65
Nach § 19 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 GWB darf ein marktbeherrschendes Unternehmen ein anderes Unternehmen nicht ohne sachlich gerechtfertigten Grund unmittelbar oder mittelbar anders behandeln als gleichartige Unternehmen. Dabei handelt es sich nicht um ein allgemeines Diskriminierungsverbot, welches einen schwerwiegenden Eingriff in die Vertragsfreiheit und damit auch in die wettbewerbliche Handlungsfreiheit von Unternehmen bedeuten würde. Das Diskriminierungsverbot setzt daher Marktbeherrschung (bzw. im Rahmen des § 20 Abs. 1 GWB relative Marktmacht) voraus und erfasst nur Diskriminierungen zwischen gleichartigen Unternehmen. Die betroffenen Unternehmen müssen sich daher in einer konkret vergleichbaren Situation befinden und gleichartige Grundfunktionen auf dem betroffenen Markt ausüben. Danach ist es auf beherrschten Märkten grundsätzlich verboten, im Verhältnis zu gleichartigen Unternehmen wirtschaftlich gleich liegende Sachverhalte ungleich zu behandeln. Diese Ungleichbehandlung muss sich nachteilig auf die Wettbewerbsposition des Anspruchstellers auswirken.[113] Auch hier ist im Rahmen der sachlichen Rechtfertigung für eine Ungleichbehandlung eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Gesetzes und Respektierung eines unternehmerischen Freiraumes abzustellen.[114]
bb) Verhältnis von Behinderung und Ungleichbehandlung
66
Die Abgrenzung zwischen einer Behinderung und einer Ungleichbehandlung ist je nach Fallkonstellation nicht immer einfach. Das Verhältnis der beiden Missbrauchsarten ist insbesondere dadurch geprägt, dass die Ungleichbehandlung einen Unterfall der Behinderung darstellt. So ist der Begriff der Behinderung sehr weit zu verstehen. Nach nationalem Recht (§ 19 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 GWB) ist darunter jedes Verhalten zu verstehen, das die wettbewerbliche Betätigungsfreiheit eines anderen Unternehmens nachteilig beeinflusst. Dieses weite Begriffsverständnis schließt die Ungleichbehandlung i.S.d. Kartellrechts ein, denn sie ist lediglich eine besondere Ausgestaltung der Behinderung in Form eines spezielleren Tatbestandes. Insbesondere lassen sich die beiden Verhaltensweisen nicht abschließend abgrenzen, indem man darauf abstellt, ob die Maßnahme horizontal oder vertikal ausgerichtet ist. Denn während das Behinderungsverbot – das zwar in erster Linie dem Schutz des Konkurrenten des Normadressaten dient – auch im Vertikalverhältnis gilt, kann das Diskriminierungsverbot, dessen typischer Anwendungsbereich Vertikalverhältnisse betrifft, auch im Horizontalverhältnis angewandt werden.[115] Eine Abgrenzung erfolgt daher regelmäßig im speziellen Einzelfall, wobei eine klare Zuordnung oftmals nicht notwendig ist und von der Rechtsprechung auch häufig nicht vorgenommen wird.[116] Aus diesem Grund wird im Folgenden nicht nach dieser Kategorisierung, sondern nach horizontalen und vertikalen Verhaltensweisen unterschieden.
(1) Kampfpreise („predatory pricing“)
67
Die sog. Kampfpreisunterbietung gilt als klassischer Fall eines Behinderungsmissbrauchs. Dabei bieten marktbeherrschende Unternehmen ein Produkt oder eine Dienstleistung für einen bestimmten Zeitraum zu einem besonders niedrigen Preis auf dem Markt an und verdrängen (potenzielle) Konkurrenten von dem schon beherrschten relevanten Markt oder von dritten Märkten bzw. halten diese von einem Marktzutritt ab. Durch eine solche Preisunterbietung werden große Teile der Nachfrager vom Wettbewerber auf ihn umgeleitet.
68
Das maßgebliche Kriterium für die Annahme eines Verstoßes gegen § 19 GWB bzw. Art. 102 AEUV ist nach der AKZO-Formel des EUGH das Preis-Kosten-Verhältnis innerhalb des marktbeherrschenden Unternehmens. Danach werden grundsätzlich drei Kategorien gebildet. So sind Preise, die unter den durchschnittlichen variablen Kosten liegen, grundsätzlich als missbräuchlich anzusehen, da bei einem marktbeherrschenden Unternehmen davon auszugehen ist, dass primäres Ziel der Preisunterbietung die Ausschaltung seiner Konkurrenten ist. Preise, die zwar unter den durchschnittlichen Gesamtkosten, aber über den durchschnittlichen variablen Kosten liegen, sind hingegen nur dann als missbräuchlich anzusehen, wenn sie im Rahmen eines Plans festgesetzt werden, der die Ausschaltung eines Konkurrenten zum Ziel hat.[117] Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass ein Preis, der oberhalb der Gesamtkosten liegt, jedenfalls keinen Missbrauch darstellt. Dies ist auch deshalb anzunehmen, weil niedrige, aber kostendeckende Preise grundsätzlich Ausdruck echten Leistungswettbewerbs sind.[118]
69
Im Rahmen der erforderlichen Verdrängungsabsicht der zweiten Kategorie sind alle Indizien des Einzelfalls zu berücksichtigen. Dazu können unter anderem das Preisverhalten des Unternehmens auf anderen Märkten, interne Unterlagen, der Aufkauf von Wettbewerbsprodukten, der Abschluss von Ausschließlichkeitsvereinbarungen, der zeitliche Ablauf des Preiskampfes sowie das Hinzutreten weiterer Behinderungsmaßnahmen zählen.[119] Die Verdrängungsabsicht ergibt sich dabei insbesondere aus der Dauer, der Beständigkeit, dem Umfang sowie der Planmäßigkeit der Verluste.[120] Es kann unter Umständen auch bereits ausreichen, dass, selbst wenn keine Verdrängungsabsicht vorliegt, eine Preispolitik zu einer tatsächlichen oder wahrscheinlichen Verdrängung des Wettbewerbers führen kann.[121]
70
Das nationale Recht verbietet darüber hinaus im Rahmen von § 20 Abs. 3, 4 GWB Unternehmen mit einer gegenüber kleinen und mittleren Wettbewerbern überlegenen Marktmacht, Waren und Dienstleistungen unter Einstandspreis anzubieten, sofern dies nicht nur gelegentlich erfolgt und nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist. Für Lebensmittel sind jegliche Angebote unter Einstandspreis für solche Unternehmen ausdrücklich nach § 20 Abs. 3 Nr. 1 GWB untersagt.[122]
(2) Kopplungsgeschäfte
71
Kopplungsgeschäfte i.S.d. Kartellrechts liegen vor, wenn Anbieter, die bei bestimmten Produkten oder Dienstleistungen über eine marktbeherrschende Stellung verfügen, diese nur mit zusätzlichen Produkten oder Dienstleistungen mit niedrigerer Marktbedeutung am Markt anbieten. Durch diese Vorgehensweise können Wettbewerber, die auf dem Markt für das begleitende Produkt mit dem marktbeherrschenden Unternehmen konkurrieren, behindert werden. Während das europäische Recht das Kopplungsgeschäft ausdrücklich als Regeltatbestand in Art. 102 Abs. 2 lit. d AEUV normiert, fällt es im deutschen Recht regelmäßig unter den allgemeinen und weit zu verstehenden Begriff des Behinderungsmissbrauchs. Dabei ist aber die Doppelnatur eines Kopplungsgeschäfts zu berücksichtigen. Soweit es bei der unternehmerischen Maßnahme vordergründig darum geht, dem Nachfrager sinnlose zusätzliche Produkte oder Dienstleistungen aufzudrängen, handelt es sich um einen Fall des Ausbeutungsmissbrauchs. Soweit das Unternehmen hingegen bezweckt, die Marktmacht auf dem Markt des Hauptproduktes auf den des gekoppelten Produktes auszuweiten, ist das Handeln als Behinderungsmissbrauch einzustufen. Sofern beide Wirkungen vorliegen, sind je nach Einzelfall beide rechtlichen Grundsätze oder einer der beiden heranzuziehen.[123] Damit schützt das Kopplungsverbot zwei unterschiedliche Rechtsgüter. Einerseits dient es dem Schutz der Handelspartner vor Beeinträchtigungen ihrer Handlungsfreiheit (die dann beeinträchtigt wäre, wenn der Vertragspartner zur Abnahme von Produkten oder Dienstleistungen gezwungen wäre, an denen er kein Interesse hat oder sie anderweitig beziehen möchte), andererseits dient es dem Schutz vor Wettbewerbsverfälschungen auf dem Markt des gekoppelten Produktes oder des Kopplungsproduktes.[124]
72
Um das Vorliegen eines Kopplungsmissbrauchs zu bejahen, muss das betreffende Unternehmen eine beherrschende Stellung auf dem Markt für das Kopplungsprodukt (das Ausgangsprodukt, nicht hingegen auf dem Markt des gekoppelten Produktes) innehaben und es muss