Winkelmanns Styl ist wie ein Kunstwerk der Alten. Gebildet in allen Theilen, tritt jeder Gedanke hervor, und stehet da, edel, einfältig, erhaben, vollendet: er ist. Geworden sey er, wo oder wie er wolle, mit Mühe oder von selbst, in einem Griechen, oder in Winkelmann; genug, daß er durch diesen auf einmal, wie eine Minerva aus Jupiters Haupt dastehet und ist. Wie also an dem Ufer eines Gedankenmeeres, wo auf der Höhe desselben der Blick sich in den Wolken verliert: so stehe ich an seinen Schriften, und überschaue. Ein Feld voll Kriegsmänner, die weit und breit zusammen geworben, die Aussicht erst lange ins Große führen; wenn aber endlich aus dieser Weite das Auge erhabner zurück kommt: so wird es sich an jeden einzelnen Kriegsmann heften, und fragen, woher? und betrachten, wer er sey? und alsdenn von vielen den Lebenslauf eines Helden erfahren können.
Leßings Schreibart ist der Styl eines Poeten, d.i. eines Schriftstellers, nicht der gemacht hat, sondern der da machet, nicht der gedacht haben will, sondern uns vordenket, wir sehen sein Werk werdend, wie das Schild Achilles bei Homer. Er scheint uns die Veranlassung jeder Reflexion gleichsam vor Augen zu führen. Stückweise zu zerlegen, zusammen zu setzen; nun springt die Triebfeder, das Rad läuft, ein Gedanke, ein Schluß giebt den andern, der Folgesatz kommt näher, da ist das Produkt der Betrachtung. Jeder Abschnitt ein Ausgedachtes das τεταγμενον eines vollendeten Gedanken: sein Buch ein fortlaufendes Poem, mit Einsprüngen und Episoden, aber immer unstät, immer in Arbeit, im Fortschritt, im Werden. Sogar bis auf einzelne Bilder, Schilderungen und Verzierungen des Styls, erstrecket sich dieser Unterschied zwischen beiden, Winkelmann der Künstler, der gebildet hat, Leßing der schaffende Poet. Jener ein erhabner Lehrer der Kunst; dieser selbst in der Philosophie seiner Schriften ein muntrer Gesellschafter; sein Buch ein unterhaltender Dialog für unsern Geist.
So dörften beide seyn: und wie unterschieden! wie vortreflich bei dem Unterschiede! Weg also mit der Brille, durch die man von einem zum andern spielen will, um durch Kontrast zu loben! Wer L. und W. nicht lesen kann, wie jeder derselben ist, der soll keinen von beiden, der soll sich selbst lesen! – –
1 Ich führe aus diesen hohen Urtheilen über Winkelmann nur Eins an: Klotz. acta litter. vol. III. p. 319. lassen sich bei Gelegenheit des Laokoon also vernehmen: Reddiderunt forte virum doctum nimiae laudes securiorem, quibus prima illius opuscula, multo meliora eo, quod de allegoria compilauit, extulerunt quidam, quibus si me quoque accensueris, nec miror, nec indignor. Vtinam ne exemplo Winkelmannus suo aliquando doceat, saepe nocere auctorum famae et ingeniis praeconum et amicorum voces, plausus et laudes, minuere diligentiam,addere fastum et fiduciam! Es sei denn, daß Herr Klotz dieses aus eigner Erfahrung sage, weiß ich nicht, ob die einzelnen Urtheile, die Herr Klotz über Winkelmann zu fällen, und die manchen Verbesserungen, die er ihm anzudrehen beliebet hat, eben Ihn berechtigen, ein so entscheidendes Haupturtheil über Winkelmann zu fällen, ohne Beweise.
2 Auch hier führe ich nur einen Zeugen an: Huch über die Satyre Archilochus; und kann zu jedem angeführten Zuge einen anführen, wenn es der Mühe werth wäre.
II.
W. schildert seinen Laokoon,1 mit dem Gefühl, als hätte er ihn selbst geschaffen: »Der Schmerz, welcher sich in allen Muskeln und Sehnen des Körpers entdecket, und den man ganz allein, ohne das Gesicht und andre Theile zu betrachten, an dem schmerzlich eingezognen Unterleibe beinahe selbst zu empfinden glaubt; dieser Schmerz, sage ich, äußert sich dennoch mit keiner Wuth in dem Gesichte und in der ganzen Stellung. Er erhebt kein schreckliches Geschrei, wie Virgil von seinem Laokoon singet; die Oeffnung des Mundes gestattet es nicht: es ist vielmehr ein ängstliches und beklemmtes Seufzen, wie es Sadolet beschreibt. Der Schmerz des Körpers und die Größe der Seele sind durch den ganzen Bau der Figur mit gleicher Stärke ausgetheilet und gleichsam abgewogen. Laokoon leidet, aber er leidet, wie des Sophokles Philoktetes: sein Elend gehet uns bis an die Seele; aber wir wünschten, wie dieser große Mann, das Elend ertragen zu können.«
»Laokoon leidet, wie des Sophokles Philoktet.« Von dieser Vergleichung gehet Hr. Leßing2 aus, und will, daß es keine Vergleichung sey: daß Sophokles Philoktet nicht blos ängstlich und beklemmt seufze, sondern klage, schreie, mit wilden Verwünschungen; das öde Eiland schrecklich anfülle, und auch das Theater von Tönen des Unmuths, des Jammers, der Verzweiflung durchhallen lasse. Winkelmann muß also zuerst wohl nicht recht gelesen haben, und zweitens also übel vergleichen, übel folgern.
Der Philoktet Sophokles mag entscheiden – wie leidet dieser? Es ist sonderbar, daß der Eindruck, den dieses Stück bei mir von lange her zurück gelassen, derselbe ist, den W. will: nämlich der Eindruck eines Helden, der mitten im Schmerz seinen Schmerz bekämpft, ihn mit holem Seufzen zurückhält, so lange, als er kann, und endlich, da ihn das Ach! das entsetzliche Weh! übermannet, noch immer nur einzelne, nur verstolne Töne des Jammers ausstößt, und das übrige in seine große Seele verbirgt. Lasset uns Sophokles aufschlagen, lasset uns lesen, als ob wir sähen, und ich glaube, wir werden den nämlichen Philoktet gewahr werden, den Sophokles schuf, und Winkelmann anführt, wie er geschaffen ist.
Mit Anfange des dritten Aufzuges überraschet ihn der Schmerz; aber mit brüllendem Geschrei? Nein: mit einem plötzlichen Stillschweigen, mit einer stummen Bestürzung, und da diese sich endlich lösen, mit einem holen verzognen ἆ ἆ ἆ, das sich auch kaum vom Neoptolem will hören lassen.3 Was ist dir? fährt dieser auf. »Nichts böses, gehe nur, mein Sohn;« antwortet Philoktet, und wie anders, als mit einem Gesicht voll Liebe, voll zurückhaltendes Heldenmuthe. So geht die Scene des stummen Schmerzes fort: der bekümmerte, der unruhige, der fragende Neoptolem, und Philoktet, der – nicht brüllet und tobet, der seinen Schmerz beklemmt, ihn eine große Zeit selbst dem Neoptolem verbergen will, und nur immer zwischen inne mit einem bangen ιω ϑεοι den Göttern klaget. Und eben diese stumme Scene des Schmerzes, von welcher, Wirkung muß sie auf den Zuschauer gewesen seyn? Er sieht Philoktet leiden, stumm, nur in einer verzognen Geberde, nur mit einem beklemmten Ach! leiden; und wer fühlt dieß beklemmte Ach! nicht mehr, als das brüllende Geschrei eines Mars, der in der Schlacht verwundet, wie zehn tausend Mann, oder warum nicht lieber, wie zehn tausend Ochsen? aufbrüllet? Hier erschrickt, dort fühlet man: mit Philoktet mitleidend bestürzt, als Neoptolemus, banget man, weiß nicht, woran man ist, was man thun, wie man helfen soll? Man tritt auf sein trauriges ἆ ἆ zu ihm: »Wie denn? du leidest! du redest nicht! Warum so verschlossen? du wirst gepeiniget? warum seufzest du zu den Göttern?« – Und ein Philoktet antwortet mit verzognem Lächeln, mit einem Gesicht, in welchem sich Schmerz und Muth und Freundlichkeit mischen: Ich? Nein! ich empfinde Erleichterung! ich flehe zu den Göttern um glückliche Schiffahrt. Welch ein Griechischer Garrik gehöret dazu, den Schmerz und den Muth, die menschliche Empfindung und die Heldenseele hier abzuwiegen!
Uebermannet endlich vom Schmerz unterliegt er; er bricht aus – aber in Töne der brüllenden Verzweiflung, des wütenden Geschreies? Nichts! in ein trauriges ἀπόλωλα τέκνον. βρύκομαι τέκνον. παπαῖ. ἀπαππαπαῖ, παπαῖ, παπαῖ, παπαῖ, παπαῖ: das sind seine gezognen Klagetöne! Er bittet um die Heldencur, seinen Fuß abzuhauen: er winselt. – Nichts mehr? Nein, nichts mehr! Er war ausgebrochen, wie Neoptolem sagt, nur in ἰυγὴν καὶ ςόνον in Aechzen und Seufzen, und Ach! wie muß dieß rühren! Sein gekrümmter Fuß, sein verzognes Gesicht, seine vom Seufzer erhobene Brust, die vom Aechzen hole Seite, sein halbes Ach! – – Weiter geht der Dichter nicht: und um zuvor