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Der wohl aktuellste Fall im Zusammenhang mit Kopplungsgeschäften ist die Entscheidung der Kommission gegen Google, in der sie dem Unternehmen aufgrund eines Kopplungsgeschäfts zwischen dem Android-Betriebssystem und Google-Internetsuchdiensten eine Geldbuße in Höhe von 4,34 Mrd. EUR auferlegt hatte.[127] Darin hatte die Kommission festgestellt, dass Google auf den Märkten für allgemeine Internet-Suchdienste, für lizenzpflichtige Betriebssysteme für Smartphones sowie für Android-App Stores eine marktbeherrschende Stellung einnehme. Diese Stellung habe Google missbräuchlich ausgenutzt, indem das Unternehmen gegenüber allen Herstellern von Android-Geräten als Bedingung für eine Lizensierung des App-Stores von Google (Play Store) verlangte, die App Google-Suche und die Google-eigene Browser-App Chrome auf den Geräten vorzuinstallieren.[128]
(3) Rabattsysteme
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Grundsätzlich darf ein Anbieter seinen Abnehmern als wettbewerbskonforme Maßnahme der Absatzförderung Rabatte gewähren. Sie sind erst dann missbräuchlich i.S.d. Missbrauchsverbots, wenn sie darauf abzielen, dem Abnehmer durch die Gewährung eines Vorteils, der nicht auf einer ihn rechtfertigenden wirtschaftlichen Leistung beruht, die Wahl zwischen mehreren Bezugsquellen unmöglich zu machen oder zu erschweren, den Konkurrenten den Zugang zum Markt zu verwehren, Handelspartnern für gleichwertige Leistungen ungleiche Bedingungen aufzuerlegen oder die beherrschende Stellung durch einen verfälschten Wettbewerb zu stärken.[129] Je nach Fallkonstellation kann ein Fall des Ausbeutungs-, Behinderungs- oder Diskriminierungsmissbrauchs gegeben sein kann. Der Schwerpunkt der Rechtsanwendung liegt in der Behinderung der Wettbewerber.[130]
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Da Rabattsysteme sehr unterschiedlich ausgestaltet werden können, hat die europäische Praxis eine Reihe von Anwendungsfällen entwickelt, die zur rechtlichen Einordnung von Rabatten herangezogen werden.
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Danach gelten sog. reine Mengenrabatte, die ausschließlich an den Umfang der bei dem betroffenen Hersteller getätigten Käufe anknüpfen, als unbedenklich. Mengenrabatte dieser Art sind dann anzunehmen, wenn sie für jede einzelne Bestellung und somit entsprechend den vom Verkäufer erzielten Kosteneinsparungen gewährt werden.[131]
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Hingegen gelten sog. Treuerabatte, die darauf abzielen, Kunden vom Bezug bei konkurrierenden Herstellern abzuhalten, indem ihnen ein finanzieller Vorteil gewährt wird, grundsätzlich als missbräuchlich.[132] In diesem Zusammenhang hat der EuGH jedoch erst jüngst im Verfahren gegen Intel entschieden, dass auch bei Treuerabatten eine Gesamtbetrachtung der Umstände für die Rabattgewährung vorgenommen werden muss.[133]
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Ein Missbrauch ergibt sich regelmäßig auch dann, wenn statt Rabatten im Vorfeld nachträgliche Zahlungen als Belohnung der Treue erfolgen.[134] Gruppenrabatte, die als Belohnung für den ausschließlichen Bezug von ganzen Abnehmergruppen eingesetzt werden, gelten als Unterfall der Treuerabatte ebenfalls als grundsätzlich missbräuchlich.[135]
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Ebenfalls als missbräuchlich einzustufen sind Umsatzrabatte, wenn sie einen versteckten Treuerabatt darstellen. Gleiches gilt für Sortiments- und Grenzrabatte. Im Allgemeinen lässt sich festhalten, dass anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles zu ermitteln ist, ob der jeweilige Rabatt dazu geeignet ist, den Wettbewerb durch Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung zu missbrauchen. Dazu ist eine Orientierung an den durch Kommission und Rechtsprechung entwickelten Kategorien sinnvoll. Diese sind jedoch nicht als abschließend zu erachten.[136]
dd) Fallgruppen mit vertikalem Schwerpunkt: Insbesondere Nichtbelieferung von Abnehmern (Geschäfts- und Lieferverweigerung) sowie Bezugsverweigerung gegenüber Lieferanten
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Grundsätzlich ist jedes Unternehmen auf der Grundlage der Vertragsfreiheit darin frei, seine Handelspartner auszuwählen. Auch ein marktbeherrschendes Unternehmen darf daher Verkäufe, Belieferungen und Geschäftsabschlüsse ablehnen sowie die Abnahme von Produkten bei Lieferanten so regeln, wie es dies für wirtschaftlich richtig und sinnvoll hält.[137] Davon umfasst ist auch die grundsätzliche Möglichkeit eines Unternehmens, potenzielle Abnehmer unter qualitativen oder quantitativen Gesichtspunkten auszugrenzen (sog. selektiver Vertrieb).[138] Auch die Beendigung von Geschäftsbeziehungen steht grundsätzlich einem jeden Unternehmen frei.
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Allerdings kommt einem marktbeherrschenden Unternehmen eine besondere Verantwortungsstellung zu, die sich im Behinderungs- und Diskriminierungsverbot des Art. 102 AEUV bzw. § 19 GWB manifestiert. Danach können Geschäfts- und Lieferverweigerungen sowie Bezugsverweigerungen unter bestimmten, engen Voraussetzungen als missbräuchlich eingestuft werden.
(1) Nichtbelieferung von Abnehmern
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Eine Lieferverweigerung kann auch bei rein vertikaler Ausrichtung sowohl in Form einer Behinderung als auch einer Ungleichbehandlung vorliegen. Unter die Fallgruppe der Geschäfts- und Lieferverweigerung fallen dabei sowohl die Fälle des Abbruchs bereits bestehender Geschäftsbeziehungen als auch die Weigerung der Aufnahme neuer Lieferbeziehungen.
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Der Grad der Marktmacht ist dabei von erheblicher Bedeutung. So kann ein Unternehmen insbesondere dann von einem marktbeherrschenden Unternehmen verlangen, beliefert zu werden, wenn von ihm gleichartige Unternehmen ebenfalls beliefert werden. Eine Lieferverweigerung wäre in dem Fall nur dann rechtmäßig und nicht vom Diskriminierungsverbot umfasst, wenn das marktbeherrschende Unternehmen sachliche Rechtfertigungsgründe vorbringen kann, die gerade im Hinblick auf das die Belieferung begehrende Unternehmen vorliegen. Rechtfertigungsgründe in diesem Sinne können zum Beispiel Kapazitätsprobleme, Vertriebsbindungen oder eine mangelnde Bonität des potenziellen Abnehmers sein. In die in diesem Zusammenhang vorzunehmende Interessenabwägung müssen die Interessen beider Unternehmen berücksichtigt und gegenübergestellt werden. Interessen des potenziellen Abnehmers können dabei zum Beispiel die Bedeutung der Ware für das Unternehmen, die Auswirkungen auf angrenzende Tätigkeiten oder eine Existenzgefährdung sein. Ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot ist regelmäßig dann abzulehnen, wenn andere zugängliche Lieferquellen bestehen oder die in Rede stehenden Produkte ohne Weiteres durch andere frei zugängliche Waren ersetzt werden können.[139]
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Bei einem Abbruch von Lieferbeziehungen kann sich auch bei einer grundsätzlichen Zulässigkeit der Geschäftsbeendigung die Pflicht ergeben, dem Vertragspartner eine angemessene Kündigungs- bzw. Auslauffrist zu gewähren. Dabei muss die genaue zeitliche Komponente anhand der Umstände des Einzelfalls bestimmt werden. In dem Zusammenhang ist zu beachten, dass das Missbrauchsverbot nicht auf einen allgemeinen Sozialschutz gerichtet ist, so dass der Vertragspartner jedenfalls nicht in die Lage versetzt werden muss, seine getätigten Investitionen vollumfänglich zu erwirtschaften. Allerdings sind seine Investitionen (insbesondere, wenn sie auf Veranlassung des Lieferanten getätigt wurden) in die Entscheidung einzubeziehen.