Person und Religion. Ciril Rütsche. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ciril Rütsche
Издательство: Bookwire
Серия: Tübinger Studien zur Theologie und Philosophie
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772000256
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diesem Sinne eine religiöse Aussage getätigt bzw. ein religiöses UrteilUrteil gefällt, beispielsweise, der endliche MenschMensch kann zu der unendlichen und vollkommenen PersonPerson Gottes betenbeten, dann liegen das SubjektSubjekt (die endliche Person) und das PrädikatPrädikat (zu der unendlichen und vollkommenen Person Gottes beten) nicht jenseits der Erfahrbarkeit und damit auch nicht der Erkennbarkeit. Sowohl das notwendige SoseinSosein der menschlichen Person als auch dasjenige Gottes können von innen her erfahren und die darin gründenden Sachverhalte mit absoluter GewissheitGewissheit erkannt werden.9 Und wenn die Prädikatsbestimmtheit des „Zu-der-unendlichen-und-vollkommenen-Person-Gottes-Betens“ auf den Subjektsgegenstand „Endliche Person“ bezogen und mit der KopulaKopula „Können“ behauptet wird, mit dem wirklichen Bestehen dieses Sachverhalts übereinzustimmen, dann handelt es sich dabei mit Sicherheit nicht um ein unsinniges, sondern vielmehr um ein äusserst tiefsinniges Urteil.

      Ein anderes Beispiel wäre die Ableitung eines Sollens aus einem Sein, deren Begründbarkeit schon HumeHumeDavid bestritt. Sollte und sollte nicht könne nicht von einem ist oder ist nicht abgeleitet werden. Die Beziehung zwischen den Gegenständen des Seins und Sollens sei nicht in der Beziehung dieser Gegenstände selbst begründet, in der sie zueinander stünden. Es müsste, so HumeHumeDavid, „ein Grund angegeben werden für etwas, das sonst ganz unbegreiflich scheint, nämlich dafür, wie diese neue Beziehung zurückgeführt werden kann auf andere, die von ihr ganz verschieden sind“10. Und überdies könne diese Beziehung nicht durch die VernunftVernunft erkannt werden.11 Jedoch, wie gegen HumeHumeDavid einzuwenden ist, wird niemand bestreiten, einmal abgesehen von einem ganz entarteten Menschen, dass das Sehen selbst eines unbekannten Kindes, mit der die eigene PersonPerson in keinerlei verwandtschaftlicher oder rechtlicher Beziehung steht, es aufgrund seiner Würde auf den ersten Anblick verbietet, es in irgendeiner Weise zu misshandeln oder auszunützen. Im Sinne Humes wäre das ein FehlschlussFehlschluss vom Sein auf das SollenSollen. Doch ist das tatsächlich ein Fehlschluss? Ist das nicht vielmehr eine unmittelbare Erfahrung des diesem Kind zukommenden Wertes der MenschenwürdeMenschenwürde, die die eigene Person affiziert? Beim metaphysischen UrteilUrteil, dass unschuldige Kinder nicht misshandelt werden sollen, kann das „Nicht-misshandeln-Sollen“ evidenterweise vom menschlichen Sein abgeleitet und apodiktischapodiktisch behauptet werden.

      Wobei es um die Sinnhaftigkeit in punkto Verstehbarkeit in diesen beiden Beispielen freilich ganz anders bestellt ist als bei einem Beispiel einer empirischen Tatsache, z.B., dass der Löwe ein Fleischfresser ist. Mit dem „sinnvollen intellektuellen Prozess“ des Verstehens, das das „WissenWissen um die Bedeutung der Wörter und das KennenKennen der Sprache“ voraussetzt und dadurch „einen ganz eigenen Typus der Erfahrung“ ermöglicht,12 hat auch von HildebrandHildebrandDietrich von sich auseinandergesetzt. Grundlegend ist seine Differenzierung zwischen der Bedeutung eines Wortes, dem BegriffBegriff, dem SatzSatz und dem SachverhaltSachverhalt. Während die Bedeutung eines Wortes ein Begriff ist und das WortWort auf einen Gegenstand zielt, zielt der Satz auf einen Sachverhalt.13 Das VerstehenVerstehen – „ein ausgesprochen rezeptiver Akt, ein Aufnehmen“14 – unterscheidet er sodann in drei Stufen. Von diesen drei Stufen sind die ersten beiden Stufen, nämlich „die Belehrung über den SinnSinn eines Wortes“ und „die Festigung dieser Kenntnis, bis sie mir geläufig ist“, an dieser Stelle nicht von Relevanz, sondern einzig die dritte Stufe, nämlich „der Gebrauch des Wortes im Meinen des Objektes und im BehauptenBehaupten eines Sachverhaltes durch einen Satz“.15

      Die Unterscheidung, die von HildebrandHildebrandDietrich von auf dieser Stufe einführt, versteht sich von seiner ErkenntnistheorieErkenntnistheorie her. So bezieht er sich in erster Linie auf die Fälle, bei denen „der Inhalt des Mitgeteilten oder Behaupteten ein wesensnotwendiger SachverhaltSachverhalt“ ist, dessen VerstehenVerstehen in die Lage versetzt, „diesen selbst in seiner EvidenzEvidenz zu erkennen“ und das Verstehen eine rationale IntuitionIntuition der objektiven ExistenzExistenz dieses Sachverhalts ermöglicht.16 Darum ist die MitteilungMitteilung „nur ein Anlass, aber nicht die Quelle der ErkenntnisErkenntnis und unseres Wissens um seine Gültigkeit“17. Auch ist die Existenz des Sachverhalts ebenso wie das WissenWissen um ihn durch das WesenWesen garantiert, in dem er gründet, und nicht durch die Aussage des Mitteilenden.

      Anders verhält es sich, wenn der Inhalt des Mitgeteilten oder Behaupteten „kein wesensnotwendiger SachverhaltSachverhalt, sondern ein kontingentes Gesetz oder ein konkretes reales Faktum“18 ist. Im Falle einer solchen MitteilungMitteilung oder Behauptung beruht die Überzeugung von der ExistenzExistenz des Sachverhalts darauf, dass sie der eigenen PersonPerson gesagt oder von jemandem niedergeschrieben wurde. „Jedenfalls ist das VerstehenVerstehen nicht nur als Unterlage erforderlich, um eine rationale IntuitionIntuition zu ermöglichen, sondern auf ihm baut sich ein Erfahren durch die betreffende Aussage auf, ein Annehmen des in ihr enthaltenen Anspruchs auf die WirklichkeitWirklichkeit des Mitgeteilten.“19

      Werden diese Ausführungen über das VerstehenVerstehen mit einer analogen Stelle bei WittgensteinWittgensteinLudwig verglichen, zeigt sich der zwischen WittgensteinWittgensteinLudwig und von HildebrandHildebrandDietrich von in Sachen der Philosophie bestehende Unterschied in aller Deutlichkeit. Es ist der Unterschied zwischen einem Logischen PositivistenPositivisten und einem Realistischen Phänomenologen. Während das Verstehen für diesen eine rationale IntuitionIntuition in das WesenWesen und die objektive ExistenzExistenz eines gegebenen Sachverhalts ermöglicht, besagt das Verstehen für jenen, womit er sich jedoch nicht auf einen SachverhaltSachverhalt, sondern auf den SatzSatz bezieht: „wissen was der Fall ist, wenn er wahr ist“20. Woraus er folgert: „Man kann ihn also verstehen, ohne zu wissen, ob er wahr ist.“21 Das gibt sein Bewegen in dem engen Gehäuse der LogikLogik, ohne Bezug zur ObjektivitätObjektivität, deutlich zu erkennen.

      Es gibt bei WittgensteinWittgensteinLudwig allerdings auch Stellen, die ein philosophisches VerstehenVerstehen der ReligionReligion und der personalen Bedingungen eines solchen Verstehens vermuten lassen.22 Stellen, mit denen er seine TheseThese implizit in Frage zu stellen scheint. Dass er gewisse Merkmale der Religion verstanden hat, gibt er beispielsweise da zu erkennen, wo er vom Dialog des Menschen mit GottGott handelt: „Gott kannst du nicht mit einem Andern reden hören, sondern nur, wenn du der Angeredete bist.“23 Vielsagend sind dann aber auch die Stellen, an denen er sich zu den Bedingungen des religiösen Verhältnisses äussert.24 Doch schränkt er eine übertriebene Erwartung mit einer Aussage wieder ein, die einerseits zwar für eine gewisse Religiosität zu sprechen scheint, die andererseits aber seine Unsinnigkeitsthese untermauert: „Ich könnte ihn ‚das Vorbild‘, ja ‚Gott‘ nennen – oder eigentlich: ich kann verstehen, wenn er so genannt wird; aber das WortWort ‚Herr‘ kann ich nicht mit SinnSinn aussprechen.“25 Nur unter der Voraussetzung könnte ihm das etwas sagen, wie er bekennt, „wenn ich ganz anders lebte“26.27

      5.2.3 Das Ineinander von Philosophie und ReligionReligion

      Dass die religiösen Aussagen nicht unsinnig sind, erweist sich nicht alleine daran, dass die LogikLogik und die ErkenntnistheorieErkenntnistheorie mit den Sachverhalten eine ontologische Grundlage haben, die – wie sich gezeigt hat – auf eine andere Art verstanden werden können als die Sätze (nämlich auf dem Wege einer rationalen IntuitionIntuition), sondern auch daran, dass der AntwortAntworttheoretische des Glaubens eine intellektöffnende WirkungWirkung zukommen kann. Freilich ist dieses ErkennenErkennen aufgrund des Glaubens immer abhängig vom Gegenstand und der jeweiligen Glaubensintensität. Wären die religiösen Aussagen aber UnsinnUnsinn, gäbe es in der WirklichkeitWirklichkeit kein ihnen entsprechendes Korrelat. Wenn dem Glauben jedoch eine vernunftgemässe Wirkung eignet, muss auch das Korrelat real sein, dem Glauben geschenkt wird. Diese Erfahrung hat nicht nur von HildebrandHildebrandDietrich von gemacht,1 diese Erfahrung haben auch Denker wie AnselmAnselmvon Canterbury von Canterbury oder Duns ScotusDuns ScotusJohannes gemacht, die die Eigenschaften des vollkommenen Wesens zu unterscheiden wussten. Denn eindeutig gibt AnselmAnselmvon Canterbury alleine schon im Titel seiner Schrift Proslogion (Anrede) und sodann auch quer durch die ganze Schrift hindurch seinen Glauben an GottGott zu erkennen, den er durch die von ihm beschriebenen Denkschritte immer besser zu verstehen sucht und schliesslich auch besser versteht, entsprechend seinem Programm: fides quaerens intellectumfides quaerens intellectum.

      Bereits