natürlich, weil ich ohne den Dichter, diesen Wagen nicht gesehen, weil ich ihn erst kennen lernen muß, um einen himmlischen Wagen zu kennen. Warum wird er zusammengesetzt? Natürlich, weil wir einen himmlischen Wagen nie so gut kennen lernen, als wenn er erst in seinen Theilen da liegt, und zusammen gesetzt wird. Um also die Vortreflichkeit dieses Götterwagens, um den innern Werth aller seiner Theile, um seinen künstlichen Bau zu schildern, wird er zusammen gesetzt, nicht aber, um diese Theile successiv zu sammlen, da man sie coexsistent nicht sehen kann. Das Zusammensetzen ist hier kein Kunstgrif; kein, quid pro quo, um uns so das Ganze zu geben: den ganzen Anblick zu sammlen, ist kein Zweck des Dichters; im Zusammensetzen selbst liegt die Energie der Rede; nichts mehr. Bei jedem