Wie immer es sich hiermit verhalten mag, mit seinen zuletzt genannten Worten lässt FeuerbachFeuerbachLudwig jedenfalls tief in sein Innenleben blicken. Da er sich im Klaren darüber zu sein scheint, dass das intellektuelle Vermögen des voluntativen Beitrags bedarf, sind seine Behauptungen und Begründungen als Bekenntnis zu werten, diesen voluntativen Beitrag nicht aufzubringen. Letztlich interessiert hier aber nicht Feuerbachs Willensrichtung – davon wird weiter unten zu handeln sein12 –, sondern die göttliche Sache an sich selbst. Sie soll in der Folge in den Blick genommen und methodisch freigelegt werden. Dazu ist in erster Linie der Nachweis erforderlich, dass die Sinne nicht alleine die Wahrnehmung von kontingenten Gegenständen ermöglichen, sondern die Sinneswahrnehmungen vielfach Hand in Hand gehen mit der Wahrnehmung von Notwendigem. Es wird sich zeigen, wie der MenschMensch bei der – nicht bloss analytischen, sondern synthetischen – ErkenntnisErkenntnis eines notwendigen Objektes eine GewissheitGewissheit erlangen kann, die den von Feuerbach eingeforderten KonsensKonsens als WahrheitskriteriumWahrheitskriterium13 als unangemessen und erzwungen erscheinen lässt. Was allerdings nicht so verstanden sein will, dass tatsächlich alle Menschen die die Sinnlichkeit übersteigenden Erkenntnisse mit EvidenzEvidenz erlangen. Denn dazu bedarf es immer auch des bereits erwähnten voluntativen Beitrags. Wenngleich gewisse Erkenntnisse auch ohne ihn erlangt werden können, so handelt es sich dabei immer um neutrale Objekte. Sobald es sich jedoch um bedeutsame Objekte handelt, ist der voluntative, der intellektöffnende Beitrag unabdingbar. Wenn diese Nachweise sich erbringen lassen, werden Feuerbachs sensualistische Fundamente von selbst einstürzen und den Weg zu einer BegründungBegründung der objektiven ExistenzExistenz Gottes freigeben.
5.1.5.1 Erkenntnistheoretische Grundlegung der Antikritik
„Nur durch die Sinne wird ein Gegenstand im wahren SinnSinn gegeben“1, nur durch die Sinne erschliesst sich FeuerbachFeuerbachLudwig zufolge die WirklichkeitWirklichkeit.2 Wie aber kann man sich ihrer gewiss sein, wie mit Sicherheit wissen, dass das Wahrgenommene sich auch in Wirklichkeit so verhält? Feuerbachs sensualistische Grundfeste geraten hier bedenklich ins Wanken. Denn einerseits erklärt er die Sinnlichkeit zum unmittelbaren Zugang zu unbezweifelbarem WissenWissen3 und „das durch die sinnliche Anschauung sich bestimmende und rektifizierende Denken“ zum „Denken objektiver WahrheitWahrheit“,4 andererseits scheint dieses unbezweifelbare Wissen so unbezweifelbar gerade nicht zu sein, muss doch immer auch „die Probe der ObjektivitätObjektivität“5 bestanden werden. Welche dann bestanden ist, „wenn sie der andere ausser Dir, dem sie Objekt sind, auch anerkennt“6. Wenn die Objektivität einer Wahrheit jedoch nur zukommt, sofern ein intersubjektiver KonsensKonsens besteht, steht die Unbezweifelbarkeit solchen Wissens doch auf ziemlich wackligen und v.a. auf manipulier- und beeinflussbaren Füssen.
Wo und wie die objektive WahrheitWahrheit auf evidente, den intersubjektiven KonsensKonsens erübrigende Weise erkannt werden kann, sei in der Folge dargetan. Dabei wird die weiter oben dargelegte ErkenntnistheorieErkenntnistheorie Dietrich von Hildebrands einer praktischen Anwendung zugeführt. Ausgangspunkt bildet die Wahrnehmung eines hier und jetzt Gegebenen. Wofür sich die LiebeLiebe anerbietet, von der FeuerbachFeuerbachLudwig selbst an verschiedenen Stellen handelt. Ob er der Liebe eine einende Kraft beimisst und sie mit der Empfindung gleichsam in eins setzt7 oder sie intentional auf das Wohl des anderen gerichtet sein lässt,8 Feuerbach hat die Liebe offensichtlich erfahren. Das WissenWissen, das er durch diese Erfahrungen erworben hat, würde er selbst wohl als unbezweifelbar bezeichnen, ansonsten hätte er die SelbstliebeSelbstliebe kaum mit Bestimmtheit von den genannten beiden Liebesarten abzugrenzen vermocht.9 Er wusste, wie komplex die Liebe ist, er wusste, wie verschieden die Intentionen sind, die alle mit demselben Namen bezeichnet werden.10 Doch wie und woher kommt ihm diese GewissheitGewissheit eigentlich zu, seiner Erkenntnistheorie entsprechend sind seine Erfahrungen doch auf die Anzahl der gemachten Sinneswahrnehmungen beschränkt? Feuerbach fehlt zweifelsohne der archimedische Punktarchimedische Punkt, ihm fehlt der Grund, weswegen er sich seines Wissens um die Liebe so sicher ist. Kurzum: Ihm fehlt das BewusstseinBewusstsein, dass es den kognitiven Zustand der unbezweifelbaren Gewissheit nur darum gibt, weil bestimmte Seiende über ein innerlich notwendiges SoseinSosein verfügen und weil es einzig die in einem solchen Sosein gründenden Sachverhalte sind, die mit absoluter Gewissheit erkannt werden können.
Um diese TheseThese dem Verständnis näher zu bringen, sei sie im Einzelnen auseinandergesetzt. Ausgangspunkt bildet das schwerlich zu bestreitende WortWort, dass das WissenWissen die Frucht des Erkennens ist, wie es sich mit einer gegebenen Sache in dieser oder jener Hinsicht verhält. So kann – mit FeuerbachFeuerbachLudwig – beispielsweise erkannt werden, dass die menschliche PersonPerson über die Kräfte des Denkens, Fühlens und Wollens verfügt, über Kräfte, die sich auf das Verhalten des Menschen sowohl zu sich selber wie zu anderem – seien es Personen, seien es apersonale Dinge – erstrecken.11 Gleichermassen lässt sich mit Feuerbach die ErkenntnisErkenntnis erlangen, dass die LiebeLiebe das Merkmal aufweist, auf das Wohl des anderen gerichtet zu sein. Es lässt sich aber auch erkennen, dass der Nachbar heute heiter gestimmt ist, oder dass sein Sohn ein neues Auto fährt. Es ist unbestreitbar, dass die letzteren Erkenntnisse sich von den beiden erstgenannten unterscheiden: Während die ersteren zu allgemeingültigem und unbezweifelbarem Wissen führen, kommen die letzteren nicht darüber hinaus, in ein Wissen nur einiger weniger Menschen und erst noch in ein subjektiv gefärbtes zu münden. Warum aber dieser Unterschied? Die AntwortAntworttheoretische ist in den jeweiligen Sachen selbst zu suchen, sie sind der Grund der kognitiven Unterschiede. Und zwar sind sie es insofern, als die einen Sachen kontingentkontingent, die anderen aber innerlich notwendig sind. Oder ist die Heiterkeit vielleicht ein notwendigerweise zur genannten Person gehörendes Charakteristikum, oder allenfalls das Fahren eines neuen Autos zu seinem Sohn? Offensichtlich nicht! Wie aber steht es mit Denken, Fühlen, Wollen als selbst- bzw. fremdbezogenen Akten und wie mit dem WohlwollenWohlwollen als Element der Liebe?
Gegenstand sind nicht mehr zwei individuelle Menschen – der genannte Nachbar und sein Sohn –, sondern Gegenstand sind nun zwei notwendige Wesenheiten: die PersonPerson und die LiebeLiebe. Können auch sie in individuellen Menschen wahrgenommen werden, so deswegen, weil das betreffende Individuum trotz seiner Limitiertheit den Blick auf die notwendige Wesenheit freigibt. Wobei die Wesenheit dank ihrer inneren NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive und IntelligibilitätIntelligibilität ein VerstehenVerstehen von innen her und ein absolut gewisses ErkennenErkennen der in ihr gründenden Sachverhalte ermöglicht. Was allerdings in jedem Falle die Erfahrung der betreffenden Seienden bedingt, denn ohne beispielsweise das SoseinSosein der Liebe erfahren zu haben, kann auch der SachverhaltSachverhalt nicht erkannt werden, dass der Liebende um das Wohl des Geliebten bemüht ist. Wenngleich die SoseinserfahrungSoseinserfahrung häufig auf der Basis einer Sinneswahrnehmung vonstatten geht, so heisst das allerdings nicht, sie könne nur so vonstatten gehen. Das Sosein kann z.B. auch bei der Lektüre eines literarischen Werks oder in einem Traum erfahren werden.
Zur abschliessenden Erhellung sei mit von HildebrandHildebrandDietrich von nochmals darauf aufmerksam gemacht, dass das SoseinSosein eines jeden seienden Etwas eine EinheitEinheit ist. Ist das Sosein bei den einen chaotisch bzw. zufällig (z.B. bei einer Tonfolge, die keine Melodie ist), ist es bei den anderen trotz aller Sinnhaftigkeit kontingentkontingent (z.B. bei einem Krokodil), so ist es bei wieder anderen innerlich notwendig (z.B. bei der LiebeLiebe). Ein notwendiges Sosein zeichnet sich dadurch aus, dass es über eine innere Konsistenz verfügt, welche es unmöglich macht, dass es auch anders sein könnte, bei dem die Wegnahme auch nur eines Merkmals die Einheit zerstören würde. Was im erkenntnistheoretischen Abschnitt dieser Untersuchung bereits aufgezeigt wurde und sich an der Liebe oder an der WahrheitWahrheit ebenso ermessen lässt wie an der GerechtigkeitGerechtigkeit, der Zahl, dem WillenWillen oder dem VerzeihenVerzeihen, um hier nur einige zu nennen. Nur diese in sich notwendigen EinheitenEinheitenchaotische, zufällige, morphische ermöglichen ein zweifelsfreies ErkennenErkennen ihres Verhaltens. Wobei es sich nicht um blosse TautologienTautologien handelt, sondern um wissenserweiternde, um synthetische Erkenntnisse, die a apriori erlangt werden und nicht durch empirische Beobachtung fundiert sind. Doch warum und inwiefern