194
Fristwahrend ist nach der 2014 geänderten Rule 47 Abs. 1, Abs. 5 nur noch die Einreichung des vollständig ausgefüllten, vom EGMR auf seiner Homepage zur Verfügung gestellten, Beschwerdeformulars zusammen mit den erforderlichen Kopien per Post.[202] Eine Ausnahme von diesem Formerfordernis nach Rule 47 wird der EGMR nur gemäß Rule 47 Abs. 5 Nr. 1 bei angemessenen Erklärungen für die Nichteinhaltung machen.[203] Dieses strikte Formerfordernis gilt nicht nur für Beschwerden, die durch einen Anwalt beim EGMR eingelegt werden, sondern auch der nicht anwaltlich vertretene Betroffene hat das Formular vollständig und mit den erforderlichen Nachweisen beim EGMR einzureichen.[204]
195
Entscheidend für die Fristwahrung ist das Datum des Poststempels.[205] Das Datum ist durch leserlichen Poststempel oder durch eine Urkunde nachzuweisen (Rn. 264 f.). Der Gerichtshof kann entscheiden, dass ein anderes Datum gilt, wenn er dies für gerechtfertigt hält (Rule 47 Abs. 6 lit. b), etwa bei Zweifeln an der Datierung.[206] Auf den Eingang beim EGMR kommt es nur an, wenn sich nicht feststellen lässt, wann das Schreiben aufgegeben wurde bzw. wenn Schreiben rückdatiert wurden.[207]
196
Die Frist wird nach Kalendermonaten berechnet, ohne Rücksicht auf ihre tatsächliche Länge.[208] Wie im deutschen Recht (vgl. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Var. 1 BGB) endet die Frist an dem Tag, der durch seine Zahl dem Tag des maßgebenden, die Frist auslösenden Ereignisses entspricht (Beispiel: Zustellung der letzten nationalen Gerichtsentscheidung am 15.5.; Fristbeginn am 16.5.; Fristende am 15.11. oder, nach Verkürzung der Beschwerdefrist auf vier Monate, am 15.9.). Wegen einer missverständlichen Formulierung in einem EGMR-Urteil waren vorübergehend Zweifel aufgetreten, ob die Frist einen Tag später, bei obigem Beispiel also statt am 15.11. erst am 16.11., endet.[209] Diese Zweifel sind durch die seither ergangene Rechtsprechung ausgeräumt.[210]
197
Zu beachten ist, dass der EGMR die etwa in Deutschland geltende Wochenend- und Feiertagsregel (vgl. § 193 BGB) nicht anerkennt. Fristen können daher auch am Wochenende oder an einem Feiertag ablaufen.[211]
198
Soweit ersichtlich, hat der EGMR den Fall bisher nicht entschieden, dass sich ein Datum als Fristablauf errechnet, dass es im Kalender nicht gibt (Beispiel: Maßgebendes Ereignis, z.B. Zustellung der letzten nationalen Gerichtsentscheidung, am 30.8.; Frist beginnt am 31.8. und würde am 30.2. des nächsten Jahres enden). Schon aus Vorsichtsgründen sollte davon ausgegangen werden, dass der EGMR dies so handhaben wird wie in § 188 Abs. 3 BGB geregelt, dass also die Frist am letzten Tag des Monats abläuft (also statt am „30.2.“ am 28.2. oder 29.2.; statt am „31.4.“ am 30.4. usw.).
199
Verfristete Beschwerden kann der Gerichtshof als fristgerecht behandeln, wenn der Bf. für die eingetretene Verzögerung eine ausreichende Erklärung liefert.[212] Es handelt sich dabei jedoch um Härtefallklauseln (Rule 47 Abs. 5 Nr. 1).[213]
Teil 1 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte › B. Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Individualbeschwerde › VIII. Form
1. Inhalt der Beschwerde und sonstige Formvorgaben
200
Obwohl die Konvention eine bestimmte Form der Beschwerde nicht vorschreibt, ergeben sich formale Anforderungen aus der Verfahrensordnung des Gerichtshofs (Rules of Court) v. 14.11.2016 und den auf Rule 32 beruhenden Verfahrensanordnungen (Practice Directions; PD). Die Nichteinhaltung der dort genannten formalen und inhaltlichen Vorgaben führt zwar nicht per se zur Unzulässigkeit der Beschwerde[215], kann jedoch zur Folge haben, dass die Beschwerde weder registriert noch geprüft wird (vgl. auch § 17 PD-I). Deshalb müssen die nachfolgenden Formvorschriften tunlichst beachtet werden.
201
Die Beschwerde ist direkt an den Gerichtshof zu richten.[216] Sie muss schriftlich auf dem Postweg bei der Kanzlei eingereicht und vom Bf. oder seinem Vertreter unterzeichnet sein (Rule 45 Abs. 1; siehe auch §§ 9, 13 PD-I).[217]
202
Das ausgefüllte Beschwerdeformular ist per Post an folgende Adresse zu senden:
Registrierungsstelle des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Europarat 67075 Strasbourg-Cedex Frankreich |
203
• | Die Erhebung der Beschwerde per Fax ist nicht mehr zulässig (§§ 1, 3 PD-I).[218] Nur ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Maßnahme kann per Fax (+ 33 388 41 39 00, Mo-Fr, 8.00-16.00 Uhr) eingereicht werden (näher hierzu Rn. 356 ff.).[219] |
204
• | Die telefonische Erhebung der Beschwerde ist formwidrig (vgl. § 1 PD-I).[220] Auch eine Beschwerdeeinlegung per Email ist nicht möglich.[221] Eine elektronische Kommunikation des Bf. mit dem Gerichtshof ist erst nach Beschwerdeeinreichung und auch dann allein nach Maßgabe der PD Electronic Filing by Applicants (Stand 14.11.2016) möglich. |
205
Die (Individual-)Beschwerde[222] ist grundsätzlich unter Verwendung des u.a. im Internet zur Verfügung gestellten Beschwerdeformulars zu erheben (Rule 47 Abs. 1). Im Moment läuft außerdem ein Pilotprojekt für ein elektronisches Beschwerdeformular in Schweden und den Niederlanden.[223]
206
Hinweis
Das Beschwerdeformular (Application form) mit entsprechenden Erläuterungen (Notes for filling in the application form) sowie diverse Merkblätter für die Einreichung von Individualbeschwerden sind auf der Homepage des EGMR (www.echr.coe.int, Applicants) in zahlreichen europäischen Sprachen, auch auf Deutsch, abrufbar.
207
In der Beschwerdeschrift sind anzugeben (die Reihenfolge ergibt sich aus dem Beschwerdeformular):
• | der Name, das Geschlecht, die Staatsangehörigkeit, der Beruf, das Geburtsdatum und der Geburtsort und die Adresse (einschließlich der Telefonnummer) des – unmittelbar betroffenen – natürlichen Bf.; bei juristischen Personen der vollständige Name, das Datum der Errichtung oder der Eintragung im Register, soweit vorhanden die amtliche Registernummer und die offizielle Adresse (Rule 47 Abs. 1 lit. a), |
• | ggf. der Name, der Beruf und die Adresse (einschließlich Telefon- und Faxnummer sowie Email-Adresse) seines Vertreters (Rule 47 Abs. 1 lit. b). |
208
Der Gerichtshof