23 Iliad. Π. v. 586.
24 Laok. p. 4–9.
25 Laok. p. 9.
26 Daß Homers Helden nicht bei andrer Gelegenheit das Schreien, ein tapfres Riesenmäßiges Geschrei, eigen gewesen, leugne ich nicht; wo gehört das aber hieher?
27 Hr. Klotz hat, wie Er Homer kennet, Leßingen hieß nachschreiben dörfen: clamor et eiulatus ex Graecorum opinione nihil detraxit magnitudini animi. Homeri heroes clamantes cadunt. Sunt quidem illi heroes Homeri natura mortali maiores, sed numquam tamen etc. Act. litter. Vol. III. p. 286.
III.
Die Empfindbarkeit der Griechen zu sanften Thränen, ist zu sehr bekannt in Aeußerungen, als daß man, wie Herr Leßing ein einzelnes Beispiel, und dazu aus einer bloßen Vermuthung1 nehmen dörfte, die hier vielleicht nicht beweiset, was sie beweisen soll. Griechen und Trojaner sammlen ihre Todten. Beide vergießen heiße Thränen; aber den Trojanern verbietet dieß Priamus. Warum verbietet ers ihnen? Er besorgt, sagt die Dacier, sie würden sich zu sehr erweichen, und morgen mit wenigerm Muth an den Streit gehen. »Warum aber, fragt Herr Leßing, muß nur Priamus dieses besorgen? Der Sinn des Dichters geht tiefer. Er will uns lehren, daß nur der gesittete Grieche zugleich weinen und tapfer seyn könne; indem der ungesittete Trojaner, um es zu seyn, alle Menschlichkeit vorher ersticken müsse.« Zu hart für die armen Trojaner! Kann Priamus nicht ihren Thränen Einhalt thun wollen, nicht aus ungesitteter Barbarei, sondern weil die Thränen der Trojaner, seiner Kinder, fressender waren, als die Thränen der Griechen. Diese waren Angreifende, und stritten um der Ehre wegen; ihnen wards also leichter, neuen Muth zu fassen, und Agamemnon brauchte deßwegen keine Besorgniß. Die Trojaner aber litten: sie waren Angefallene, die nicht der Ehre so wohl als der Sicherheit, ihres Lebens wegen stritten,2 die sich in Bedrängniß fühlten, und halb in Verzweiflung, eines Räubers wegen, ihre Kinder und Männer verlieren, eines Räubers wegen die Ihrigen begraben mußten. Hier empörten sich die Empfindungen der Bedrängten, hier flossen heiße Thränen der murrenden Unschuld. Und Priamus ließ sie nicht weinen! Warum? weil er ein ungesitteter Barbar war, und seine Trojaner als solche kannte, die nicht zugleich weinen und streiten könnten? Wie wenn er sie zurückgehalten hätte, als ein Vater seiner unglücklichen Stadt, und seines unglückbringenden Sohns? damit sie nicht in einem Schicksale, das ihm selbst so zu Herzen gieng, gar murren oder verzweifeln möchten? – Doch wenn das auch nicht: noch sind die Trojaner keine Lappländer, keine Scythen: denn sie weinen ja um die Ihrigen, und Priamus befürchtet eben ein zu weiches Herz, zu tief einfressende Thränen. Gerade also das Gegentheil! – Doch aus solchen Deutungen kann man immer machen, was man will, und eine bloße Allegorie; »der Sinn des Dichters geht tiefer,« kann uns endlich so tief führen, daß der Boden sinkt.
Die ganze Dichtkunst der Griechen hat zu viel Spuren dieser Empfindbarkeit ihrer Nation zu Schmerz und Thränen, als daß man bloß muthmaßen dörfte, und sie ist einem großen Theile nach gleichsam ein ganzer lebender Abdruck dieses Gefühls, dieser weichen Seele. Lasset uns diesen Theil die elegische Poesie nennen; aber niemand verstehe hier unter diesem Namen jenen hinkenden Affen, der sich nach unsern weisen Lehrbüchern der Poesie bloß im Sylbenmaas unterscheiden soll: sondern Elegie sei mir hier die klagende Dichtkunst, die versus querimoniae nach Horaz, sie mögen sich finden, wo sie wollen, in Epopee und Ode, in Trauerspiel, oder Idylle; denn jede dieser Gattungen kann Elegisch werden. In solchem Verstande hat die Elegie ein eignes Gebiet in der Menschlichen Seele, nämlich die Empfindbarkeit des Schmerzes und der Betrübniß: man kann also aus ihr über Völker und Zeiten hinaus sehen, und hier wird sich durch Vergleichungen auch die den Griechen eigne Stelle finden. Ich stecke einige Gesichtspunkte ab.
1. Nicht jedes Volk hat für milde Betrübnisse ein gleich zartes Herz; bei manchem haben selbst die Klagen eine rohe Vestigkeit, ein Heldenmäßiges Brausen, in welches sie verschlungen werden, und ein solches wird, bei sonst großen Dichtern, mit der Sprache dieser weichen Thränen sehr unbekannt seyn können. So die nordischen Skandinavier, die auch bei Trauerfällen vom Heroismus gestält, kaum kurze Seufzer ausstießen und – schwiegen; wenn sie sangen, so war ihr Gesang kaum die milde Elegische Thräne.
Der König Regner Lodbrog stirbt3: er stirbt unter den entsetzlichsten Schmerzen. Stirbt er in Elegien? Läßt er der gequälten sterbenden Menschheit, dem von seinen Söhnen entfernten brechenden Vaterherze sein Recht wiederfahren? Eine einzige weiche Thräne hätte den Nachfolger Odins entweihet. Er stirbt im Triumphsliede, im Andenken an seine Thaten, voll Heldenfreude, voll Rache, voll Muth, voll himmlischer Hoffnung. »Wir haben mit Säbelstreichen gefochten, so endet sein Gesang, o wüßten meine Söhne die Plagen, die ich erdulde; wüßten sie, daß giftige Nattern mir den Busen zerfleischen – wie heftig würden sie sich nach grausamen Schlachten sehnen! Denn die Mutter, die ich ihnen gab, hat ihnen ein männliches Herz hinterlassen.
Wir haben mit Säbelstreichen gefochten; doch jetzt – nahet sich mein letzter Augenblick. Bald wird das Schwert meiner Söhne ins Blut des Ella getaucht seyn: ihr Zorn wird entflammen, und diese muthige Jugend die Ruhe nicht weiter dulden.
Wir haben mit Säbelstreichen gefochten in ein und funfzig Schlachten, wo die Fahnen flogen. Von meiner Jugend an lernte ich, die Spitzen der Lanzen mit Blute färben, und nie hätte ich einen tapferern König, als ich bin, zu finden geglaubt. – Aber es ist Zeit, aufzuhören: Odin sendet schon die Göttinnen mich in seinen Pallast zu führen. Da werde ich auf dem erhabensten Platze sitzend Bier mit den Göttern trinken. Die Stunden meines Lebens sind verflossen, ich sterbe lächelnd! –« Das beste Beispiel zu Herrn Leßings Bemerkung über den harten nordischen Heldenmuth.
Ein anderes aus einer der besten kritischen Schriften4 unsrer Zeit. Aßbiørn Prude, der heldenmüthige Däne, in den Händen seines Feindes, der mit langsamer Wuth in seinen Eingeweiden wühlet – wehklaget er, seufzet er? Er denkt an seine Mutter, an alle Freuden seiner Jugend, und seines männlichen Alters; er fühlt seine ganze Pein, aber als Held: so stirbt er. – So stirbt der Eskimaux5 an seinem Marterpfal. Freund, und Vaterland, Kinder und Mutter, alles, was ihm auf seiner Welt das liebste ist, ruffet er in seinem Sterbegesange; aber, um über sie zu weinen, um den Zoll der Menschlichkeit zu entrichten? Eine einzige weiche Thräne würde den Helden, sein ganzes Geschlecht, und seinen Freund und sein Vaterland entehren. Kein Ach also entwischt ihm, selbst unter den grausamsten Schmerzen: gesenget und gebrannt singt er seinen Martergesang. Er wird zum desto langsamern Tode losgebunden, und – raucht mit Scherz und Spott seine Pfeife Tobak mit andern: die Martern fangen wieder an; er spottet, schweigt, wird ihr Lehrer in neuen Qualen, singt und stirbt im Triumphe. So der Eskimaux!
Wo also das Herz eines Volkes Kieselstein ist: da schlägt der heftigste Schmerz, er treffe nun Leib oder Seele, nichts als heroische Funken; denn woher sollte dem Kieselstein eine zarte Elegische Thräne kommen? Der Heldennmth, die Liebe zum Vaterlande, und zum Ruhme seines Stammes, das heroische Bündniß mit seinem Freunde, der sein Rachengel seyn soll: die ganze Bildung einer rohen und starken Natur zum unerschütterten Nachfolger Odins und anderer thränenlosen Helden, die ihrem Volk, ihrer Republick, eben den Geist der Tapferkeit einflößen – dieß alles betäubte Menschlichkeit und Gefühl und Thränen.
2. Nun laßt diesen Heldenmuth,