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Voraussetzung dafür, dass die Aburteilung einer erneuten Verfolgung als Verfahrenshindernis entgegensteht, ist, dass die ausgesprochene Strafe auch tatsächlich vollstreckt wird. Aber auch der Begriff der Strafvollstreckung wird vom europäischen Gerichtshof sehr weit verstanden, so dass auch die Aussetzung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung als Strafvollstreckung angesehen wird.[14]
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Auch der Begriff der Strafe und der Verurteilung wird in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich verstanden.[15] Eine Unterscheidung zwischen Strafen und Bußen, wie im deutschen Strafrecht, kennen andere Mitgliedstaaten nicht. Um eine einheitliche Auslegung der europäischen Grundrechte zu sichern, musste auch ein unionsrechtlicher Begriff der Strafe entwickelt werden. Diese Frage war insb. Gegenstand der Fransson-Entscheidung des EuGH.[16] Hier machte der Gerichtshof deutlich, dass steuerliche Verwaltungssanktionen, die keinen strafrechtlichen Charakter haben, auch neben einer Kriminalstrafe wegen Steuerhinterziehung verhängt werden dürfen.[17] Für die Beurteilung, ob es sich um eine Strafe handelt, dürfte es insb. darauf ankommen, ob es sich bei der Rechtsfolge um eine Sanktion handelt, die wegen eines schuldhaften Fehlverhaltens verhängt wird und unter anderem abschreckenden Charakter haben soll. Hierbei soll es insb. auf drei Faktoren ankommen: erstens die rechtliche Einordnung der Zuwiderhandlung im innerstaatlichen Recht, zweitens die Art der Zuwiderhandlung und drittens die Art und der Schweregrad der angedrohten Sanktion.[18] Daher könnte je nach konkretem Einzelfall die Versagung einer Steuerbefreiung oder des Vorsteuerabzugs[19] ebenso eine Strafe darstellen, wie ein Aufschlag auf eine Rückzahlung von Subventionen[20] oder ein Zuschlag bei der Steuerzahlung nach § 398a AO.[21]
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Jedoch hat der EuGH in der Entscheidung Menci[22] und bereits zuvor in der Sache Spasic[23] eine Relativierung des Grundsatzes der Freiheit vor Doppelbestrafung vorgenommen, die deutlich macht, dass es sich bei dem Ne-bis-in-idem-Grundsatz – anders als im deutschen Verfassungsrecht – nicht um eine unabwägbare Schranken-Schranke handelt, sondern ausschließlich um ein abwägbares Prozessgrundrecht. Art. 50 GRCh müsse daher im Lichte von Art. 52 GRCh betrachtet werden. Das bedeutet, dass eine Einschränkung des Grundsatzes und damit eine doppelte Verhängung einer als Strafe anzusehenden Sanktion nach Art. 52 Abs. 1 S. 1 GRCh gerechtfertigt sein könnte.
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Voraussetzung sei jedoch, dass die Einschränkung „der Ausübung der in der Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen ist“ und „den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten“ achtet. Nach Art. 52 Abs. 1 Satz 2 dürfen Einschränkungen dieser Rechte und Freiheiten unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.[24]
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Die Bekämpfung der Hinterziehung und die vollständige Erhebung der Mehrwertsteuer, der die fragliche nationale Vorschrift dienen sollte, hat der EuGH als eine solche, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzung angesehen. Aufgrund dieser besonderen Bedeutung könne eine Kumulierung von Verfolgungsmaßnahmen und Sanktionen strafrechtlicher Art gerechtfertigt sein, wenn zur Erreichung eines solchen Ziels mit diesen Verfolgungsmaßnahmen und Sanktionen komplementäre Zwecke verfolgt werden, die gegebenenfalls verschiedene Aspekte desselben rechtswidrigen Verhaltens betreffen.[25] Daher hat es der Gerichtshof bei Zuwiderhandlungen im Bereich der Mehrwertsteuer als legitim angesehen neben einer pauschal festgesetzten Verwaltungssanktion, die bei jedem Verstoß verhängt werden kann, eine zusätzliche schwerer strafrechtliche Sanktion in besonders schweren Fällen des Mehrwertsteuerbetrugs zu verhängen.
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Diese doppelte Bestrafung sei jedoch mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur dann vereinbar, wenn die vorgesehene Kumulierung der Sanktionen nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung der mit der nationalen Regelung verfolgten Ziele geeignet und erforderlich ist, unter mehreren gleich wirksamen Mitteln ist das mildeste Mittel zu wählen.[26] Bei der Bewertung der Erforderlichkeit ist nach der Rechtsprechung des EuGH ferner zu berücksichtigen, ob die Regelung, die eine solche Kumulierung vorsieht, klare und präzise Regeln aufstellt, die es dem Bürger ermöglichen, vorherzusehen, bei welchen Handlungen und Unterlassungen eine solche Kumulierung von Verfolgungsmaßnahmen und Sanktionen in Frage kommt.[27] Der EuGH[28] hatte das im Vorlagefall bejaht, obwohl die kriminalstrafrechtliche Verfolgung auch nach Abschluss des Verwaltungssanktionsverfahrens noch möglich war und die beiden Verfahren unabhängig voneinander durchgeführt werden, jedoch ist die strafrechtliche Sonderverfolgung auf schwere Fälle beschränkt, in denen der Hinterziehungsbetrag 50.000 € überschreitet. Hier sei die Durchführung des nachträglichen Strafverfahrens geboten, weil ansonsten die Sanktion nicht dem Unrecht der Tat entspreche (vgl. auch Art. 49 Abs. 2 GRCh).
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An die Vorschriften des nationalen Rechts sei zudem die Anforderung zu stellen, dass die Verhängung einer kumulierten Strafe verhindert werden muss, die in der Gesamtbetrachtung tat- und schuldunangemessen erscheint. Schließlich sei mit Blick auf die Rechtsprechung des EGMR[29] darauf hinzuweisen, dass eine doppelte Sanktion nur zulässig ist, wenn ein enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen dem Steuerstraf- und dem Steuerverfahren bestehe.
Anmerkungen
EGMR NJW 2010, 3145 – Gäfgen.
EuGH EuZW 2003, 666 (670, Rn. 69) – Steffensen.
EuGH NJW 2013, 1215 ff. – Melloni.
EuGH NJW 2013, 1145, 1147, Rn. 40 – Radu.
Bülte NZWiSt 2014, 321 ff.; Dannecker EvZ 2009, 110 ff.
Vgl. hierzu Dannecker EuZ 2009, 110 ff.
EuGH NJW 2007, 3412 ff. – Kretzinger; vgl. aber auch EuGH NJW 2007, 3416 ff. – „Kraaijenbrink“; EuR 2003, 929 ff. – „Gözütok“.
EuGH NJW 2007, 3412, 3413.
Vgl. Dannecker EuZ 2009, 110 ff.; vgl. auch Schaumburg/Peters Kap. 4.1 ff.
EuGH NJW 2011, 983 ff. – Mantello.
EuGH NJW 2011, 893, 985, Rn. 47 – Mantello.