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Im Zwischen- und Hauptverfahren entscheidet in Wirtschaftsstrafsachen regelmäßig als besondere Strafkammer die Wirtschaftsstrafkammer gem. § 74c GVG. Bei bestimmten Straftatbeständen des Wirtschaftsstrafrechts ist diese unmittelbar funktionell zuständig, so insbesondere bei Steuerhinterziehung und Bankrott; § 74c Abs. 1 Nr. 1–5a GVG.
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Für Betrug und Untreue und die weiteren in § 74c Abs. 1 Nr. 6 GVG angeführten Delikte ist seitens der Staatsanwaltschaft dann Anklage zu der Wirtschaftsstrafkammer zu erheben, wenn zur Beurteilung des Falles besondere Kenntnisse des Wirtschaftslebens erforderlich sind. Eine Begründung dieser Einschätzung soll durch die Staatsanwaltschaft nach Nr. 113 Abs. 2 S. 2 RiStBV zu den Akten gegeben werden.[2] Kommt diese zu der Erkenntnis, dass es keinerlei besonderer Kenntnisse der Wirtschaftsstrafkammer bedarf, so richtet sich die sachliche Zuständigkeit nach den allgemeinen Vorschriften.
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Gesondert ist hier noch auf § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG hinzuweisen. In Verfahren, in denen die Strafgewalt des Amtsgerichts grds. ausreichen würde, kann sie dennoch wegen des besonderen Umfangs oder wegen der besonderen Bedeutung des Falles Anklage zur großen Strafkammer beim Landgericht erheben.
Anmerkungen
Müller-Gugenberger/Bieneck/Niemeyer § 11 Rn. 12.
Müller-Gugenberger/Bieneck/Niemeyer § 12 Rn. 10.
3. Kapitel Verfahren bei Wirtschaftsdelikten › IV. Besonderheiten in Wirtschaftsstrafverfahren
3. Kapitel Verfahren bei Wirtschaftsdelikten › IV. Besonderheiten in Wirtschaftsstrafverfahren › 1. Materiell-rechtliche Besonderheiten (Auswahl)
a) Organe und Vertreter; § 14 StGB
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Im Wirtschaftsstrafrecht von besonderer Bedeutung ist die Regelung des § 14 StGB. Regelungsgegenstand ist die Organ- und Vertreterhaftung innerhalb von Delikten, die ausdrücklich oder nach Sachzusammenhang ein besonderes Tätermerkmal voraussetzen. Die Vorschrift unterscheidet hierbei zwischen der Zurechnung des Handelns von Organen und Vertretern nach § 14 Abs. 1 StGB und des Handelns von Beauftragten nach § 14 Abs. 2 StGB.
Nach § 14 Abs. 2 S. 2 steht das Unternehmen dem Betrieb gleich. Daraus folgt eine Organ-, Vertreter- und Beauftragtenhaftung welche eine Strafbarkeitslücke im Rahmen der Sonder- und Pflichtdelikte schließt, die aus dem Umstand folgt, dass in denjenigen Fällen, in denen das Unternehmen selbst Normadressat ist, dieses sich als rein juristische Person oder Personenvereinigung mangels deutschem Verbandsstrafrecht nicht strafbar machen kann.
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Nach überwiegend vertretener Ansicht stellt § 14 StGB danach einen Fall der „Verantwortungsverschiebung nach unten“[1] dar.[2] Von Bedeutung ist insbesondere § 14 Abs. 3 StGB. Danach sind die Abs. 1 und 2 auch für den Fall bestimmt, dass die Rechtshandlung, die die Vertretungsbefugnis bzw. das Auftragsverhältnis begründen sollte, zivilrechtlich unwirksam ist.[3]
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Mit dieser Regelung wird die Figur des faktischen Geschäftsführers anerkannt und einem regulären Geschäftsführer unter bestimmten Voraussetzungen gleichgestellt. Die faktische Geschäftsführung setzt schließlich voraus, dass durch den faktischen Geschäftsführer der Tätigkeitsbereich mit dem Einverständnis oder zumindest der Duldung des primären Normadressaten absolviert wird.[4] Dabei muss der faktische Geschäftsführer selbst die Geschicke der Gesellschaft allein bestimmen oder jedenfalls eine dominierende Rolle einnehmen.[5]
b) Kollegialentscheidungen
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Entscheidungen im Wirtschaftsleben, die auch strafrechtliche von erheblicher Bedeutung sein können, ergehen häufig im Kollektiv (bspw. Geschäftsführung, Vorstand oder Aufsichtsrat).[6] Im Rahmen von sog. Kollegial- oder Gremienentscheidungen[7] stellt sich häufig die Frage, wie einem Mitstimmenden die von allen getroffene Mehrheitsentscheidung zuzurechnen ist. Problematisch ist insoweit, ob die Gegenstimme strafrechtlich entlasten kann, oder etwa der Einwand, dass die eigene Stimme letztlich als Minderheit ohne Relevanz gewesen wäre, weil die Mehrheit für den deliktischen Erfolg auch ohne diese bestanden hätte. Verortet wird dieses Problem im Rahmen der strafrechtlichen Zurechnung.
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Die Rechtsprechung befasste sich erstmals 1990 in der sog. „Ledersprayentscheidung“[8] mit dieser Problematik. Gegenstand war eine Sondersitzung der Geschäftsführer des Unternehmens, in der entschieden wurde, dass die Anordnung eines Vertriebsstopps oder Rückrufaktion nicht in Betracht gezogen werden müsse. Hierzu wurde höchstrichterlich ausgeführt: Hätten in einer GmbH mehrere Geschäftsführer gemeinsam über die Anordnung des Rückrufs zu entscheiden, so sei jeder Geschäftsführer verpflichtet, alles ihm Mögliche und Zumutbare zu tun, um diese Entscheidung herbeizuführen. Beschlössen die Geschäftsführer einer GmbH einstimmig, den gebotenen Rückruf zu unterlassen, so hafteten sie für die Schadensfolgen dieser Unterlassung als Mittäter. Jeder Geschäftsführer, der es unterlasse, seinen Beitrag zum Zustandekommen der Rückrufentscheidung zu leisten, setze eine Ursache für das Unterbleiben der gebotenen Maßnahme. Dies begründe seine strafrechtliche Haftung auch dann, wenn seine Gegenstimme am Widerstand der anderen Geschäftsführer gescheitert wäre.[9] Hieraus folgt, dass den Angaben des verantwortlichen Vorstandsmitglieds zwar grds. gefolgt und darauf (strafrechtlich entlastend) vertraut werden kann, der Grundsatz der Generalverantwortung allerdings dann greift, wenn es sich um Sachverhalte handelt, die für das gesamt Unternehmen von grundlegender Bedeutung sind, d.h. das Unternehmen „als Ganzes“ betroffen ist.[10]
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Darüber hinaus wurde 1994 erstmals höchstrichterlich die Figur der mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft anerkannt.[11] Danach kommt eine Strafbarkeit als mittelbarer Täter für denjenigen in Betracht, der sich einer Organisationsstruktur bedient, die die unbedingte Ausführung seiner Befehle garantiert. Dies soll auch dann gelten, wenn der handelnde Tatmittler dabei uneingeschränkt verantwortlich handelt.[12] Diese Rechtsprechung ist gegebenenfalls unter strengen Voraussetzungen auch auf die Organisationsstruktur eines Unternehmens übertragbar.[13] Im Jahr 2000 nahm der Bundesgerichtshof zur strafrechtlichen Verantwortungsverteilung in Bankgremien bei Kreditvergaben Stellung. Werde die Entscheidung über eine Kreditvergabe von einem mehrköpfigen Gremium getroffen, so kämen auch im Falle des Einstimmigkeitsprinzips unterschiedliche Verantwortlichkeiten der Beteiligten in Betracht. So dürfe sich beispielsweise ein Bankleiter regelmäßig auf den Bericht des zuständigen Vorstandsmitglieds oder Sachbearbeiters verlassen, soweit keine