5. Kapitel Akteneinsicht › D. Das Akteneinsichtsrecht öffentlicher Stellen gem. § 474 StPO › II. Das Akteneinsichtsrecht von Behörden (§ 474 Abs. 1)
II. Das Akteneinsichtsrecht von Behörden (§ 474 Abs. 1)
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Nach dem Wortlaut des § 474 Abs. 1 StPO können Gerichte, Staatsanwaltschaften und andere Justizbehörden Akteneinsicht erhalten, soweit dies für die Zwecke der Rechtspflege – i.S.d. § 23 EGGVG – erforderlich ist. Das Akteneinsichtsrecht besteht damit auch für die Justizbehörden des Bundes und der Länder, soweit diese im Rahmen der Rechtspflege, bspw. zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten, tätig werden, die strafverfolgend tätige Polizei sowie die Finanzbehörden, soweit diese als Ermittlungsbehörde, d.h. zur Verfolgung von Steuerstraftaten agieren (§§ 386 Abs. 2, 399 Abs. 1, 402 Abs. 1, 404 AO).[1]
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§ 474 Abs. 1 StPO ergänzt damit die bestehenden Regelungen der StPO zur Informationsgewinnung der zuvor genannten Behörden,[2] wenn diese nicht ausreichen, um den jeweiligen Ermittlungszweck zu erfüllen.[3] Stets als „Minus“ in dem Recht auf Akteneinsicht enthalten, ist das Recht auf die Erteilung von Auskünften aus entsprechenden Akten.[4] Sowohl die Akteneinsicht als auch die Auskunftserteilung dürfen jedoch nur für ein bestimmtes anderes Verfahren,[5] nach zutreffender Auffassung jedoch nicht im Rahmen von Vorermittlungen, gewährt werden.[6] Besteht der Anspruch auf Akteneinsicht i.S.d. § 474 Abs. 1 StPO, so kann die einsichtbegehrende Stelle selbst festlegen, in welchem Umfang ihr Einsicht in die Akten gewährt werden soll.[7]
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Eine Beschränkung der Akteneinsicht durch die ersuchte Stelle ist dagegen nicht möglich.[8] Die Akteneinsicht steht allerdings unter dem Vorbehalt der Erforderlichkeit ihrer Gewährung. Diese muss durch die ersuchende Behörde zwar nicht gesondert begründet,[9] jedoch eigenständig geprüft und das Vorliegen von ihr verantwortet werden; § 477 Abs. 4 S. 1 StPO. Dies gilt auch für die Prüfung, ob anstelle der Akteneinsicht nicht auch die Auskunftserteilung i.S.d. § 477 Abs. 1 StPO – als weniger grundrechtsrelevanter Eingriff – in gleichem Maße sachdienlich sein kann. Folgerichtig ist die ersuchte Stelle weder berechtigt, eine Darlegung der Erforderlichkeit der Akteneinsicht von der ersuchenden Stelle einzufordern,[10] noch ist sie imstande, deren Sachdienlichkeit für das dortige Verfahren zu prüfen. Vielmehr darf und muss die ersuchte Stelle von der Erforderlichkeit der Akteneinsicht ausgehen.[11] Dies gilt insbesondere dann, wenn die Akten in einem gerichtlichen Verfahren angefordert werden, in dem der Amtsermittlungsgrundsatz gilt.[12]
Anmerkungen
Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt § 474 Rn. 2.
§ 161 Abs. 1 S. 1 (Staatsanwaltschaft), §§ 161 Abs. 1 S. 2, 163 Abs. 1 S. 2 (Polizei) und §§ 161 Abs. 1, 202, 244 Abs. 2 (Gericht).
Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt § 474 Rn. 2.
SK-StPO/Weßlau § 474 Rn. 9.
SK-StPO/Weßlau § 474 Rn. 8; Hilger NStZ 2000, 15.
Krause FS Strauda, 2006, S. 351, 360.
KK-StPO/Gieg § 474 Rn. 3; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Ritscher StPO, § 474 Rn. 8.
HK-StPO/Temming § 474 Rn. 4 unter Hinweis auf Hilger NStZ 2000, 15.
BT-Drucks. 14/1484, 26.
HK-StPO/Temming § 474 Rn. 5 m.w N.
Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt § 474 Rn. 4.
Z.B. § 99 Abs. 1 VwGO, 86 Abs. 1 FGO oder 120 Abs. 1 SGG.
5. Kapitel Akteneinsicht › D. Das Akteneinsichtsrecht öffentlicher Stellen gem. § 474 StPO › III. Die Auskunftserteilung und Akteneinsicht gegenüber öffentlichen Stellen (§ 474 Abs. 2, 3)
III. Die Auskunftserteilung und Akteneinsicht gegenüber öffentlichen Stellen (§ 474 Abs. 2, 3)
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Alle öffentlichen Stellen, d.h. Behörden oder Körperschaften des öffentlichen Rechts, die hoheitliche Aufgaben wahrnehmen und nicht unter § 474 Abs. 1 StPO fallen, können unter den Voraussetzungen des § 474 Abs. 2 StPO Auskünfte aus Strafakten erhalten. Zu berücksichtigen ist dabei, dass entsprechende Auskünfte gem. § 477 Abs. 1 StPO auch im Wege der Überlassung von Abschriften aus Akten erteilt werden können. Nur dann, wenn die Erteilung einer solchen Auskunft einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde, oder aber die Auskunft nicht ausreichend wäre, um die Aufgabe der Einsicht begehrenden Stelle zu erfüllen, kann auch einer öffentlichen Stelle i.S.d. § 474 Abs. 2 StPO Akteneinsicht gem. § 474 Abs. 3 StPO gewährt werden. Die Erteilung von Auskünften ist allerdings nur unter den in § 474 Abs. 2 Rn. 1–3 StPO dargelegten Voraussetzungen zulässig. Sie kommt daher gem. § 474 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO in Betracht, soweit sie zur Feststellung, Durchsetzung oder Abwehr von Regressansprüchen im Zusammenhang mit der Straftat erforderlich ist.
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Auskünfte können gem. § 474 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO auch dann erteilt werden, wenn der ersuchenden öffentlichen Stelle aufgrund einer anderweitigen Vorschrift (§§ 12 ff. EGGVG) personenbezogene Daten übermittelt werden dürfen, oder nach einer von Amts wegen bereits erfolgten Übermittlung personenbezogener Daten eine (weitergehende) Übermittlung erforderlich ist, ohne die die ersuchende Behörde ihre Aufgabe nicht wahrnehmen könnte. Abweichend von § 474 Abs. 1 StPO entscheidet (ausschließlich) in diesem Fall die ersuchte Stelle, ob und welche Informationen sie weitergibt.[1] Die in § 474 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ausnahmsweise zulässige Gewährung der Akteneinsicht, in den Fällen, in denen die Auskunftserteilung nicht zumutbar ist, dient der Entlastung der Justiz. Akteneinsicht ist überdies zu gewähren, wenn die ersuchende Stelle die Notwendigkeit derselben begründet. Eine (denkbare) Informationsübermittlung an Polizeibehörden zum Zwecke der Gefahrenabwehr unterfällt jedoch nicht § 474 Abs. 2 StPO, sondern erfolgt unter den Voraussetzungen des § 481 StPO.[2] Die Auskunftserteilung gegenüber Nachrichtendiensten erfolgt ausweislich § 474 Abs. 2 S. 2 StPO unter den Voraussetzungen