Person und Religion. Ciril Rütsche. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ciril Rütsche
Издательство: Bookwire
Серия: Tübinger Studien zur Theologie und Philosophie
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772000256
Скачать книгу
HildebrandHildebrandDietrich von zur Sprache gebracht hat, hier nicht abschliessend erwähnt werden, so geben alleine schon die angeführten zu erkennen, dass sie die genannten Merkmale der reinen Vollkommenheitenreine Vollkommenheiten aufweisen. Warum das ontologische ArgumentArgument für von HildebrandHildebrandDietrich von trotzdem ungültig war, bleibt eine offene Frage. Fehlte es ihm schlicht und einfach an überzeugenden Begründungen? Dafür scheint jedenfalls eine Anmerkung aus dem bereits genannten Werk von Josef SeifertSeifertJosef zu sprechen, der ausdrücklich davon spricht, dass von HildebrandHildebrandDietrich von sehr aufgeschlossen gewesen sei gegenüber der Möglichkeit, dass das ontologische Argumentontologische Argument, angemessen begründet, gültig sein könne.6

      Da von HildebrandHildebrandDietrich von quer durch sein Schrifttum GottGott immer wieder als Inbegriff aller WerteWerte bezeichnet, sei im Anschluss an die Auseinanderlegung der reinen Vollkommenheitenreine Vollkommenheiten als den einzigen Momenten eines adäquaten Gottesbegriffs schliesslich auch das Verhältnis abschliessend zu bestimmen gesucht, in dem die Werte und die reinen Vollkommenheitenreine Vollkommenheiten zueinander stehen. Die leitende Frage geht dahin, ob Gott seinem WesenWesen nach oder qua Schöpfer als Inbegriff aller WerteInbegriff aller Werte zu verstehen ist. Wenn mit dem Inbegriff aller Werte auf sein Wesen abgezielt wird, dann müssten alle Werte reine Vollkommenheiten sein, geben sie alleine die göttlichen Wesenseigenschaften doch angemessen wieder. Wenn Gott qua Schöpfer als Inbegriff aller Werte verstanden sein soll, dann wiederum müssten nicht alle Werte notwendigerweise reine Vollkommenheiten sein.

      Aus dem weiter oben dargelegten Merkmal der WerteWerte sowie den Merkmalen der reinen Vollkommenheitenreine Vollkommenheiten geht hervor, dass die reinen Vollkommenheitenreine Vollkommenheiten aufgrund ihrer intrinsischen BedeutsamkeitBedeutsamkeit Werte sind. Reine Vollkommenheiten finden sich unter den ontologischen, den sittlichen, den intellektuellen wie auch unter den ästhetischen Werten, doch nicht in dem Sinne, als wären alle diesbezüglichen Werte reine Vollkommenheiten. Denn was die ontologischen Werte betrifft, so sind nur einige davon reine Vollkommenheiten. Eine reine VollkommenheitVollkommenheit ist beispielsweise der Wille, keine reine Vollkommenheiten sind dagegen die Farbe oder die MenschenwürdeMenschenwürde. Von den intellektuellen Werten sind ebenfalls nur einige reine Vollkommenheiten, und zwar jene, die nicht wesenhaft die BegrenztheitBegrenztheit des Intellekts voraussetzen, sondern das WesenWesen des Intellekts als solchen betreffen. Auch von den ästhetischen Werten zählen nur einige zu den reinen Vollkommenheitenreine Vollkommenheiten. Während dazu etwa vollkommene EinheitEinheit oder absolute SchönheitSchönheit gehören, sind Charme, Eleganz und dergleichen keine reinen Vollkommenheitenreine Vollkommenheiten.

      Bei der Familie der sittlichen WerteWerte verhält es sich schliesslich so, dass bei vielen dieser Werte – z.B. bei der GüteGüte, der WahrhaftigkeitWahrhaftigkeit, der GerechtigkeitGerechtigkeit oder der LiebeLiebe, die von HildebrandHildebrandDietrich von GottGott zugeschrieben hat7 – es sich um reine Vollkommenheiten handelt. Bei anderen sittlichen Werten fällt es wiederum schwer, sie Gott zuschreiben zu wollen, z.B. bei der BescheidenheitBescheidenheit oder der DemutDemut, so als könnten sie in unendlicher göttlicher FormForm existieren, auch wenn es gemäss dem christlichen Glauben eine spezifisch gottmenschliche Demut gibt. Keine reinen Vollkommenheitenreine Vollkommenheiten, die Gott zugeschrieben werden können, sind – kurz gesagt – jene, die die kreatürliche BegrenztheitBegrenztheit und Geschaffenheit des Subjekts voraussetzen. Da sie keine UnendlichkeitUnendlichkeit zulassen, sind diese sittlichen Werte den gemischten Vollkommenheiten zuzurechnen. Zu ihnen gehört u.a. auch die ReueReue, die an die SündeSünde gebunden ist und daher für Gott sinnlossinnlos wäre, des Weiteren die Verzichtsbereitschaft oder der Opferwille, die eindeutig menschliche Dimensionen haben, und Gott von da her nicht zugeschrieben werden können. Anders stellen sich die Verzichtsbereitschaft und der Opferwille oder auch MitleidMitleid und GeduldGeduld und v.a. BarmherzigkeitBarmherzigkeit freilich für die PersonPerson dar, die an die Menschwerdung Gottes glaubt. Dann gibt es beispielsweise eine göttliche Verzichtsbereitschaft (auf das Festhalten an seiner Gottheit) oder einen göttlichen Opferwillen aus Liebe, der sich in der Menschwerdung, der Passion und der Kreuzigung des Gottmenschen offenbart.

      Ein grosses Problem stellen schliesslich die rein göttlichen moralischen Vollkommenheiten dar, die scheinbar die SchöpfungSchöpfung voraussetzen und nicht vor dieser im rein göttlichen Leben gedacht werden können, wie z.B. die BarmherzigkeitBarmherzigkeit; denn GottGott kann doch nicht sich selber gegenüber barmherzig sein, oder die GerechtigkeitGerechtigkeit, da Gott nicht sich selber gegenüber Gerechtigkeit widerfahren lassen kann. Dieses Problem wird noch schwerer, wenn an die scheinbar höchste moralische VollkommenheitVollkommenheit Gottes gedacht wird, die das BöseBösedas vorauszusetzen scheint, nämlich die göttliche Sündenvergebung. Braucht Gott etwa das BöseBösedas, um diese Vollkommenheit zu besitzen? Ja ist es auch nur denkbar, dass Gottes ewiges Leben vor der Schöpfung weniger vollkommen gewesen ist als nach ihr, auch wenn in der ewigen göttlichen GüteGüte und LiebeLiebe das Geschöpf und die SündeSünde vorausgesetzt sind? Die reinen Vollkommenheitenreine Vollkommenheiten, die potentiellpotentiell Barmherzigkeit, VergebungVergebung etc. einschliessen, scheinen Gott seit Ewigkeiten zu eignen, auch wenn deren Ausübung das Geschöpf oder sogar die Sünde voraussetzt. Dieser grob skizzierte Komplex an ungelösten Fragen gibt jedenfalls klar zu erkennen, dass grosse AporienAporien angesichts der reinen Vollkommenheitenreine Vollkommenheiten bestehen, die den Menschen und das BöseBösedas voraussetzen.8

      Abschliessend lässt sich immerhin so viel mit GewissheitGewissheit festhalten, dass alle reinen Vollkommenheitenreine Vollkommenheiten WerteWerte, nicht alle Werte aber reine Vollkommenheiten sind.

      4.6 Was spricht eigentlich dafür, dass die WerteWerte in GottGott gründen, ja brauchen die Werte überhaupt einen SeinsgrundSeinsgrund? – Einige Gedanken zum werttheoretischen GottesbeweisGottesbeweis

      Wenngleich von HildebrandHildebrandDietrich von GottGott als „die GüteGüte, die WahrhaftigkeitWahrhaftigkeit, die GerechtigkeitGerechtigkeit, die LiebeLiebe“1 bezeichnet und er Gott sogar als „Inbegriff aller WerteWerte, vor allem der Gerechtigkeit, Liebe und HeiligkeitHeiligkeit“2 versteht, wo liegen die Wurzeln dieser Begriffe? „Begriffe sind an sich ‚Medien‘, durch die unser GeistGeist auf das Seiende sinnvoll abzielt.“3 Was im vorliegenden Zusammenhang besagen will, dass die oben genannten Begriffe – der Güte Gottes, seiner Gerechtigkeit, seiner unendlichen Liebe usw. – meinend auf das Sein Gottes abzielen. Doch welche Argumente sprechen eigentlich dafür, dass sich das Vermeinte auch in WirklichkeitWirklichkeit so verhält, dass v.a. die moralischen Werte in Gott ihr letztes Fundament und ihre letzte Wurzel haben? Und damit verbunden, warum benötigen diese in sich bedeutsamen Entitäten überhaupt einen SeinsgrundSeinsgrund? Oder anderes gefragt: Sind die Werte nicht in sich selbst stehende, autonome Wirklichkeiten?

      Diese Fragen seien in der Folge zu beantworten gesucht. Ein erstes ArgumentArgument stammt von von HildebrandHildebrandDietrich von und hebt an beim Sehen der SchönheitSchönheit einer Landschaft, z.B. der italienischen. Dabei „erfassen wir, dass die Schönheit in ihrer letzten SubstanzSubstanz eins ist mit der Substanz der LiebeLiebe, dass sie gleichsam eine objektivierte Liebe in etwas ‚Apersonalem‘ ist“4. Mit Max SchelerSchelerMax gesprochen, kann hier natürlich nichts definiert werden, „wie bei allen letzten Wertphänomenen. Wir können hier nur auffordern, genau hinzusehen“5. In diesem Sinne spricht auch von HildebrandHildebrandDietrich von weder von einem ErkennenErkennen noch von einem Definieren, sondern von einem dem Objekt angemessenen AhnenAhnen: „Dieser Zusammenhang von Wert und Liebe lässt uns ahnen, dass GottGott der Inbegriff der Liebe ist, da er der wesenhaft Vollkommene ist, der personale Inbegriff, die Inkarnierung aller WerteWerte, und darum auch die Liebe.“6

      Dass die moralischen WerteWerte ihren SeinsgrundSeinsgrund in der vollkommenen PersonPerson Gottes haben, dafür sprechen zuallererst die moralischen Aktemoralischen Akte selbst. Bekanntlich setzen diese Akte die FreiheitFreiheit voraus, die selbst wiederum wesenhaft die VerantwortungVerantwortung impliziert. Die Verantwortung besteht im Letzten aber nicht gegenüber einem Menschen, denn dieser weiss – aufgrund seiner Unvollkommenheit und KontingenzKontingenz – nicht um das Mass und die Grenzen unserer Freiheit. Auch kennt er die letzten Gründe unseres Handelns und die innersten freien Entscheidungen nicht. Kein anderer MenschMensch kommt als letzter