EuGH Slg. 1984, 2689, 2718 – Kirk Kent.
LK-StGB/Dannecker § 1 Rn. 39; Wabnitz/Janovsky/Dannecker/Bülte Kap. 2 Rn. 215.
Zum Gesetzlichkeitsprinzip im Kartellordnungswidrigkeitenrecht Wabnitz/Janovsky/Dannecker/Müller Kap. 18 Rn. 217.
Vgl. insb. LK-StGB/Dannecker § 2 Rn. 54 ff.
EuGH EuZW 2005, 369 (371 Rn. 68) – Berlusconi.
EuGH EuZW 1999, 476 – Kortas.
EuGH EuZW 2005, 369 (371 Rn. 68) – Berlusconi.
Wabnitz/Janovsky/Dannecker/Bülte Kap. 2 Rn. 216 ff.
2. Kapitel Europäisierung des Strafrechts › VI. Unionsgrundsätze und Unionsgrundrechte im Strafrecht und Strafverfahrensrecht › 3. Europäische Grundrechte im Strafverfahren
3. Europäische Grundrechte im Strafverfahren
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Der EuGH hat in einer Reihe von Entscheidungen deutlich gemacht, dass sich aus dem Unionsrechts auch wichtige Garantien für das nationale Strafverfahren ergeben. Hier sollen die wichtigsten Verfahrensgrundrechte genannt werden:
a) Recht auf faires Verfahren (Art. 47, 48 GRCh)
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In einem nationalen Strafverfahren in den Mitgliedstaaten gilt der europäische Grundsatz des fairen Verfahrens, wie er vom europäischen Gericht für Menschenrechte aus Art. 6 EMRK entwickelt wurde, nun auch nach Art. 47, 48 GRCh. Insofern hat der EuGH betont, die Auslegung des fairen Verfahrens durch den EGMR stelle auch die Basis des Rechts aus der Grundrechtecharta dar. Die Prüfung einer Verletzung der Verfahrensfairness beruht nach dieser EGMR-Rechtsprechung, die auch der EuGH bislang als Interpretation der EMRK verbindlich angewendet hat, auf einer Gesamtbewertung. Hier ist die Frage zu beantworten, ob die „Parteien“ des Strafverfahrens trotz des Verfahrensverstoßes noch gleichberechtigt und angemessen am Verfahren einschließlich der Beweiserhebung teilhaben konnten. Zu dieser Teilhabe gehört insb. die Möglichkeit, sich vor Gericht zu Beweismitteln zu äußern,[1] einen Gegenbeweis anzutreten[2] und sich einer angemessenen und kompetenten Verteidigung zu bedienen. Der Rechtsanwender muss bei der Prüfung, ob der Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt worden ist, letztlich die gesamte Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu diesem Themenkomplex berücksichtigen.
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Für das faire Haftbefehlsverfahren hat der EuGH in der Melloni-Entscheidung[3] ausgeführt, Art. 53 GRCh gestatte es den Mitgliedstaaten nicht, die Übergabe einer zu verhaftenden Person von der Bedingung abhängig zu machen, dass eine erneute Überprüfung des Urteils im Ausstellungsmitgliedstaat erfolgt, bei der das Recht auf ein faires Verfahren und Verteidigungsrechte so zu gewährleisten sind, wie sie in der Verfassung des Vollstreckungsstaates garantiert sind.
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Kurz zuvor hatte der EuGH in der Radu-Entscheidung[4] ausgeführt, der Vollstreckungsstaat dürfe die Vollstreckung nicht mit der Begründung verweigern, ein Verhafteter sei vor Erlass des europäischen Haftbefehls nicht angehört worden. Eine solche Verpflichtung würde den notwendigen Überraschungseffekt beseitigen und damit das im Rahmenbeschluss über den europäischen Haftbefehl vorgesehene Übergabesystem unweigerlich zum Scheitern bringen. Ein solcher Einwand übersteigere daher die Verfahrensrechte des Betroffenen so stark, dass die Durchführung des Verfahrens nicht mehr möglich sei. Damit hat der EuGH deutlich gemacht, dass nicht jeder der Mitgliedstaaten bei der Entscheidung über die Vollstreckung eines Haftbefehls das Urteil im Ausstellungsstaat am Maßstab der eigenen nationalen Grundrechte überprüfen darf.
b) Ne bis in idem (Art. 50 GRCh, Art. 54 SDÜ)
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Niemand darf wegen einer Straftat, derentwegen er bereits in der Union nach dem Gesetz rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren erneut verfolgt oder bestraft werden (Art. 50 GRCh). Das europäische Verbot der Doppelverfolgung und Doppelbestrafung wurde durch den EuGH in einer mittlerweile großen Zahl von Urteilen ausgelegt und konkretisiert.[5] Grundsätzlich ergibt sich aus der Garantie ne bis in idem der Schutz des Bürgers davor, wegen einer Tat mehrfach strafrechtlich verfolgt oder sogar verurteilt zu werden. Nach dem deutschen Verfassungsrecht gilt Art. 103 Abs. 3 GG nur national; das Verbot, eine bereits im Ausland abgeurteilte Tat im Inland noch einmal anzuklagen, um gegebenenfalls einen „Strafnachschlag“ zu verhängen, ergab sich zunächst aus Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens, hat aber auch seinen Weg in die Grundrechte Charta der Europäischen Union gefunden.[6]
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Die Rechtsprechung des EuGH hat sich intensiv mit den einzelnen Elementen des Doppelbestrafungsverbots auseinandergesetzt und dabei zunächst einen sehr weiten Tatbegriff entwickelt. In der Entscheidung Kretzinger[7] hat der EuGH ausgeführt, der Tatbegriff sei unabhängig von seiner rechtlichen Qualifizierung tatsächlich zu verstehen. Maßgebendes Kriterium für die Anwendung von Art. 54 SDÜ sei die Identität der materiellen Tat, verstanden als das Vorhandensein eines Komplexes unlösbar miteinander verbundener Tatsachen, unabhängig von der rechtlichen Qualifizierung dieser Tatsachen oder von dem geschützten rechtlichen Interesse.[8] Dieser materielle, tatsächliche Begriff der einheitlichen Tat (idem) führt dazu, dass die Garantie des Doppelbestrafungsverbots im europäischen Kontext deutlich weiter greifen kann als das nationale Verbot.[9] Mit Blick auf das Doppelbestrafungsverbot im Haftbefehlsverfahren hat der EuGH die unionsautonome Auslegung des Begriffs dieselbe Tat in der Mantello-Entscheidung[10] bekräftigt.
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Eine Doppelbestrafung liegt aber auch nach unionsrechtlichem Verständnis nur dann vor, wenn nach einer rechtskräftigen Aburteilung und damit dem Eintritt von Strafklageverbrauch eine weitere Strafe verhängt wird. Er soll sich nach der Rechtsprechung des EuGH die Beurteilung, ob es sich um eine rechtskräftige Verurteilung handelt, grundsätzlich nach dem nationalen Recht richten, unter dessen Geltung die erste Entscheidung ergangen ist.[11] Hierzu heißt es in der Mantello-Entscheidung:[12] Eine Entscheidung, die nach dem Recht des Mitgliedstaats, der die Strafverfolgung gegen eine Person einleitet, die Strafklage auf nationaler Ebene für eine bestimmte Handlung nicht endgültig verbraucht, kann grundsätzlich nicht als ein Verfahrenshindernis hinsichtlich der etwaigen Einleitung oder Fortführung der Strafverfolgung wegen derselben Handlung gegen den Betroffenen in einem anderen Mitgliedstaat der Union angesehen werden.
In der neueren Judikatur des Gerichtshofs