Wäre diese MethodeMethode – SchlussfolgerungSchlussfolgerung von den Wirkungen auf die UrsacheUrsache – nicht ganz nach Feuerbachs Muster? Ist es nicht im Sinne ebendieser Methode, wenn FeuerbachFeuerbachLudwig seine Gedanken auf Materialien gründet, „die wir uns stets nur vermittelst der Sinnentätigkeit aneignen können“ und „nicht den Gegenstand aus dem Gedanken, sondern umgekehrt den Gedanken aus dem Gegenstande“ erzeugen?4 Den Ausgang bei der WirkungWirkung, d.h. bei der sinnlichen Wahrnehmung der Welt, könnte er mit Thomas ja noch nehmen, doch scheitert er beim Schluss auf die Ursache. Denn erstens ist ihm nur das Gegenstand, „was ausser dem Kopf existiert“5 und zweitens ist das Erschlossene ja immer ein schon irgendwie Bekanntes. Wenn ihm aber nur Sinnliches bekannt ist, dann umgrenzt er seinen Gegenstandsbereich so eng, dass er den wesentlich unsinnlichen GottGott nicht mitumfassen kann.
5.1.4 Die BegründungBegründung seiner Behauptungen
FeuerbachFeuerbachLudwig hat nicht nur den ontologischen Gottesbeweisontologischer Gottesbeweis als ungültig zurückgewiesen, er hat die göttlichen Dinge insgesamt zu blossen Produkten der menschlichen Vorstellung erklärt. Doch womit begründet er diese Behauptungen eigentlich? Beruft er sich einzig und allein auf die sensualistischen Prinzipien? Selbstverständlich argumentiert Feuerbach auf der Basis des SensualismusSensualismus, doch haben seine Argumente allemal einen originellen Gehalt.
Wie begründet er nun etwa seine Behauptung: „Der MenschMensch ist der offenbare GottGott“1, bzw.: „der Gott des Menschen ist sein eignes WesenWesen“2? Und warum sagt der Mensch, was immer er „von Gott aussagt, […] in WahrheitWahrheit von sich selbst aus“3? Ja warum kann FeuerbachFeuerbachLudwig behaupten: „Das BewusstseinBewusstsein Gottes ist das SelbstbewusstseinSelbstbewusstsein des Menschen, die ErkenntnisErkenntnis Gottes die Selbsterkenntnis des Menschen“4? Wie aber versteht Feuerbach das Bewusstsein überhaupt und was macht ihm zufolge „die eigentliche Menschheit im Menschen aus“5? „Bewusstsein im strengen oder eigentlichen Sinne und Bewusstsein des Unendlichen ist untrennbar; beschränktes Bewusstsein ist kein Bewusstsein; das Bewusstsein ist wesentlich allumfassender, unendlicher NaturNatur.“6 „Aber was ist denn das Wesen des Menschen, dessen er sich bewusst ist“7? „Die VernunftVernunft, der Wille, das Herz.“8 AugustinusAugustinus hat mit diesen drei Kräften bekanntlich das ZielZiel erreicht, das er sich in seinem religionsphilosophischen Hauptwerk De trinitate gesteckt hatte, nämlich den Glauben an die Trinität Gottes durch die Herausarbeitung gewisser trinitarischer Strukturen im Menschen – dem Bilde Gottes – als vernünftig auszuweisen. Feuerbach hingegen veranlassen sie zu dem UrteilUrteil, dass „Wollen, Fühlen, Denken Vollkommenheiten sind“, was es unmöglich macht, „dass wir mit Vernunft die Vernunft, mit GefühlGefühl das Gefühl, mit WillenWillen den Willen als eine beschränkte, endliche d.i. nichtige Kraft empfinden und wahrnehmen“.9
Der MenschMensch ist sich seiner unendlichen Kräfte bewusst. Woraus FeuerbachFeuerbachLudwig folgert: „Die VernunftVernunft, welche GottGott als ein unbeschränktes WesenWesen denkt, die denkt in Gott nur ihre eigene Unbeschränktheit.“10 „Das reine, vollkommene, mangellose göttliche Wesen ist das SelbstbewusstseinSelbstbewusstsein des Verstandes, das BewusstseinBewusstsein des Verstandes von seiner eigenen VollkommenheitVollkommenheit.“11 „Der BeweisBeweis, dass das göttliche Wesen das Wesen der Vernunft oder Intelligenz ist, liegt darin, dass die Bestimmungen oder Eigenschaften Gottes […] Eigenschaften der Vernunft sind.“12 Insofern ist das Mass an Vernunft, über das ein gegebener Mensch verfügt, zugleich das Mass seines Gottes. „Denkst du Gott beschränkt, so ist dein VerstandVerstand beschränkt; denkst du Gott unbeschränkt, so ist auch dein Verstand nicht beschränkt.“13 „Aus seinem Gotte erkennst du den Menschen, und wiederum aus dem Menschen seinen Gott; beides ist eins.“14
5.1.5 Kritik an Feuerbachs ReligionskritikReligionskritik
Warum ist GottGott nichts anderes als eine menschliche Vorstellung? Weil, so FeuerbachFeuerbachLudwig, die Gott zugeschriebenen Eigenschaften (LiebeLiebe, WeisheitWeisheit, GüteGüte, VerstandVerstand, ExistenzExistenz, WesenWesen1, HeiligkeitHeiligkeit, GerechtigkeitGerechtigkeit, BarmherzigkeitBarmherzigkeit2) Eigenschaften des Menschen sind.
Du glaubst an die LiebeLiebe als eine göttliche Eigenschaft, weil du selbst liebst, du glaubst, dass GottGott ein weises, ein gütiges WesenWesen ist, weil du nichts Besseres von dir kennst als GüteGüte und VerstandVerstand, und du glaubst, dass Gott existiert, dass er also SubjektSubjekt oder Wesen ist […], weil du selbst existierst, selbst Wesen bist.3
Doch warum eigentlich ist FeuerbachFeuerbachLudwig sich dessen gewiss, dass diese Eigenschaften exklusiv menschliche sind? Was gibt ihm die GewissheitGewissheit, dass es sich hierbei nicht um primär göttliche Eigenschaften handelt, an welchen der MenschMensch als Geschöpf Gottes teilhat bzw. teilhaben kann und soll? Die Begründungen, mit denen Feuerbach seine Behauptungen zu stützen sucht, sind weder hinreichend noch überzeugend. Denn warum soll etwa der folgenden Behauptung zugestimmt werden: „Eine Eigenschaft ist nicht dadurch göttlich, dass sie GottGott hat, sondern Gott hat sie, weil sie an und für sich selbst göttlich ist, weil Gott ohne sie ein mangelhaftes WesenWesen ist“4? Feuerbach hat deutlich erfasst, dass es sich bei den göttlichen Eigenschaften um Vollkommenheiten handelt, welche in beschränktem Masse auch im Menschen realisiert sind. Zugleich aber hat er erfasst, dass diese Eigenschaften Gott in ihrer reinsten FormForm zukommen. Alleine der GlaubeGlaube überwindet nach ihm diesen Graben, alleine der Glaube personifiziert und vergegenständlicht diese Eigenschaften in ihrer reinsten und personifizierten Form. Womit wieder eine seiner schlecht begründeten Behauptungen im Raume steht: Denn warum kann die Reinform einer VollkommenheitVollkommenheit nicht anders als eine menschliche Setzung sein? Müsste nicht zumindest auch die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass das Mehr an objektiver Realität (realitas objectiva), d.h. die Reinform der im Menschen nur beschränkt realisierten Vollkommenheiten, in der UrsacheUrsache vorhanden ist? Kann diese Ursache jedoch überhaupt weltimmanent sein, muss sie nicht vielmehr transzendent, ja göttlich sein?
FeuerbachFeuerbachLudwig gibt im Übrigen selbst darüber Auskunft, weswegen ihn nichts von seiner Überzeugung hat abbringen können, dass GottGott ein AnthropomorphismusAnthropomorphismus, eine menschliche Vorstellung ist. Zwar bezeichnet er es als „eine Ausrede“, „man könne vom Übersinnlichen nichts wissen“.5 „Man weiss nur dann nichts von Gott und göttlichen Dingen, wenn man von ihnen Nichts mehr wissen mag.“6 Denn: „Wofür das Herz offen, das ist auch dem VerstandVerstand kein Geheimnis.“7 Und als wären diese Worte noch nicht klar genug, fährt er im unmittelbaren Anschluss daran weiter, indem er die Folgen der voluntativen Abwendung wie folgt umreisst:
So verlor denn auch die Menschheit in neuerer Zeit nur deswegen die Organe für die übersinnliche Welt und ihre Geheimnisse, weil sie mit dem Glauben an sie auch den SinnSinn für sie verlor, weil ihre wesentliche Tendenz eine antichristliche, antitheologische, d.h. eine anthropologische, kosmische, realistische, materialistische Tendenz war.8
Hat FeuerbachFeuerbachLudwig vielleicht Kenntnis erhalten von Schellings in den Jahren 1831/32 erstmals gehaltenen Vorlesungen über die Philosophie der OffenbarungOffenbarung?