217
Werden Beschwerden im Namen von mehreren Beschwerdeführern erhoben, die unterschiedliche Sachverhalte betreffen, so ist ein separates Beschwerdeformular für jeden einzelnen Beschwerdeführer einzureichen (§ 14 PD-I). Bei mehr als fünf Bf. hat der Bevollmächtigte zusätzlich eine Tabelle einzureichen, die die nötigen persönlichen Informationen über die einzelnen Bf. ausweist; ein Tabellenvordruck befindet sich auf der Homepage des EGMR (§ 15 PD-I).[239]
218
Der Beschwerde als Anlage beizufügen sind Kopien (§ 10 PD-I; keine Originale[240], keine CDs oder DVDs) aller einschlägigen Unterlagen, insbesondere der gerichtlichen oder sonstigen Entscheidungen, die sich auf den Gegenstand der Beschwerde beziehen (Rule 47 Abs. 3 lit. a). Der Bf. hat ferner – jeweils in Kopie – alle Unterlagen und Entscheidungen beizubringen, welche die Erfüllung der in Art. 35 Abs. 1 EMRK genannten Zulässigkeitsvoraussetzungen belegen, Rule 47 Abs. 3 lit. b (d.h. Nachweise für die Erschöpfung aller zumutbaren innerstaatlichen Rechtsbehelfe[241] und die Einhaltung der Beschwerdefrist). Ebenfalls mitzuteilen sind alle Schriftstücke, die der Gerichtshof als Beweismittel berücksichtigen soll (z.B. Protokolle, Zeugenaussagen).
219
Wird die Beschwerde vom Verfahrensbevollmächtigten des Bf. unterzeichnet, so muss ihr eine vom Bf. und vom Bevollmächtigten persönlich unterzeichnete Vollmacht (authority to act) beigefügt werden (Rule 45 Abs. 3 Nr. 1 lit. d).[242] Der Bf. bevollmächtigt den Vertreter auf Seite 3 des Beschwerdeformulars und unterzeichnet die Bevollmächtigung; der Vertreter unterschreibt ebenfalls auf Seite 3 des Beschwerdeformulars.[243] Weitere Unterschriften sind auf Seite 13 des Beschwerdeformulars erforderlich.
220
Hinweis
Die Kanzlei bittet darum, die Beschwerdeschrift einschließlich ihrer Anlagen weder mit Heftklammern noch mit Tesafilm oder auf sonstige Art und Weise miteinander zu verbinden. Stattdessen sollten die Seiten (einschließlich der Anlage) durchgehend nummeriert werden.[244]
221
Die Beschwerde muss lesbar geschrieben sein und sollte vorzugsweise auf einer Schreibmaschine bzw. mit Hilfe eines PC erstellt werden; dies ermöglicht eine schnellere Bearbeitung durch den Gerichtshof.[245]
222
Enthält die erhobene Beschwerde nicht sämtliche erforderlichen Angaben, so erhält der Bf. die Mitteilung, dass seine Beschwerde nicht die Voraussetzungen der Rule 47 erfüllt, die Akte nicht eröffnet und die Dokumente nicht behalten wurden.[246] Eine Fristwahrung kann danach nur erreicht werden, wenn eine vollständig neue Beschwerde mit allen erforderlichen Unterlagen eingereicht wird – und zwar auch dann, wenn vorher bereits Unterlagen an den Gerichtshof gesendet wurden.[247]
223
Solange die Beschwerde dem betroffenen Vertragsstaat noch nicht mitgeteilt worden ist[248], kann die Kommunikation des Gerichtshofs mit dem Bf. oder seinem Vertreter (und umgekehrt) entweder in einer der beiden Amtssprachen des Gerichtshofs (Englisch und Französisch; Rule 34 Abs. 1) oder in der Amtssprache eines Vertragsstaates (Rule 34 Abs. 2)[249] erfolgen. Dies gilt sowohl für die Einreichung von Schriftsätzen als auch für mündliche Erklärungen. Die Beschwerde darf also in deutscher Sprache verfasst werden. In Deutschland lebende Ausländer können die Beschwerde aber auch in ihrer Heimatsprache erheben, soweit es sich bei dieser Sprache um die Amtssprache eines Unterzeichnerstaates der EMRK handelt.
224
Die (erste) Antwort des Gerichtshofs erfolgt in der Regel in der vom Bf. für seine Beschwerde gewählten Sprache durch einen mit dieser Sprache vertrauten Mitarbeiter der Kanzlei; nicht selten kommt es aber auch schon in diesem Stadium zu einer Korrespondenz auf Englisch oder Französisch, was beim Empfänger je nach sprachlicher Affinität ggf. Übersetzungskosten verursacht.[250]
2. Grundsatz der freien Kommunikation mit dem Gerichtshof
225
Der Bf. hat das Recht auf ungehinderte Kommunikation mit dem Gerichtshof. Er darf weder bei der Einlegung der Individualbeschwerde noch im Laufe des anschließenden Verfahrens vor dem EGMR durch den betroffenen Staat an der effektiven Geltendmachung eines Konventionsverstoßes gehindert, geschweige denn zur Änderung oder gar Rücknahme der Beschwerde angehalten werden (Art. 34 Satz 2 EMRK). Weder auf den Bf. noch auf seine Angehörigen und Rechtsvertreter[251] darf von staatlicher Seite Zwang ausgeübt werden. Unzulässig sind unmittelbare Zwangswirkungen, Einschüchterungsversuche und sonstige unangemessene, indirekte Einflussnahmen, die den Bf. von der Einlegung oder Aufrechterhaltung einer Beschwerde abhalten sollen.[252]
226
„Dabei ist mit ‚Druck‘ nicht nur unmittelbarer Zwang und krasse Einschüchterung gegenüber Bf., ihren Familien oder ihren Anwälten zu verstehen, sondern auch andere unzulässige indirekte Handlungen oder Kontakte mit dem Ziel, Bf. davon abzuhalten oder sie zu entmutigen, eine Beschwerde nach der Konvention zu verfolgen. Ob Kontakte zwischen den Behörden und einem Bf. oder einem möglichen Bf. unter dem Gesichtspunkt von Art. 34 EMRK unzulässig sind, ist unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Falles zu entscheiden. In dieser Hinsicht sind die Verletzbarkeit des Bf. und seine Anfälligkeit für eine Beeinflussung durch die Behörden zu berücksichtigen.“[253]
227
Die Verletzung der staatlichen Pflicht aus Art. 34 Satz 2 EMRK kann im Rahmen der Individualbeschwerde (eigenständig) geltend gemacht werden;[254] einen Verstoß gegen Art. 8 und Art. 34 EMRK stellen bei inhaftierten Bf. sowohl gezielte Verzögerungen bei der Weiterleitung der Beschwerde als auch das (systematische) Öffnen und Kontrollieren der Korrespondenz mit dem Gerichtshof dar.[255] Den ungehinderten Schriftwechsel inhaftierter Beschuldigter mit dem Gerichtshof muss die Vollzugsanstalt durch die Bereitstellung von Papier, Briefumschlägen und Briefmarken sicherstellen.[256]
228
Im Gegensatz zum allgemeinen Schriftwechsel (mit Ausnahme der Verteidigerkorrespondenz) werden Schreiben eines Strafgefangenen an den EGMR nicht überwacht (§ 29 Abs. 2 Satz 2 StVollzG; Art. 32 Abs. 2 Satz 2 BayStVollzG; § 30 Abs. 3 Satz 2 NJStVollzG; § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 JVollzGB III; § 42 Abs. 3 Satz 2 BbgJVollzG; § 30 Abs. 3 Nr. 2 HmbStVollzG; §§ 35 Abs. 2, 33 Abs. 4 HStVollzG i.V.m. § 119 Abs. 4 Satz 2 Nr. 9 StPO; § 34 Abs. 3 Satz 2 StVollzG M-V; § 34 Abs. 3 Satz 2 SLStVollzG; § 41 Abs. 3 Satz 2 LJVollzG-Rh-P; §§ 34, 33 Abs. 4 Satz 2 SächsStVollzG; § 42 Abs. 3 Satz 2 ThürJVollzG; § 34 Abs. 3 Satz 2 BrStVollzG; § 26 Abs. 4 Satz 1 Nr. 7 StVollzG NRW; § 41 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 JVollzGB LSA). Voraussetzung ist allerdings, dass die Schreiben an den EGMR gerichtet sind und den Absender zutreffend angeben.
229
Das Gleiche gilt für Schreiben des EGMR an einen Strafgefangenen, wenn die Identität des Absenders (EGMR) zweifelsfrei feststeht (§ 29 Abs. 2 Satz 3 StVollzG; Art. 32 Abs. 2 Satz 3 BayStVollzG; § 30 Abs. 2 Satz 3 NJStVollzG; § 24 Abs. 3 S.2 JVollzGB III; § 42 Abs. 3 Satz 2 BbgJVollzG; § 30 Abs. 4