2. Versagungsgründe und die Bedeutung des Verfahrensstadiums
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Eine Versagung der beantragten Akteneinsicht kommt nach § 147 Abs. 2 S. 1 StPO in Betracht. Nach dieser Norm kann die Akteneinsicht dann, wenn der Abschluss der Ermittlungen noch nicht in den Akten vermerkt ist, versagt werden, soweit diese den Untersuchungszweck gefährden kann. Hierfür ist erforderlich, aber auch ausreichend, dass aufgrund durch Tatsachen belegter Anhaltspunkte objektiv nahe liegt, dass der Beschuldigte bei Erlangung von Aktenkenntnis in unzulässiger Weise nachteilig in das Ermittlungsverfahren eingreifen werde.[1] Dies ist etwa dann der Fall, wenn aus den Akten ein bevorstehender Durchsuchungstermin oder ein Haftbefehlsantrag entnommen werden kann. Bloße ermittlungstaktische Erwägungen der Strafverfolgungsbehörde – etwa der Plan, neue Ermittlungsergebnisse dem Beschuldigten in einer Vernehmung überraschend vorzuhalten – können die Versagung der Akteneinsicht dagegen nicht rechtfertigen. Auch kann die Akteneinsicht nicht mit der Begründung versagt werden, dass andere Beschuldigte in objektiv nachvollziehbarer Weise Anlass gegeben haben, die Akteneinsicht zu verweigern.[2] Nach Auffassung des BGH soll sich eine Gefährdung des Untersuchungszwecks gem. § 147 Abs. 2 S. 1 StPO auch daraus ergeben können, dass durch die beantragte Akteneinsicht der Untersuchungszweck in einem anderen Strafverfahren gefährdet würde.[3] In jedem Fall ist, wie der Wortlaut der Norm „soweit“ klarstellt, vor der Ablehnung der beantragten Akteneinsicht in Gänze sorgfältig zu prüfen, ob die Gewährung einer teilweisen Akteneinsicht in Betracht kommt.[4]
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Nachdem der Abschluss der Ermittlungen gem. § 169a StPO in der Akte vermerkt ist, greift der Versagungsgrund nicht mehr. Vielmehr besteht ab diesem Zeitpunkt ein unbeschränktes und unbeschränkbares Akteneinsichtsrecht. Befindet sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft oder ist diese nach einer vorläufigen Festnahme beantragt, sind dem Verteidiger nach § 147 Abs. 2 S. 2 StPO die für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung wesentlichen Informationen ungeachtet des Verfahrensstandes zugänglich zu machen, vgl. hierzu im Einzelnen: 14. Kap. Rn. 93 f.
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Ein ebenfalls unbeschränkbares Akteneinsichtsrecht – und damit auch im Falle einer Gefährdung des Untersuchungszweckes – hat der Verteidiger nach § 147 Abs. 3 StPO in die Niederschriften über die Vernehmung des Beschuldigten sowie in die über richterliche Untersuchungshandlungen, bei denen der Verteidiger ein Anwesenheitsrecht hat, sowie in vorliegende Sachverständigengutachten. Dabei ist das Akteneinsichtsrecht in die Vernehmungsprotokolle unabhängig davon, ob die Vernehmung von der Polizei, der Staatsanwaltschaft oder einem Ermittlungsrichter durchgeführt wurde. Zu den vorgenannten richterlichen Untersuchungshandlungen, bei denen der Verteidiger ein Anwesenheitsrecht hat, zählen etwa die richterliche Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen.
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Nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens ergibt sich das (uneingeschränkte) Akteneinsichtsrecht des Verteidigers aus einer entsprechenden Anwendung des § 147 Abs. 1 StPO.[5] Nach rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens kann der Verteidiger Akteneinsicht gem. § 147 Abs. 5 S. 1 StPO beantragen.
3. Verfahren und Rechtsschutz
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Gem. § 147 Abs. 5 S. 1 StPO entscheidet über die Gewährung der Akteneinsicht im vorbereitendem Verfahren und nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens die Staatsanwaltschaft. In steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren entscheidet die Finanzbehörde hierüber, wenn sie die Ermittlungen gem. §§ 386 Abs. 2, 399 Abs. 1 AO selbstständig führt. Der Polizei steht hingegen in keinem Fall eine Entscheidungskompetenz zu. Nach Anklageerhebung (auch im Fall eines Strafbefehlsantrages) ist der Vorsitzende des mit der Sache befassten Gerichts für die Entscheidung zuständig. Auch während des Hauptverfahrens bleibt es bei dieser Zuständigkeit; der gesamte Spruchkörper ist zur Entscheidung nicht berufen.[6] Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass nach neuester Rechtsprechung des BGH[7] dem Tatgericht aus dem Gebot der Verfahrensfairness die Pflicht erwächst, den Angeklagten und seinen Verteidiger über die Ergebnisse von solchen Ermittlungen zu informieren, die ihm zwischen Eröffnungsbeschluss und Hauptverhandlung oder während laufender Hauptverhandlung durch Polizei oder Staatsanwaltschaft zugänglich gemacht werden. Diese Pflicht besteht auch dann, wenn es die Ergebnisse der Ermittlungen selbst nicht für entscheidungserheblich hält; denn es muss den übrigen Verfahrensbeteiligten überlassen bleiben, selbst zu beurteilen, ob es sich um relevante Umstände handelt.[8]
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Eine Anfechtung der die Akteneinsicht versagenden Entscheidungen im Ermittlungsverfahren besteht nur ausnahmsweise. § 147 Abs. 5 S. 2 StPO lässt als Rechtsbehelf den Antrag auf gerichtliche Entscheidung nur dann zu, wenn die Akteneinsicht versagt wird, nachdem der Abschluss der Ermittlungen in den Akten vermerkt worden ist, wenn die Versagung die in § 147 Abs. 3 StPO bezeichneten Schriftstücke betrifft sowie schließlich, wenn sich der Beschuldigte nicht auf freiem Fuß befindet, also vor allem in Fällen eines vollzogenen Haftbefehls. Dieser Anfechtungsausschluss des § 147 Abs. 5 S. 2 StPO bezieht sich auch auf Beschwerden der Staatsanwaltschaft, so dass etwa die Entscheidung des Vorsitzenden über die Art und Weise der Gewährung von Akteneinsicht insgesamt der Anfechtung entzogen sind.[9] Richterliche Entscheidungen, mit denen die beantragte Akteneinsicht versagt wird, sind nach § 304 Abs. 1, Abs. 4 S. 2 Nr. 4 StPO mit der Beschwerde anfechtbar. Die Beschwerde ist auch nicht während des Hauptverfahrens gem. § 305 S. 1 StPO dadurch ausgeschlossen, dass es sich um die Entscheidung des Vorsitzenden des erkennenden Gerichts handelt, weil die Ablehnung der Akteneinsicht in keinem inneren Zusammenhang mit dem Urteil steht.[10]
4. Information des Mandanten
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Der Verteidiger ist zur Weitergabe der durch die Akteneinsicht erlangten Erkenntnisse an seinen Mandanten berechtigt und auch verpflichtet. Eine sachgerechte Verteidigung setzt die detaillierte Kenntnis des Beschuldigten von der Vorwurfslage voraus. Daher ist der Verteidiger grds. auch berechtigt, dem Beschuldigten eine Abschrift der Ermittlungsakte auszuhändigen.[11] Allerdings hat der BGH[12] in der Vergangenheit die Auffassung vertreten, dass die Informationsweitergabe an den Mandanten dann unzulässig sein und eine taugliche Strafvereitelungshandlung i.S.d. § 258 Abs. 1 StGB darstellen soll, wenn sich aus der Akte Hinweise auf bevorstehende strafprozessuale Zwangsmaßnahmen – wie etwa eine Durchsuchung – ergeben. Auch wenn diese Restriktion außerhalb der höchstrichterlichen Rechtsprechung weitestgehend abgelehnt wird,[13] ist hier ein Strafverfolgungsrisiko für den Verteidiger nicht von der Hand zu weisen.
Anmerkungen
LR/Lüderssen/Jahn § 147 Rn. 135; SK-StPO/Wohlers § 147 Rn. 97; a.A. Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt § 147 Rn. 25, der eine konkrete Gefahr nicht für erforderlich hält.
Zur Beschränkung des Akteneinsichtsrechts im Falle der Gefährdung des Untersuchungszwecks vgl. Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt § 147 Rn. 25 m.w.N.
BGH NStZ-RR