Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johann Gottfried Herder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066398903
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Iliad. X.v. 330.

      III.

       Inhaltsverzeichnis

      Die ganze Dichtkunst der Griechen hat zu viel Spuren dieser Empfindbarkeit ihrer Nation zu Schmerz und Thränen, als daß man bloß muthmaßen dörfte, und sie ist einem großen Theile nach gleichsam ein ganzer lebender Abdruck dieses Gefühls, dieser weichen Seele. Lasset uns diesen Theil die elegische Poesie nennen; aber niemand verstehe hier unter diesem Namen jenen hinkenden Affen, der sich nach unsern weisen Lehrbüchern der Poesie bloß im Sylbenmaas unterscheiden soll: sondern Elegie sei mir hier die klagende Dichtkunst, die versus querimoniae nach Horaz, sie mögen sich finden, wo sie wollen, in Epopee und Ode, in Trauerspiel, oder Idylle; denn jede dieser Gattungen kann Elegisch werden. In solchem Verstande hat die Elegie ein eignes Gebiet in der Menschlichen Seele, nämlich die Empfindbarkeit des Schmerzes und der Betrübniß: man kann also aus ihr über Völker und Zeiten hinaus sehen, und hier wird sich durch Vergleichungen auch die den Griechen eigne Stelle finden. Ich stecke einige Gesichtspunkte ab.

      1. Nicht jedes Volk hat für milde Betrübnisse ein gleich zartes Herz; bei manchem haben selbst die Klagen eine rohe Vestigkeit, ein Heldenmäßiges Brausen, in welches sie verschlungen werden, und ein solches wird, bei sonst großen Dichtern, mit der Sprache dieser weichen Thränen sehr unbekannt seyn können. So die nordischen Skandinavier, die auch bei Trauerfällen vom Heroismus gestält, kaum kurze Seufzer ausstießen und – schwiegen; wenn sie sangen, so war ihr Gesang kaum die milde Elegische Thräne.

      Wir haben mit Säbelstreichen gefochten; doch jetzt – nahet sich mein letzter Augenblick. Bald wird das Schwert meiner Söhne ins Blut des Ella getaucht seyn: ihr Zorn wird entflammen, und diese muthige Jugend die Ruhe nicht weiter dulden.

      Wir haben mit Säbelstreichen gefochten in ein und funfzig Schlachten, wo die Fahnen flogen. Von meiner Jugend an lernte ich, die Spitzen der Lanzen mit Blute färben, und nie hätte ich einen tapferern König, als ich bin, zu finden geglaubt. – Aber es ist Zeit, aufzuhören: Odin sendet schon die Göttinnen mich in seinen Pallast zu führen. Da werde ich auf dem erhabensten Platze sitzend Bier mit den Göttern trinken. Die Stunden meines Lebens sind verflossen, ich sterbe lächelnd! –« Das beste Beispiel zu Herrn Leßings Bemerkung über den harten nordischen Heldenmuth.

      Wo also das Herz eines Volkes Kieselstein ist: da schlägt der heftigste Schmerz, er treffe nun Leib oder Seele, nichts als heroische Funken; denn woher sollte dem Kieselstein eine zarte Elegische Thräne kommen? Der Heldennmth, die Liebe zum Vaterlande, und zum Ruhme seines Stammes, das heroische Bündniß mit seinem Freunde, der sein Rachengel seyn soll: die ganze Bildung einer rohen und starken Natur zum unerschütterten Nachfolger Odins und anderer thränenlosen Helden, die ihrem Volk, ihrer Republick, eben den Geist der Tapferkeit einflößen – dieß alles betäubte Menschlichkeit und Gefühl und Thränen.

      2. Nun laßt diesen Heldenmuth,