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Nach Nr. 22 Abs. 2 AStBV kann aber auch die Größenordnung des zu erwartenden Steuerschadens, die Persönlichkeit oder Stellung des Beschuldigten sowie der Sachzusammenhang mit anderen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren eine Abgabe rechtfertigen. Allein die Tatsache, dass nach den Ermittlungen ein besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO vorliegt, führt nicht zwangsläufig zur Abgabe. Auch die Ankündigung des Beschuldigten, dass er gegen einen Strafbefehl Einspruch eingelegen werde, rechtfertigt für sich keine Abgabe an die StA. Entscheidend ist vielmehr der insgesamt ermittelte Steuerschaden, der im Millionenbereich angesichts der Rechtsprechung des 1. Strafsenates des BGH einen Verfahrensabschluss in Form der Anklageerhebung unerlässlich macht.[1]
Neben den in Nr. 22 AStBV geregelten Abgabegründen können aber auch besondere Probleme allg. strafrechtlicher Art wie z.B. Fragen der Zurechnungsfähigkeit, Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder ein persönlicher oder sachlicher Zusammenhang mit einem bei der StA bereits anhängigen Verfahren zu einer Abgabe an die StA führen.[2]
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Zu welchem Zeitpunkt eine Abgabe an die StA erfolgt, liegt ebenfalls im Ermessen der FinB. D.h. sie kann grundsätzlich „jederzeit“ abgeben. Die Form der Abgabe ist nicht vorgeschrieben. Sie erfolgt aber in der Regel in Form eines ausführlichen zusammenfassenden Berichts oder Vermerks aus dem das bisherige Ergebnis der Ermittlungen der Steufa und BuStra hervorgeht (Nr. 89 AStBV). Durch die Abgabe an die örtlich und sachlich für Wirtschaftsstrafsachen zuständige StA (§ 143 Abs. 1, Abs. 4 GVG) geht die Ermittlungszuständigkeit kraft Gesetz auf die StA über.[3] Diese ist verpflichtet das Verfahren zu übernehmen.[4]
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Dem Wortlaut des § 386 Abs. 4 S. 3 AO lässt sich entnehmen, dass das Verfahren nur im Einvernehmen wieder an die FinB zurückgegeben werden kann. Nach Abgabe der Strafsache an die StA verliert die FinB ihre selbstständige Ermittlungsbefugnis. Sie behält jedoch die bereits beschriebenen polizeilichen Befugnisse sowie die Beteiligungsrechte nach §§ 403, 407 AO (vgl. Rn. 11, 49 ff.). Ab diesem Zeitpunkt entscheidet die StA über weitere Ermittlungsmaßnahmen und trifft verfahrensabschließende Entscheidungen unter Beachtung der genannten Beteiligungsrechte.
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Die Abgabe der Steuerstrafsache an die StA hat auch zur Folge, dass ein Steuerberater nur noch gemeinsam mit einem Rechtsanwalt oder Hochschullehrer als Verteidiger auftreten darf (§ 392 Abs. 1 AO), sofern er nicht gem. § 138 Abs. 2 StPO als alleiniger Verteidiger nach Genehmigung durch das Gericht zugelassen wird. Dies ist der Besonderheit geschuldet, dass nach § 392 AO (vgl. auch Nr. 32 Abs. 1 AStBV) in Steuerstrafsachen neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern auch Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer als alleinige Verteidiger auftreten können, solange die FinB das Ermittlungsverfahren gem. § 386 Abs. 2 AO selbstständig durchführt bzw. die FinB nach den §§ 385 ff. AO die Aufgabe der StA als Strafverfolgungsbehörde wahrnimmt.[5] Auch den Einspruch gegen einen von der FinB beantragten Strafbefehl darf ein Angehöriger der steuerberatenden Berufe für seinen Mandanten noch selbstständig einlegen, da die Einlegung des Einspruchs auch durch einen Vertreter bewirkt werden könnte.[6] Erst wenn die StA oder das Gericht sich mit der Steuerstrafsache inhaltlich befassen bzw. auseinandersetzen müssen endet die Befugnis der Alleinverteidigung.[7]
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Da die Abgabe einer Steuerstrafsache durch die Vorschrift § 386 Abs. 2 und § 386 Abs. 4 S. 1 AO ausdrücklich vorgesehen ist, bestehen im Hinblick auf das Steuergeheimnis sowohl nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 als auch nach Nr. 2 AO keine Bedenken. Anders verhält es sich bei Erkenntnissen über Nichtsteuerstraftaten. Diese dürfen nur bei Vorliegen der Voraussetzungen gem. § 30 Abs. 4 Nr. 4 und Nr. 5 AO an die StA weitergegeben werden (vgl. Rn. 42).
b) Evokation der Steuerstrafsache durch die Staatsanwaltschaft
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Nach § 386 Abs. 4 S. 2 AO kann die StA ein Steuerstrafverfahren, das die FinB als selbstständige Ermittlungsbehörde führt, jederzeit an sich ziehen.[8] In diesem Fall steht die Evokation im pflichtgemäßen Ermessen der StA. Das umfassende Evokationsrecht bildet das Pendant zur Abgabebefugnis und ist nicht durch Verwaltungsvorschriften einschränkbar.[9] Nach h.M. kann die StA auch noch von ihrem Recht gem. § 386 Abs. 4 S. 2 AO Gebrauch machen, wenn die FinB einen Strafbefehlsantrag gestellt hat und in diesem Zusammenhang Unstimmigkeiten mit dem Gericht bspw. wegen der Begründetheit des Antrages bestehen.[10] Solange also die FinB gem. §§ 386 Abs. 2, 399, 400, 406 AO als selbstständige Ermittlungsbehörde handelt, kann die StA die Steuerstrafsache evozieren. Eine zeitliche Begrenzung des Evokationsrechts auf das Ermittlungsverfahren ist angesichts der umfangreichen prozessualen Rechte der StA nicht anzunehmen. Eine Evokation kommt insbesondere in Betracht, wenn die Steuerstraftat mit einer anderen Straftat des Beschuldigten gem. § 3 StPO zusammenhängt, sie von besonderer Bedeutung ist und/oder einen besonderen Umfang erreicht, oder gegen den Beschuldigten bereits in einer anderen Sache ermittelt wird und eine gemeinsame Anklage der Taten für zweckmäßig erachtet wird.
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Die Evokation als solche kann ausdrücklich z.B. durch Anforderung der Ermittlungsakte und Eintragung der Sache als Js-Sache mittels einer Verfügung, dass die Sache evoziert werde, oder durch konkludentes Verhalten geschehen. Danach kann die StA entweder die Ermittlungen selbst einleiten oder in einem laufenden Ermittlungsverfahren selbst eine Ermittlungsmaßnahme z.B. eine staatsanwaltschaftliche Zeugenvernehmung durchführen. Weder der Beschuldigte noch die FinB können sich gegen die Ausübung des Evokationsrechts mittels eines förmlichen Rechtsbehelfs zur Wehr setzen.[11] Dies ergibt sich bereits aus der „umfassenden“ Ermittlungskompetenz der StA, welche durch die Ausnahmeregelung des § 386 Abs. 2 AO (selbstständige Ermittlungskompetenz der FinB) seine Bestätigung findet.
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Die Ausübung des Evokationsrechts setzt voraus, dass die StA von der Steuerstrafsache Kenntnis erlangt (vgl. hierzu Nr. 140 Abs. 1 AStBV). Eine gesetzliche oder generelle Verpflichtung der Unterrichtung der StA besteht nicht.[12] Erfahrungsgemäß beanspruchen die Ermittlungen umfangreicher Steuerstrafverfahren angesichts ihrer Komplexität oftmals einen langen Zeitraum. In der Praxis sollte im Sinne einer effektiven Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität eine enge Zusammenarbeit zwischen der FinB und der StA angestrengt bzw. angestrebt werden. Tatsächlich hängt die Art und Weise der Zusammenarbeit vom Engagement der jeweils zuständigen Beamten ab. Auch mit Blick auf die Vollstreckungslösung des Großen Strafsenats des BGH 17.1.2008 – GSSt 1/07, sollte eine möglichst frühzeitige Unterrichtung der StA erfolgen, um Verfahrensabläufe rechtzeitig einsteuern und optimieren zu können.[13]
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Die FinB hat die Zusammenarbeit mit der StA ihrerseits ausdrücklich