I.
Der Laokoon des Herrn Leßings, ein Werk, an welchem die drei Huldgöttinnen unter den menschlichen Wissenschaften, die Muse der Philosophie, der Poesie, und der Kunst des Schönen, geschäftig gewesen, ist in unsrer jetzigen kritischen Pestilenz in Deutschland, für mich eine der angenehmen Erscheinungen gewesen, um welche Demokritus die Götter bat, als um die Seligkeit seines Lebens. Ich würde dasselbe auch sehr wohlfeil mit der Bildsäule vergleichen können, von der es den Namen hat, wenn nicht die Mine des Vollendeten, des Schriftstellerischen εποιησε eben die wäre, die dieser Laokoon am wenigsten annehmen will. Es mag also diese Sprache durch Kunstvergleichungen immer unsern Schönheitskünstlern des Styls bleiben: ich will den Laokoon als eine Sammlung von Materialien, als einen Zusammenschuß von Collektaneen betrachten – auch als solcher allein, verdient er Betrachtung gnug.
Die Kunstrichter unsrer Zeit, eine Heerde der kleinen Geschöpfe, die Apollo Smintheus jetzt scheint auf unser liebes Vaterland gebannet zu haben, um auch die wenigen Blumen- und Fruchtreichen Auen zu verwüsten, die noch hie und da als Ländereien des Genies übrig geblieben – diese Boten Apollo haben meistens Laokoon nicht besser zu loben gewußt, als auf Winkelmanns Kosten; denn welch ein Lob fließt von den Lippen großer Leute wohl glatter herunter, als das auf Kosten eines Dritten? Leßing soll Winkelmannen so viel unverzeihliche Fehler gezeigt, ihn philosophiren gelehrt, ihn die Grenzen und das Wesen der Kunst gewiesen, und insonderheit in seinen Schriften das aufgedeckt haben, daß seine Kenntniß der Alten ein schwankender Grund sey. Wäre das nicht viel? Einem Winkelmann, ihm, der sich so ganz nach den Alten gebildet, der in Griechenland lebet und webet, der in den Alten Kunstkenntniß, bis zum Erstaunen, zeiget, dem Homer, wie er selbst schreibet, täglich sein andächtiges Morgengebet gewesen, – diesem Mann zeigen, daß er Homer nicht gelesen, daß er die Griechen nicht kenne: warum? weil sie Leßing kennet, weil Leßing Homer gelesen! Noch ärger, daß Winkelmann kein Philosoph seyn soll, weil er nicht auf Leßings Art philosophirt, sondern lieber in der Akademie alter Griechischen Weisen, und insonderheit am heiligen Ilyßus wandelt. Und denn am ärgsten, Winkelmannen das Wesen der Kunst lehren – o der unseligen Richter, die taub und blödsinnig, wie Claudius, über die größesten Schriftsteller unsrer Zeit, nicht anders als im Schlafe, nicht anders als über Schüler urtheilen, bei denen Examen zu halten sey, über das, was sie wissen, und nicht wissen, zeigen und nicht zeigen, insonderheit, was ihnen gegen diesen und jenen fehle?1 – –
Auch Leßing wiederum hat, wie billig und recht ist, erleuchteten Kunstrichtern zum Vorwurf dienen müssen, die Schärfe ihrer Augen dem Publikum zu zeigen. Wenn der eine ihn zum größten Antiquar unsrer Zeiten, zum ersten Lehrer der Kunst machte: so war er dem andern, ach leider! ein witziger Kopf, und einem dritten, einem frommen kritischen Christen,2 ein Schulphilosoph, ein Aesthetiker aus Baumgartens Schule, der nach der Sprache unsrer neuen Schöndenker, mit ein paar Unzen Baumgartenscher Philosophie den Weltweisen aller Zeiten trotzen wolle. O! mit verstopftem Ohr durch diese Chöre quäckender Frösche hindurch, wie Ulysses durch den Gesang der Syrenen!
Für mich hat Laokoon an sich selbst Schönheit gnug, als daß er blos durch den Kontrast mit einem andern gewinnen dörfte. Vor und hinter demselben, was L. gegen W. habe, sind entweder nichts als Parerga, für die beide sie ansehen werden, oder wenigstens trifft nichts auf Winkelmanns Hauptzweck, die Kunst; und Laokoon also, als Abhandlung über die Gränzen der Poesie und Malerei, hat Werth und Vortreflichkeit; aber ihn als Streitschrift, als Prüfung der ganzen Winkelmannischen Werke betrachten zu wollen, ist meines Erachtens der falscheste Gesichtspunkt, und der Genius eines Leßings und Winkelmanns sind auch zu verschieden, als daß ichs von mir erlangen könnte, sie gegen einander abzumessen.
Wo Leßing in seinem Laokoon am vortreflichsten schreibt, spricht – der Kritikus: der Kunstrichter des Poetischen Geschmacks: der Dichter. Wie Sophokles Philoktet leide, und die Helden Homers weinen, und Virgils Laokoon den Mund öfnen, und körperliche Schmerzen auf dem Theater winseln dörfen – wie Virgil, Petron und Sadolet den Laokoon bilden, und der Dichter den Künstler, und der Künstler den Dichter nachahmen könne – wer spricht hier überall, als der Kunstrichter des Poeten? Dieser ists, der dem Philoktet des Chateaubrun einen Streich giebt, der Spence'n und Caylus ihre Fehler zeiget, der Homers Poetische Wesen claßificirt, und Poetische von der Malerischen Schönheit unterscheidet – überall der Kunstrichter des Dichters: das ist sein Geschäft. Und sein Zweck derselbe. Dem falschen Poetischen Geschmack entgegen zu reden, die Grenzen zwoer Künste zu bestimmen, damit die eine der andern nicht vorgreifen, vorarbeiten, zu nahe treten wolle: das ist sein Zweck. Was er auf diesem Wege von dem Innern der Kunst findet, freilich nimmt ers auf; aber mir noch immer Leßing, der Poetische Kunstrichter, der sich selbst Dichter fühlt.
Winkelmann aber, ein Lehrer Griechischer Kunst, der selbst in seiner Kunstgeschichte mehr darauf bedacht ist, eine Historische Metaphysik des Schönen aus den Alten, absonderlich Griechen, zu liefern, als selbst auf eigentliche Geschichte. Und also auf eine Critik des Kunstgeschmack noch uneigentlicher. Um den falschen Geschmack andrer Zeiten und Völker ist ihm nie als um Hauptzweck zu thun; den züchtigt er blos, wenn er neben oder unmittelbar vor den Alten ihm zu Gesicht kommt: denn sonst, wie oft hätte er nach seiner vornehmen Griechischen Idee züchtigen, und seine Hand in Nebenstreichen ermüden müssen! Und schreibt er also nicht als Critikus des Kunstgeschmacks; wie weit entfernter vom Kunstrichter der Poesie? Als Künstler las er die Dichter, als Kunstlehrer brauchet er sie, und würde nicht so haben schreiben können, wenn er auch selbst die Dichter anders, und nicht als Künstler gelesen. Er, dem wie jenem Griechischen Künstler, die Schönheit selbst, (aber die Kunstschönheit) erschienen war; bezaubert von ihr, suchte er ihre Gestalt also mit Feuer in seinen Geist gemalt, brennend in seinem Auge, und sich in seinem Herzen regend – diese Gestalt der Kunstschönheit, dieß Bild der Liebe, suchte er allenthalben, wollte sie auch im bloßen Abglanz sehen, vermuthete sie selbst, wie Kleists Amynt seine geliebte Lalage, auch in Fußtritten, auch im Bilde des Wassers, auch im Hauche des Zephyrs, der freilich von einer andern Lalage, (der Schönheit des Dichters) kommen konnte. Im Gefühl also dieser bildenden und nicht dichtenden Schönheit stand er auch vor Virgils Laokoon, wie vor dem Laokoon des Polydorus, und so muß er gelesen werden: denn das sind Schranken der Menschlichen Natur, auf Einmal nur Eines sehen zu können, was man will, und wie man will – Dieß eine war bei Winkelmann die Kunst. Soll ich ihm also Kenntniß der Alten absprechen, weil er Homer nicht als Dichter, sondern als Künstler, nicht also des Poetischen Wesens seiner Muse wegen, nicht wie Leßing gelesen? Soll ich ihm einen Seitenblick, den er auf die Poesie wirft, um seine Kunst zu erläutern, und gesetzt dieser Seitenblick träfe auch nicht