Person und Religion. Ciril Rütsche. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ciril Rütsche
Издательство: Bookwire
Серия: Tübinger Studien zur Theologie und Philosophie
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772000256
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analoger Weise auf die ReligionsphilosophieReligionsphilosophie. Bereits in seiner – 1830 anonym erschienenen – Erstlingsschrift Gedanken über TodTod und UnsterblichkeitUnsterblichkeit lehnte er den Glauben an einen persönlichen GottGott entschieden ab. Dieser GlaubeGlaube, so in seinem religionskritischen Hauptwerk die Leitlinie seines Denkens markierend, „ist nichts andres als der Glaube an die Gottheit des Menschen“2, denn „was der MenschMensch von Gott aussagt, das sagt er in Wahrheit von sich selbst aus“3. Aus diesen Worten lässt sich in etwa ermessen, inwiefern Feuerbachs Vorstoss „in der neueren Geschichte der Philosophie und WissenschaftWissenschaft die radikalste Absage an das Christentum und die sie rechtfertigende Theologie und Philosophie“4 darstellt.

      5.1.1 Feuerbachs Thesen

      Wer aufgrund des Titels der Feuerbachschen Hauptschrift Das WesenWesen des Christentums auf eine Analysierung und VerifizierungVerifizierung des Christentums selbst oder auf eine gegen aussen gerichtete Verteidigung schliessen zu können meint, wird überrascht sein, die Behauptung zu vernehmen: „Die ReligionReligion ist die Entzweiung des Menschen mit sich selbst“1. Denn: „Der MenschMensch – dies ist das Geheimnis der Religion – vergegenständlicht sein Wesen und macht dann wieder sich zum Gegenstand dieses vergegenständlichten, in ein SubjektSubjekt, eine PersonPerson verwandelten Wesens“2. Mit anderen Worten: „Die Religion ist das Verhalten des Menschen zu seinem eignen Wesen […], aber zu seinem Wesen nicht als dem seinigen, sondern als einem andern, von ihm unterschiednen, ja entgegengesetzten Wesen“3. Was FeuerbachFeuerbachLudwig in die prägnante Formel fasst: „der GottGott des Menschen ist sein eignes Wesen“4. Das aber heisst: „Gott ist nichts an sich selber.“5 „Ob er ist oder nicht ist – es ist einerlei; wir gewinnen nichts durch sein Sein und verlieren nichts durch sein Nichtsein; denn wir haben an Gott nur eine Wiederholung von uns selbst.“6 Darum ist auch „die ErkenntnisErkenntnis Gottes die Selbsterkenntnis des Menschen“7. Ja, „das WissenWissen des Menschen von Gott ist das Wissen des Menschen von sich, von seinem eignen Wesen.“8 Und wie „der GlaubeGlaube, dass überhaupt ein Gott ist, ein AnthropomorphismusAnthropomorphismus“ ist, so sind auch die Prädikate, die Gott zugeschrieben werden, blosse „AnthropomorphismenAnthropomorphismen, d.h. menschliche Vorstellungen“.9 „Wie ich bin, so ist mein Glaube, und wie mein Glaube, so mein Gott.“10 Kurzum: „Dass Gott ein andres Wesen ist, das ist nur ScheinSchein, nur Einbildung.“11 Da also „zwischen dem göttlichen und menschlichen Subjekt oder Wesen kein Unterschied ist“, ist „der wahre SinnSinn der Theologie die AnthropologieAnthropologie“.12

      Bei der Verneinung der ExistenzExistenz Gottes macht sich der skeptische Einfluss Kants bemerkbar, für den, wie weiter oben gesehen, das ErkennenErkennen der Existenz Gottes unmöglich ist, zumindest das unmittelbare. Und obgleich FeuerbachFeuerbachLudwig eine gewisse Sympathie für den ontologischen Gottesbeweisontologischer Gottesbeweis bekundet – er nennt ihn den interessantesten BeweisBeweis, „weil er von innen ausgeht“13 –, hält er ihn trotzdem nicht für gültig. Nichtsdestotrotz übernimmt er Kants Kritik nicht vorbehaltlos, sondern unterzieht auch ihn selbst einer Kritik:

      KantKantImmanuel hat bekanntlich in seiner Kritik der Beweise vom Dasein Gottes behauptet, dass sich das Dasein Gottes nicht aus der VernunftVernunft beweisen lasse. KantKantImmanuel verdiente deswegen nicht den Tadel, welchen er von Hegel erfuhr. KantKantImmanuel hat vielmehr vollkommen recht: aus einem Begriffe kann ich nicht die ExistenzExistenz ableiten. Nur insofern verdient er Tadel, als er damit etwas Besonderes aussagen und der Vernunft gleichsam einen Vorwurf machen wollte. Es versteht sich dies von selbst. Die Vernunft kann nicht ein Objekt von sich zum Objekt der Sinne machen. Ich kann nicht im Denken das, was ich denke, zugleich ausser mir als ein sinnliches Ding darstellen.14

      Über die anthropologische Theologie bzw. die IdentitätIdentität von MenschMensch und GottGott hinaus tritt hier die Feuerbachsche ErkenntnistheorieErkenntnistheorie ans Licht.

      5.1.2 Feuerbachs erkenntnistheoretische Prinzipien

      „Nur durch die Sinne wird ein Gegenstand im wahren SinnSinn gegeben – nicht durch das Denken für sich selbst.“1 „Ein Objekt, ein wirkliches Objekt, wird mir nämlich nur da gegeben, wo mir ein auf mich wirkendes WesenWesen gegeben wird, wo meine Selbsttätigkeit […] an der Tätigkeit eines andern Wesens ihre Grenze – Widerstand findet.“2 Wobei nicht nur Äusserliches Gegenstand der Sinne ist, „nicht nur Fleisch, auch GeistGeist, nicht nur das Ding, auch das Ich ist Gegenstand der Sinne. – Alles ist darum sinnlich wahrnehmbar“3. Die GewissheitGewissheit betreffend behauptet FeuerbachFeuerbachLudwig: „Unbezweifelbar, unmittelbar gewiss ist nur, was Objekt des Sinns, der Anschauung, der Empfindung ist.“4 Ja, „sonnenklar ist nur das Sinnliche; nur wo die Sinnlichkeit anfängt, hört aller ZweifelZweifel und Streit auf. Das Geheimnis des unmittelbaren Wissens ist die Sinnlichkeit.“5 „WahrheitWahrheit, WirklichkeitWirklichkeit, Sinnlichkeit sind identisch.“6 Und die objektive Wahrheitobjektive Wahrheit? „Nur das durch die sinnliche Anschauung sich bestimmende und rektifizierende Denken ist reales, objektives Denken – Denken objektiver Wahrheit.“7 Diese DefinitionDefinition verweist wieder auf KantKantImmanuel, der auch schon dafür hielt, wie bereits erwähnt, dass die sinnlichen Anschauungen und die Begriffe die Elemente einer jeden ErkenntnisErkenntnis ausmachen.8

      Nicht auf KantKantImmanuel jedoch kann Feuerbachs erkenntnistheoretischer SensualismusSensualismus zurückgeführt werden. Dieser hat seine Wurzeln vielmehr in John Lockes Versuch über den menschlichen VerstandVerstand (1690).9 Was immer im menschlichen Verstande ist, so die zentrale Aussage dieser Schrift, war zuvor in den Sinnen. LockeLockeJohn unterscheidet zwischen der Sinnesempfindung (sensation) und der Wahrnehmung der Sinnesempfindung (reflection), wobei die reflection die sensation voraussetzt. Von da her lässt sich ermessen, wie er seine Aussage verstanden wissen will, dass alles, was im menschlichen Verstande ist, zuvor in den Sinnen war.10

      Lockes Lehre entwickelt Étienne Bonnot de CondillacCondillacÉtienne Bonnot de in seiner Abhandlung über die Empfindungen (1754) zu einem reinen SensualismusSensualismus weiter. Wie schon für LockeLockeJohn, so steht auch für CondillacCondillacÉtienne Bonnot de fest, „dass alle unsere Erkenntnisse aus den Sinnen stammen“11. Er hebt sich von LockeLockeJohn jedoch insofern ab, als er den eben zitierten SatzSatz für mangelhaft erklärt. Denn „wenn ich nicht weiss, wie sie daraus stammen, so werde ich glauben, dass wir sogleich alle Vorstellungen, die unsere Empfindungen in sich schliessen können, haben, wenn die Dinge Eindrücke auf uns machen, und werde irre gehen“12. Zwar verficht er mit LockeLockeJohn die Auffassung, dass der kognitive Prozess ausschliesslich bei den Empfindungen anhebt und die „Empfindungen die Quelle [aller] Kenntnisse“ sind, doch geht er über LockeLockeJohn insofern hinaus, als er die reflection verwirft und auf der alleinigen Basis der sensation „die Erinnerung an ihre vergangenen Empfindungen [als] ihren gesamten Inhalt“, ja als den „Inhalt aller unserer Erkenntnisse“ versteht.13 Und wie aus der Empfindung eines einzelnen Dinges eine Einzelvorstellung wird, so ist „ein Schema, das zu mehreren Einzeldingen passt, eine allgemeine Vorstellung“14. Ein WesenWesen oder eine SubstanzSubstanz aber gibt es für CondillacCondillacÉtienne Bonnot de nicht, empfunden werde immer nur je Dieses.15 Wenn nun „alle unsere Erkenntnisse aus den Sinnen“16 stammen, GottGott aber mittels der Sinne nicht empfunden werden kann, kann das Da- und SoseinSosein Gottes folglich auch nicht erkannt werden. Um in seinem System allerdings nicht ein Loch zu gewärtigen, spricht er – mit den DeistenDeisten seiner Zeit – vom „Weltschöpfer“17, welcher unverkennbare Züge einer schöpferischen NaturNatur (natura naturans) aufweist.18

      5.1.3 Die Zurückweisung des ontologischen Gottesbeweises

      Wer sich solch eine Sichtweise zu Eigen macht, der wird gemeinsam mit FeuerbachFeuerbachLudwig Kants Kritik am ontologischen Gottesbeweisontologischer Gottesbeweis mit dem Vorwurf zurückweisen: „Die VernunftVernunft kann nicht ein Objekt von sich zum Objekt der Sinne machen. Ich kann nicht im Denken das, was ich denke, zugleich ausser mir als ein sinnliches Ding darstellen.“1 Ein Sensualist wie CondillacCondillacÉtienne Bonnot de oder Feuerbach geht davon aus, dass ein Gegenstand nur durch die Sinne gegeben wird, „nicht durch das Denken für sich selbst“2. Insofern verständlich,