Person und Religion. Ciril Rütsche. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ciril Rütsche
Издательство: Bookwire
Серия: Tübinger Studien zur Theologie und Philosophie
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772000256
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des göttlichen Wesens gedacht, sich gegenseitig nicht ausschliessen, sondern gegenseitig verträglich sind.3 Das wird durch die Eigenschaft der VollkommenheitVollkommenheit nur bestätigt. Ewigkeit, Unendlichkeit, Allmacht und Vollkommenheit grenzen sich gegenseitig nicht aus, vielmehr weisen sie eine gegenseitige Harmonie und Verträglichkeit auf, die solcherart ist, dass sie erst in der EinheitEinheit mit allen anderen im vollen Masse sie selber sind. Mit einem Beispiel: Ewigkeit ohne Unendlichkeit ist keine Ewigkeit. Hierein fügen sich auch die von Feuerbach angeführten Eigenschaften der GerechtigkeitGerechtigkeit, der LiebeLiebe, der WeisheitWeisheit oder der GüteGüte. Auch sie sind mit der Unendlichkeit, der Ewigkeit usw. verträglich, ja sind erst in der Einheit mit allen anderen wahrhaft sie selber. Und ist irgendeine Eigenschaft mit einer anderen nicht verträglich, so handelt es sich bei der einen oder der anderen oder vielleicht auch bei beiden mit Sicherheit nicht um Attribute des vollkommenen Wesens.

      Die von FeuerbachFeuerbachLudwig angeführten Eigenschaften sind jedoch nicht nur gegenseitig verträglich, Feuerbach, der über nicht gering zu schätzende philosophisch-theologische Kenntnisse verfügte, wollte sie bestimmt auch in dem Sinne verstanden wissen, in dem AnselmAnselmvon Canterbury von Canterbury die göttlichen Eigenschaften verstanden hat, nämlich, dass sie zu haben oder zu sein absolut besser ist als sie nicht zu haben oder nicht zu sein.4

      Diese formalen Merkmale genügen, um zu verdeutlichen, dass FeuerbachFeuerbachLudwig sich in seinen anthropologisch-theologischen Ausführungen ausnahmslos auf solche Eigenschaften bezogen hat, die die Tradition als reine Vollkommenheitenreine Vollkommenheiten bezeichnet.5 Seien dies nun exklusiv göttliche Eigenschaften wie die EwigkeitEwigkeit oder die AllmachtAllmacht, oder seien dies Eigenschaften wie die GerechtigkeitGerechtigkeit, die BarmherzigkeitBarmherzigkeit, die LiebeLiebe, die WeisheitWeisheit oder die GüteGüte, welche auch den Menschen zukommen, von ihnen allen handelt Feuerbach, ohne zu bemerken, dass der ständig drohende und allüberall in der Welt zu beobachtende Verlust der ExistenzExistenz nur dem zukommen kann, was unvollkommen ist. Beim vollkommenen WesenWesen dagegen sind Sein und Wesen identisch, ja müssen identisch sein, denn vollkommen ist nur das WesenWesen, das den Grund seiner Existenz in sich selber hat, und das ist eben gerade seine VollkommenheitVollkommenheit.6

      5.2 Ludwig Wittgensteins Behauptung der Unsinnigkeit religiöser Aussagen1

      Nach Kants kopernikanischer Wende und Feuerbachs Reduzierung der ExistenzExistenz Gottes auf eine anthropomorphe Vorstellung, trat Ludwig WittgensteinWittgensteinLudwig (1889–1951) mit seiner sprachkritischen Wende (linguistic turnlinguistic turn) auf den Plan: „Alle Philosophie ist ‚Sprachkritik‘.“2 Wie schon KantKantImmanuel und ebenso auch FeuerbachFeuerbachLudwig die Möglichkeit metaphysischer Erkenntnisse als unbegründbar betrachteten, so verstand auch WittgensteinWittgensteinLudwig die Ergebnisse der Philosophie als „Entdeckung irgendeines schlichten Unsinns und Beulen, die sich der VerstandVerstand beim Anrennen an die Grenze der Sprache geholt hat“3. „Dieses Anrennen gegen die Wände unseres Käfigs ist völlig und absolut aussichtslos.“4 Weil in der EthikEthik und in der ReligionReligion aber trotzdem über diese Grenze der Sprache hinauszugelangen gesucht werde, mache „ihre Unsinnigkeit ihr eigentliches WesenWesen“ aus.5 „Die Grenze wird also nur in der Sprache gezogen werden können und was jenseits der Grenze liegt, wird einfach UnsinnUnsinn sein.“6 Deswegen führe er selbst „die Wörter von ihrer metaphysischen, wieder auf ihre alltägliche Verwendung zurück“7, denn „es sind nur Luftgebäude, die wir zerstören, und wir legen den Grund der Sprache frei, auf dem sie standen“8. Zu dieser alltäglichen Verwendung der Sprache ist auch die Reduktion der Religion auf ein kulturell bedingtes SprachspielSprachspiel zu rechnen, mit der er den Unterschied verfehlt, der zwischen einem WahrheitsanspruchWahrheitsanspruch und einem Sprachspiel liegt. „Alles Sprachspiel beruht darauf, dass Wörter und Gegenstände wiedererkannt werden“9, „das Sprechen der Sprache ein Teil ist einer Tätigkeit, oder einer Lebensform“10, und auch „der BegriffBegriff des Wissens ist mit dem des Sprachspiels verkuppelt“11.

      Für WittgensteinWittgensteinLudwig, zumal nach seinem Tractatus – für Joachim SchulteSchulteJoachim „ein Buch voller Lücken und Sprünge; ein Buch, in dem vieles nur angedeutet wird“12 –, zerfällt die WirklichkeitWirklichkeit in Dinge: „Ein Name steht für ein Ding, ein anderer für ein anderes Ding und untereinander sind sie verbunden, so stellt das Ganze – wie ein lebendes Bild – den SachverhaltSachverhalt vor.“13 „Der Sachverhalt ist eine Verbindung von Gegenständen. (Sachen, Dingen.)“14 Ein Bild der Wirklichkeit schliesslich ist der SatzSatz. „Der Satz ist ein Modell der Wirklichkeit, so wie wir sie uns denken.“15 Dabei bilden die Grenzen der Sprache zugleich die Grenzen jeder möglichen ErkenntnisErkenntnis, mit anderen Worten: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt. Die LogikLogik erfüllt die Welt; die Grenzen der Welt sind auch ihre Grenzen.“16

      An der ErkenntnistheorieErkenntnistheorie, so viel gleich zu Beginn, hatte WittgensteinWittgensteinLudwig kein echtes Interesse, sein „zentrales Anliegen war vom Anfang bis zum Ende seiner philosophischen Laufbahn das WesenWesen der Sprache“17.

      5.2.1 Sprache und WahrheitWahrheit

      Auf welcher wissenschaftstheoretischen Basis WittgensteinWittgensteinLudwig steht, zeigt sich etwa da, wo er vom Glauben an GottGott handelt: „Was immer der GlaubeGlaube an Gott sein mag, es kann kein Glaube an etwas sein, das wir nachprüfen oder durch Nachschauen herausfinden können.“1 Damit gibt er seine Zugehörigkeit zum sogenannten Wiener KreisWiener Kreis unmissverständlich zu erkennen, deren Mitglieder eine dezidiert empiristische und antimetaphysische Tatsachenforschung betrieben.2 Ein Mitglied war auch der weiter oben3 eingeführte Willard Van Orman QuineQuineWillard Van Orman, dessen naturalisierte ErkenntnistheorieErkenntnistheorie Wittgensteins denkerischen Hintergrund offen legt. QuineQuineWillard Van Orman ging davon aus, „dass jegliche BedeutungsgebungBedeutungsgebung für Wörter letztlich auf BeobachtungenBeobachtungen basieren muss“4, welche selbst wiederum eine empirische Grundlage in der „Reizung der SinnesrezeptorenSinnesrezeptoren“ haben.5

      Von da her ist auch Wittgensteins an die ReligionReligion gerichteter Unsinnigkeitsvorwurf zu verstehen. Fällt sie ihm doch gerade deswegen aus dem Rahmen der Wissenschaftlichkeit, weil sie die GewissheitGewissheit ihrer Sätze weder nachprüfen noch durch Nachschauen herausfinden könne. Seine ReligionskritikReligionskritik begründet WittgensteinWittgensteinLudwig mitunter auch dadurch, dass die religiöse Sprache ohnehin beständig Gleichnisse verwende. „Doch ein Gleichnis muss ein Gleichnis für etwas sein. Und wenn ich eine Tatsache mit Hilfe eines Gleichnisses beschreiben kann, muss ich ebenfalls imstande sein, das Gleichnis wegzulassen und die Fakten ohne es zu beschreiben.“6 Doch sobald das Gleichnis weggelassen und die zugrunde liegende Tatsache zu beschreiben versucht wird, „merken wir, dass es gar keine derartigen TatsachenTatsachen gibt. Und so scheint, was zunächst wie ein Gleichnis wirkte, nichts weiter zu sein als UnsinnUnsinn“7. UnsinnigUnsinnig sind die Sätze für WittgensteinWittgensteinLudwig im Übrigen dann, wenn sie keine Verbindung mit einem Ding der – empirisch verstandenen – WirklichkeitWirklichkeit herstellen, währendem sie sinnlossinnlos in all jenen Fällen sind, in denen sie unabhängig von Sachverhalten in der Wirklichkeit wahr oder falsch sind, wie beispielsweise bei Kontradiktionen oder TautologienTautologien.8 „Danach können Sätze nur dadurch SinnSinn haben, weil und indem sie empirische Erkenntnisse herstellen.“9 So deckt sich das Gebiet der sinnvollen Sprache mit den Sätzen der NaturwissenschaftNaturwissenschaft, mit dem einzig Sagbaren.10 Doch wenn die Rede über die Naturwissenschaft die einzig sinnvolle Rede ist, so sei kritisch gefragt, sind dann auch alle seine einschlägigen Schriften Unsinn? Wenn er in diese Richtung auch zu tendieren scheint,11 so kann innerhalb der Grenzen der Naturwissenschaft jedenfalls nicht bestimmt werden, dass nur die naturwissenschaftlichen Sätze sinnvoll sind.12

      Nicht anders als konsequent, weist er in seiner positivistischen Sichtweise das ontologische ArgumentArgument ebenso zurück wie GauniloGaunilo.13 „Das WesenWesen Gottes verbürge seine ExistenzExistenz“, wie er mit dieser Aussage konfrontiert ist, stellt er eine Frage, die der antimetaphysischen Linie gemäss ist, wie sie im Wiener KreisWiener Kreis vertreten wird: „Könnte man denn nicht auch sagen, das Wesen der Farbe verbürge ihre Existenz?“14