Bei seinem Versuch, für das Dasein Gottes zu argumentieren, geht Thomas von AquinThomas von Aquin von dem Unterschied zwischen dem möglichen und dem notwendigen Sein aus. Seinen Ausgang nimmt er bei dem, „was dem Entstehen und Vergehen unterworfen ist“, was ebenso gut sein wie nicht sein kann. Dazu gehören die oben genannten zufälligen und die morphischen EinheitenEinheitenchaotische, zufällige, morphische. Nun kann aber nicht alles in den Bereich der Dinge fallen, die auch nicht sein können, „denn das, was möglicherweise nicht ist, ist irgendwann einmal auch tatsächlich nicht da oder nicht da gewesen“. Da das mögliche Sein aber eine offensichtliche und allgegenwärtige Realität ist, muss es einen Anfang genommen haben „durch etwas, was bereits ist“. Denn gab es überhaupt kein Sein, „dann war es auch unmöglich, dass etwas anfing zu sein, und so wäre auch heute noch nichts da“, was offenbar falsch ist. Also kann nicht alles dem Bereich der Dinge zugehören, die ebenso gut sein wie nicht sein können. Es muss etwas geben, das keine Möglichkeit hat, nicht zu sein, mit anderen Worten: das notwendig ist. „Alles notwendige Sein aber hat den Grund seiner NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive entweder in einem anderen oder nicht in einem anderen, sondern in sich selbst.“ Bei den oben behandelten notwendigen Soseinseinheiten oder Wesenheiten handelt es sich in diesem Sinne um Notwendigkeiten, die den Grund ihrer NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive in einem anderen haben. Aufgrund der Unmöglichkeit eines Regresses ins Unendliche, „müssen [wir] also ein Sein annehmen, das durch sich notwendig ist und das den Grund seiner NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive nicht in einem anderen Sein hat, das vielmehr selbst der Grund für die NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive aller anderen notwendigen WesenWesen ist“. Dieses Sein aber, das den Grund seiner NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive in sich selbst hat, „wird von allen ‚GottGott‘ genannt“.18
Handelt es sich bei dieser ErkenntnisErkenntnis von Gottes realem Dasein nun um eine apriorische Erkenntnis? Dietrich von HildebrandHildebrandDietrich von differenziert: Zwar sei die ExistenzExistenz Gottes in sich absolut notwendig, doch sei ihre Erkenntnis nicht apriorisch, sie könne vielmehr „nur durch die Erkenntnis eines endlichen Seienden erkannt werden“19. Doch obwohl die Erkenntnis der Existenz Gottes quoad nos kontingentkontingent sei, sei die Erkenntnis trotzdem „nicht empirisch im gewöhnlichen SinnSinn des Wortes“20. Und zwar ist die Erkenntnis der Existenz Gottes darum nicht empirisch, weil sie nicht auf induktivem Weg erlangt wird. Den Ausgangspunkt bildet die RealkonstatierungRealkonstatierung irgendeines kontingenten Seienden. Der Rückschluss auf GottGott basiert sodann „auf dem Wesenszusammenhang, dass jedes endliche kontingent Seiende einer UrsacheUrsache für seine Existenz bedarf“21. Wie auch Thomas verstanden hat, „ist die Annahme einer unendlichen extramundanen Ursache unbedingt notwendig“22, denn jede Angabe einer endlichen Ursache würde das Problem nur verschieben und letztlich an der Unmöglichkeit eines regressus in infinitumregressus in infinitum scheitern.
In diesem SinnSinn ist der Schluss von einem kontingenten Seienden auf die ExistenzExistenz eines unendlichen Gottes eben gerade nicht induktiver NaturNatur, denn er geht nicht von möglichst vielen BeobachtungenBeobachtungen aus und erreicht auch nicht nur den Gewissheitsgrad höchster Wahrscheinlichkeit. „Er ist vielmehr lückenlos und stringent und steigt auf Grund eines apriorischen Wesenszusammenhanges zu der conclusio auf. So zeigt sich auch, inwiefern die ErkenntnisErkenntnis „nicht empirisch im gewöhnlichen Sinn des Wortes“23 ist. Empirisch ist nur die erste Prämisse der Realexistenz eines kontingenten Seienden. „Legt man in dieser Prämisse die Realexistenz des eigenen Selbst, das im cogito gegeben ist, zugrunde, so hat man sogar eine absolut gewisse RealkonstatierungRealkonstatierung, und die Erkenntnis des absolut Seienden erreicht dieselbe Erkenntnisdignität wie apriorische Sachverhalte“; diesen SatzSatz fasst er noch exakter, indem er beifügt: „wenigstens in Bezug auf die Gewissheitsstufe“.24
Bei den übrigen thomasischen Argumentationsgängen25 verhält es sich ebenso: nicht von aussen, sondern von innen her wird der SachverhaltSachverhalt der notwendigen ExistenzExistenz Gottes erkannt. Obzwar nicht apriorisch – im Sinne der absolut gewissen ErkenntnisErkenntnis des im WesenWesen Gottes gründenden Sachverhalts der notwendigen Existenz –, so dennoch aufgrund des apriorischen Wesenszusammenhangs, dass jedes endliche kontingentkontingent Seiende einer UrsacheUrsache für seine Existenz bedarf. Und damit von der Konstatierung eines endlich Seienden letztlich zu dessen unendlicher Ursache. Dabei, so von HildebrandHildebrandDietrich von, werde dieselbe Gewissheitsstufe erreicht wie bei der Erkenntnis apriorischer Sachverhalte.
Dass er sich des freien Beitrags der PersonPerson bewusst war, den die Erlangung dieser ErkenntnisErkenntnis bedingt, hat er in seinen Schriften wiederholt gezeigt. Was schliesslich das ArgumentArgument von der Unmöglichkeit eines unendlichen Regresses betrifft, so reicht auch dieses nur in dem Masse hin, in dem die Person ihren freien Beitrag geleistet hat, denn im Sinne einer potentiellen UnendlichkeitUnendlichkeit ist der unendliche Regress ja keine Denkunmöglickeit.
2 Die UrsacheUrsache des PersonPerson-Seins
Einen ähnlich gelagerten Gedankengang teilte von HildebrandHildebrandDietrich von einst Karla MertensMertensKarla (1913–2005) mit, die ihn während der Zeit seiner Privatdozentur in München (1918–1933) kennen gelernt, zahlreiche seiner Schriften ins Deutsche übersetzt und herausgegeben hat und über Jahre Präsidentin der von ihr und Balduin SchwarzSchwarzBalduin (1902–1993) gegründeten Dietrich-von-HildebrandHildebrandDietrich von-Gesellschaft war. Für ihn, so von HildebrandHildebrandDietrich von anlässlich dieses Gesprächs, „sei die Tatsache, dass PersonPerson-Sein die vollkommenste Stufe des Wirklichen überhaupt ist, der überzeugendste Erweis dafür, dass Urgrund und Ursprung der SchöpfungSchöpfung nur ein personaler GeistGeist sein könne“1. Etwas ApersonalesApersonales „könne nach allen Regeln der KausalitätKausalität nicht die UrsacheUrsache von etwas Höherem, Vollkommenerem sein“2. Unabweislich folge aus dem WesenWesen der Person, wie es im Menschen wahrgenommen werden könne, „dass das höchste Sein – GottGott – Person sein müsse“3. „Ein anschaulicherer und einleuchtenderer GottesbeweisGottesbeweis lässt sich meines Erachtens kaum denken“4, wie Karla MertensMertensKarla diese von Hildebrandsche Gedankenfolge kommentiert und beurteilt.
Von HildebrandHildebrandDietrich von bezeichnete den Unterschied zwischen dem Apersonalen und dem Personalen als den „grösste[n] innerhalb des Seienden“5. Wie weiter oben bereits erwähnt und anhand von Pascals denkendem Schilfrohr veranschaulicht wurde, kommt der menschlichen PersonPerson eine metaphysische Existenzweise zu. Bei der philosophischen Erörterung der menschlichen Person „gelangen wir in das Herzstück der MetaphysikMetaphysik“6. Die menschliche Person „ist ein bewusstes, ein Ich besitzendes, in sich zusammengehaltenes, sich selbst besitzendes, freies WesenWesen“7. Sie ist „die eigentlichste SubstanzSubstanz“8, „die höchste FormForm des Substantiellen überhaupt“, denn bei ihr findet „der Charakter des Individuums und der ‚Welt für sich‘ seine höchste, prototyphafte Ausprägung“.9 Das Sein der Person ist „wesentlich von allen anderen Seinsarten unterschieden als bewusstes, von innen durchleuchtetes Sein“10. Auch für René DescartesDescartesRené „ist es vermöge der natürlichen EinsichtEinsicht offenbar, dass zum mindesten ebensoviel Realität in der gesamten wirkenden UrsacheUrsache (causa efficiens) vorhanden sein muss, wie in der WirkungWirkung eben dieser Ursache“11. Die Behauptung, das ApersonaleApersonaledas könne Ursache des Personalen sein, widerspricht dieser natürlichen Einsicht, wie überdies auch dem logischen Grundsatz vom zureichenden Grundzureichender Grund.12 Denn zureichend ist der Grund nur dann, wenn er den vollen Behauptungsgehalt des Urteils stützt, wenn sonst nichts weiter erforderlich ist, um das UrteilUrteil wahr zu machen. Dass aber das ApersonaleApersonaledas den zureichenden Grundzureichender Grund gerade nicht enthält, um die genannte Behauptung zu stützen, das ApersonaleApersonaledas könne Ursache des Personalen sein, ist evident.
Von HildebrandHildebrandDietrich von machte in dem Zusammenhang auch auf das Vorurteil aufmerksam, „dass man von dem ontologisch Niedrigeren aufsteigen müsse zu dem Höheren, um das Höhere zu verstehen“13. Ebenso hat er auf die Tendenz hingewiesen, „etwas als umso unbezweifelbarer anzusehen, je niedriger es ontologisch