Person und Religion. Ciril Rütsche. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ciril Rütsche
Издательство: Bookwire
Серия: Tübinger Studien zur Theologie und Philosophie
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772000256
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der Sachverhalt ebenso notwendig ist, wie die notwendige Einheit, in der der Sachverhalt gründet. Worauf im erwähnten Abschnitt ebenfalls hingewiesen wurde. Besitzt ein Seiendes also ein notwendiges Sosein, dann ist ein jedes seiner Verhalten, sei es zu sich selber, sei es zu anderem, ebenso notwendig wie das Sosein selbst. Das lässt sich an einem einfachen Beispiel aufzeigen: Die Zahl Zwei hat ein notwendiges Sosein, und da sie dies hat, ist auch das additive Verhalten zur Zahl Drei ein notwendiges, ein mit absoluter Gewissheit erkennbares: 2 + 3 = 5.

      5.1.5.2 Die göttlichen Prädikate als menschliche Vergegenständlichung?

      Vor diesem Hintergrund zeichnen sich die Eigenheiten des Feuerbachschen Denkens deutlich ab, was die Entfaltung einer Stelle aus dem WesenWesen des Christentums nur bestätigt:

      Ein wahrer Atheist, d.h. ein Atheist im gewöhnlichen Sinne, ist daher auch nur der, welchem die Prädikate des göttlichen Wesens, wie z.B. die LiebeLiebe, die WeisheitWeisheit, die GerechtigkeitGerechtigkeit Nichts sind, aber nicht der, welchem nur das SubjektSubjekt dieser Prädikate Nichts ist. Und keineswegs ist die Verneinung des Subjekts auch notwendig zugleich die Verneinung der Prädikate an sich selbst. Die Prädikate haben eine eigene, selbständige Bedeutung; sie dringen durch ihren Inhalt dem Menschen ihre Anerkennung auf; sie erweisen sich ihm unmittelbar durch sich selbst als wahr; sie bestätigen, bezeugen sich selbst. GüteGüte, Gerechtigkeit, Weisheit sind dadurch keine Chimären, dass die ExistenzExistenz Gottes eine Chimäre, noch dadurch Wahrheiten, dass diese eine WahrheitWahrheit ist.1

      FeuerbachFeuerbachLudwig trennt die göttlichen Prädikate hier vom göttlichen WesenWesen, und während er dieses zu einer Chimäre erklärt, spricht er jenen „eine eigene, selbständige Bedeutung“ zu.2 Inwiefern aber kommt GüteGüte, GerechtigkeitGerechtigkeit, WeisheitWeisheit, LiebeLiebe eine selbständige Bedeutung zu und aus welchem Grund erweisen sie sich unmittelbar durch sich selbst als wahr? Die AntwortAntworttheoretische auf diese Frage ist seinem sensualistischen Prinzip zu entnehmen: „WahrheitWahrheit, WirklichkeitWirklichkeit, Sinnlichkeit sind identisch.“3 Daraus folgt nichts anderes, als dass den geistigen Haltungen (Gerechtigkeit usw.) darum eine selbständige Bedeutung zukommt und sie sich darum unmittelbar durch sich selbst als wahr erweisen, weil sie sinnlich wahrgenommen werden. Bekanntlich ist dem Sensualisten Feuerbach ja ausnahmslos alles ein Gegenstand der Sinne.4 Und ob eine gegebene Sinneswahrnehmung mit der Wirklichkeit übereinstimmt, entscheidet sich für ihn im Zweifelsfalle am intersubjektiven KonsensKonsens5; eine Lehre, die sich von der oben dargelegten grundsätzlich unterscheidet. Während das GewissheitskriteriumGewissheitskriterium bei dieser die evidente ErkenntnisErkenntnis selbst ist und es keiner ausserhalb ihrer selbst gelegenen BegründungBegründung bedarf,6 bleibt die Wahrheit bei jener – wie bereits gesagt – beeinfluss- und manipulierbar.

      Von da her ist die GerechtigkeitGerechtigkeit, um nur eines der oben genannten „Prädikate des göttlichen Wesens“7 zu verwenden, so zu verstehen, dass die Mehrheit der Menschen sich explizit oder implizit darauf geeinigt hat, „jedem das Seine zu geben“ zu einem Sollensgebot zu erklären. Warum aber wird die Gerechtigkeit mehrheitlich so begriffen, dass es besser ist, gerecht zu sein, als es nicht zu sein? In sachlicher Hinsicht wird man nicht fehl gehen, FeuerbachFeuerbachLudwig ein WortWort John Stuart Mills (1806–1873) in den Mund zu legen, der in seiner Schrift Utilitarianism – 1. Aufl. 18618, also noch zu Lebzeiten Feuerbachs – das grösstmögliche GlückGlück zum ZielZiel und ZweckZweck menschlichen Handelns erklärt hat. Dabei sind die erstrebenswerten Dinge wegen der inhärenten LustLust oder als Mittel zur Förderung von Lust bzw. zur Vermeidung von Unlust erstrebenswert. Und wie für Feuerbach, so bedarf die VerifizierungVerifizierung auch für MillMillJohn Stuart des Konsenses; freilich nicht mit unbestimmten Personen, sondern mit den Erfahrenen. Jedenfalls hat auch MillMillJohn Stuart keinen erkenntnismässigen Zugang zu den Sachen selbst, auch seine GewissheitGewissheit ist abhängig vom UrteilUrteil anderer.

      Doch zurück zu FeuerbachFeuerbachLudwig. Nach ihm ist das SubjektSubjekt der göttlichen Prädikate eine menschliche Vergegenständlichung. Das heisst, der MenschMensch stellt in sich gewisse Eigenschaften fest, die er als positivwertig beurteilt und in vervollkommneter FormForm dem göttlichen WesenWesen zuschreibt. Was er deswegen tut, weil alleine das göttliche Wesen den menschlichen Wunsch nach Seligkeit zu befriedigen vermag.9 Insofern ist der GlaubeGlaube an GottGott aber „nichts anderes als das Wesen der SelbstliebeSelbstliebe“10. Wie immer diese BegründungBegründung beurteilt werden mag, entscheidend ist die Übereinstimmung mit der WirklichkeitWirklichkeit. Und gerade das ist die Frage: Ist das göttliche Wesen tatsächlich „das SelbstbewusstseinSelbstbewusstsein des Verstandes, das BewusstseinBewusstsein des Verstandes von seiner eigenen VollkommenheitVollkommenheit“11? Ja, zieht Feuerbach die angemessene SchlussfolgerungSchlussfolgerung aus der folgenden Tatsache: „Gott ist nicht, was der Mensch ist – der Mensch nicht, was Gott ist. Gott ist das unendliche, der Mensch das endliche Wesen; Gott vollkommen, der Mensch unvollkommen; Gott ewig, der Mensch zeitlich; Gott allmächtig, der Mensch ohnmächtig; Gott heilig, der Mensch sündhaft“12? Feuerbachs Intention jedenfalls ist unter Berücksichtigung seiner weiter oben genannten Thesen klar zu erkennen. Er behauptet, die göttlichen Eigenschaften seien die zu unendlicher Perfektion gesteigerten menschlichen Eigenschaften.

      Doch, ermöglichen die menschlichen Eigenschaften denn überhaupt eine SteigerungSteigerung ins Unendliche? Und vor allem, können die göttlichen Eigenschaften überhaupt Steigerungsformen sein? Wenngleich die ethische Qualität der Sündhaftigkeit zweifelsohne Raum bietet für eine axiologische Verbesserung, ebenso wie der menschliche VerstandVerstand für eine Steigerung der Intelligenz, so sind UnendlichkeitUnendlichkeit, VollkommenheitVollkommenheit, EwigkeitEwigkeit oder AllmachtAllmacht weder steigerungsfähig noch können sie das Ergebnis einer Steigerung sein. Und zwar deswegen nicht, weil sie sich in der Welt nicht finden, sondern etwas schlechthin Neues sind. So etwa ist unter der göttlichen Eigenschaft der Ewigkeit nicht eine bloss potentielle Ewigkeit zu verstehen, d.h. ein beständiges Übergehen vom Noch-nicht-Sein zum Sein, welches im Übrigen ein metaphysisches Prinzip ausser seiner selbst bedingt, sondern ein absolutes Freisein von jedem Seinszuwachs und Seinsverlust. Was immer jedoch in der Welt begegnet, unterliegt diesem Übergang. Folglich kann die Ewigkeit aus ihr nicht abgeleitet sein. Vielmehr kann das Zeitliche nur aufgrund der Kenntnis des intelligiblen und notwendigen Wesens der Ewigkeit als Zeitliches überhaupt erst erkannt werden, wie schon BonaventuraBonaventura gezeigt hat.13 Ebenso wie mit der Ewigkeit verhält es sich mit der Unendlichkeit, der Allmacht und der Vollkommenheit.

      5.1.5.3 Die einzigen Momente eines adäquaten Gottesbegriffs

      Bei den göttlichen Eigenschaften kann es sich nicht um anthropomorphe Vorstellungen handeln. Und das nicht alleine deswegen, weil die göttlichen Eigenschaften unerfindbar-notwendig sind, sondern auch deswegen, weil sie aus der defizitären Welt nicht abgeleitet werden können. Womit der Grund gelegt ist, um dem von FeuerbachFeuerbachLudwig abgelehnten ontologischen Gottesbeweisontologischer Gottesbeweis – id quo maius nihil cogitari possit – wieder in sein Recht zu verhelfen. Feuerbach hat ja behauptet, dass die Ineinssetzung von Gottes ExistenzExistenz und WesenWesen nur ein vom Wesen des menschlichen Verstandes abgezogener BegriffBegriff sei.1 Was er deswegen behauptet hat, „weil nur die Existenz der VernunftVernunft Vernunft ist; weil, wenn keine Vernunft, kein BewusstseinBewusstsein wäre, alles nichts, das Sein gleich Nichtsein wäre“2. Die Gebrechlichkeit dieses Arguments liegt offen zutage, denn einerseits kann die notwendige reale Existenz ebensowenig wie die EwigkeitEwigkeit aus dem Bereich des Endlichen abgeleitet werden, andererseits hat er den Kern des ontologischen Arguments damit gerade nicht erfasst. Das ontologische ArgumentArgument zielt auf die EinsichtEinsicht, dass GottGott aufgrund seiner unendlichen personalen und sittlichen VollkommenheitVollkommenheit notwendigerweise existiert, ja nur als Existierender vollkommen ist. Dagegen ist es evident, dass die menschliche Vernunft nicht notwendigerweise existieren muss; verwiesen sei nur auf einen Tyrannen, der mithilfe seiner Vernunft vieles getan hat, was er besser nicht getan hätte, sodass es für die Betroffenen eine Erleichterung sein wird, wenn sie Kenntnis von seinem TodTod erhalten.

      FeuerbachFeuerbachLudwig, der der ErkenntnisErkenntnis des Sachverhalts der notwendigen ExistenzExistenz des vollkommenen Wesens nahe stand, sie aber aus Gründen, die weiter unten noch zu beleuchten sind,