Person und Religion. Ciril Rütsche. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ciril Rütsche
Издательство: Bookwire
Серия: Tübinger Studien zur Theologie und Philosophie
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772000256
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Problemkreise diskutiert und ihre Zugehörigkeit zum philosophischen ErkennenErkennen geprüft. An erster Stelle das Problem der Erkennbarkeit der AussenweltErkennbarkeit der Aussenwelt. Dass es sich dabei um ein metaphysisches Problem handelt, darauf verweisen sowohl KantKantImmanuel als auch der sogenannte Wiener KreisWiener Kreis1. KantKantImmanuel sprach von einem „Skandal der Philosophie und allgemeinen Menschenvernunft, das Dasein der Dinge ausser uns […] bloss auf Glauben annehmen zu müssen, und, wenn es jemand einfällt es zu bezweifeln, ihm keinen genugtuenden BeweisBeweis entgegenstellen zu können“2. Der Wiener Kreis wiederum vertrat in seiner antimetaphysischen Einstellung die Auffassung, dass die Aussagen über Realität oder Nichtrealität der Aussenwelt sinnlossinnlos, weil nicht verifizierbar seien. Als sinnvoll galten in ihrem Kreis nur die Aussagen, welche sich in empirischer Überprüfung als wahr oder falsch erweisen lassen.3

      Eines ist klar: Wären alle Gegenstände der Welt nur Erscheinungen (Phänomena) im Sinne Kants, so müsste ihnen die volle ObjektivitätObjektivität abgesprochen werden. Von HildebrandHildebrandDietrich von vertritt demgegenüber die „TheseThese, dass die existentielle Rolle, die alle bedeutungsvollen Aspekte im menschlichen Universum spielen – ob sie notwendige Wesenheiten sind oder nicht –, uns davor bewahrt, sie als eine Art von TäuschungTäuschung zu betrachten“4. Ihre bedeutungsvolle BotschaftBotschaft ist einer Täuschung offensichtlich entgegengesetzt. Sei dies nun die Wahrnehmung eines Sonnenuntergangs, sei es das Verkosten der alpinen SchönheitSchönheit oder sei es die Farbenpracht der Laubbäume im Prozess des Verfärbens: Was im Frühling und im Sommer grüner Farbe war, das erscheint im Herbst in einem Gemisch von grünen, bräunlich-gelben bis rötlichen FarbenFarben, welche ihre Pracht im Sonnenglanz voll entfalten können. Was die WirklichkeitWirklichkeit vom IrrtumIrrtum, was Täuschung von objektiver, gültiger ErscheinungErscheinung trennt, ist die Frage, ob eine solche Botschaft vorliegt oder nicht. Die elektromagnetischen Wellen sind jedenfalls nicht wirklicher als die Farben, sie haben vielmehr die Funktion der Basis, auf dass Farben erscheinen können.

      Von HildebrandHildebrandDietrich von weiss die Botschaftsobjektivität auf überzeugende Weise anhand des Kunstwerks zu veranschaulichen. Wenn der Künstler verschiedene Mittel verwendet, um bestimmte Wirkungen hervorzubringen, dann sind diese Wirkungen der Grund, weswegen die Mittel zu ihrer Erlangung verwendet wurden. Und gesetzt den Fall, ein Betrachter erfasste den künstlerischen Gehalt nicht, so hätte er weder das Thema noch die BotschaftBotschaft des Kunstwerks verstanden. Dieselben Unterscheidungen weiss von HildebrandHildebrandDietrich von auch im Falle einer Symphonie zu machen. Hielte man nur die Instrumente und die Bewegungen, die die Musiker ausführen, für wirklich, die Musik selber aber für ein Nebenprodukt, so wäre die ganze Ordnung der Symphonie auf den Kopf gestellt. „Die Bewegungen der Musiker sind sinnlossinnlos und lächerlich, wenn man von der Musik absieht, die hervorzubringen sie bestimmt sind. Die Musik ist raison d’être dieser Bewegungen.“5

      Die Frage nach der objektiven Gültigkeitobjektive Gültigkeit einer ErscheinungErscheinung erhält ihr besonderes Gewicht, wenn die Welt als SchöpfungSchöpfung Gottes und der MenschMensch als Herr der Schöpfung verstanden werden. Dann enthalten viele Dinge dieser Welt eine BotschaftBotschaft Gottes an die Menschen. „Botschaft bedeutet hier den gottgegebenen oder gottgewollten Aspekt eines Gegenstandes der NaturNatur.“6 An dieser Stelle ist jedoch nicht der Botschaftscharakter gewisser Erscheinungen in der Welt thematisch, davon wird weiter unten die Rede sein,7 sondern die Frage nach der Begründbarkeit der objektiven ExistenzExistenz der Aussenwelt. Um diese zu begründen, greift von HildebrandHildebrandDietrich von auf das SollenSollen zurück. Nicht auf das moralische Sollen, sondern auf das Sollen im Sinne des So-erscheinen-Sollens. So kann er sagen: „Die Berge sollen aus der Ferne blau aussehen, ebenso wie in einem Gemälde die Perspektive den Eindruck des Raumes geben oder der Kontrast gewisse FarbenFarben mehr hervortreten lassen soll.“8 Desgleichen, wenn ein NaturwissenschaftlerNaturwissenschaftler lehren würde, dass der Himmel in WirklichkeitWirklichkeit nicht blau, sondern schwarz sei. Dann wäre es falsch, die schwarze Farbe für objektiver und authentischer zu halten und die blaue Farbe zu einem blossen ScheinSchein zu erklären. „Die blaue Farbe des Himmels hat einen voll objektiven Charakter. Er soll so aussehen. Dies ist ein tiefes, bedeutsames Element in einer Weltsicht, die klassisch menschlich, aber gerade deshalb gültiger ist.“9

      Ebenso verhält es sich mit der FormForm des Himmels als eines Gewölbes mit horizontaler und vertikaler Dimension. Auch sind die Kategorien von oben und unten kein blosser ScheinSchein, denen in der WirklichkeitWirklichkeit kein Platz zukommt. Wo der Empirist John LockeLockeJohn auf die sekundären Sinnesqualitäten gestossen ist – d.h. auf Vorstellungen, bei denen in den Körpern nichts existiert, was ihnen gleich wäre –, sie aufgrund seines immanenten Weltbildes aber nicht angemessen zu verstehen vermochte, da bezeichnet von HildebrandHildebrandDietrich von oben und unten als „Analogien zu zwei fundamentalen metaphysischen Kategorien“10. Selbst wenn der NaturwissenschaftlerNaturwissenschaftler mit seiner Behauptung Recht hat, die Kategorien von oben und unten hätten in der Aussenwelt keine Bedeutung, so tut das der Tatsache dennoch keinen Abbruch, dass oben und unten objektive Elemente der Wirklichkeit sind. Denn die Aussenwelt soll sich dem Menschen so darbieten, wie sie ihm erscheint. Was von HildebrandHildebrandDietrich von einerseits in der Intention des Schöpfers gründen und ihn andererseits vom humanen Aspekt der Aussenwelthumane Aspekt der Aussenwelt sprechen lässt. Doch deduziert von HildebrandHildebrandDietrich von den humanen Aspekt, das Für-den-Menschen-so-aussehen-SollenSollen nicht von dem Glauben an die SchöpfungSchöpfung, vielmehr wird er unmittelbar erfasst. „Jedoch leuchtet er in besonderer Klarheit auf, wenn wir ihn im Lichte der Schöpfung betrachten.“11

      Wenn die ExistenzExistenz der Aussenwelt für KantKantImmanuel nur aufgrund eines gläubigen Fürwahrhaltens angenommen, welches selbst von keinem stützenden BeweisBeweis getragen werden kann, und wenn die Mitglieder des Wiener Kreises die Aussagen über Realität oder Nichtrealität der Aussenwelt als sinnlossinnlos erachten, weil sie empirisch nicht überprüft werden können, dann stellen von Hildebrands Argumente für die objektive Existenz der Aussenwelt einen existentiell begründeten Kontrapunkt dar. Der Botschaftscharakter bestimmter humaner Aspekte der Aussenwelt liess ihn vor dem Hintergrund einer objektiven, in ihrer Existenz vom menschlichen GeistGeist unabhängigen und für ihn auch erkennbaren WirklichkeitWirklichkeit zu der EinsichtEinsicht in die Gültigkeit und Realität der Aussenwelt gelangen.

      4 Zusammenfassung

      Kann der MenschMensch wissen, wie es um das Transzendente bestellt ist, oder sind seine Wissensmöglichkeiten auf den immanenten Bereich des sinnlich Erfahrbaren beschränkt?, war die leitende Frage dieses Abschnitts. Die Beantwortung dieser Frage ist für den Menschen in vielen Hinsichten entscheidend, was sich vordringlich an dem in der Einleitung besprochenen Problem der SinnlosigkeitSinnlosigkeit erweist, welche ihren Grund gerade in einem Mangel an TranszendenzTranszendenz zu erkennen gibt, die als SelbsttranszendenzSelbsttranszendenz zur „Essenz menschlicher ExistenzExistenz“1 gehört. Auch können die religiösen Aussagen und Überzeugungen nur unter der Voraussetzung kognitiv gerechtfertigt werden, dass das, was den empirischen Bereich transzendiert, ein Gegenstand des Erkennens und des Wissens sein kann.

      Auf der Basis der in diesem Abschnitt erörterten kopernikanischen Wende Immanuel Kants, kann diese Möglichkeit jedenfalls nicht begründet werden. Denn diese Wende beinhaltet, dass nicht der MenschMensch in seinem ErkennenErkennen sich nach den Gegenständen richtet, sondern die Gegenstände nach dem Menschen. Was bei der „Entdeckung“ einer NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive in der Erfahrung nichts anderes besagt, als dass der VerstandVerstand diese in den Gegenstand hinein gelegt hat. Auf dieser epistemologischen Grundlage ist ihm das Transzendente kein Gegenstand des Wissens, ja kann es konsequenterweise auch nicht sein, vielmehr hält er die Vernunftbegriffe, sofern sie konstitutivkonstitutiv verwendet werden, für Hirngespinste.2 Gegen den daraus resultierenden SkeptizismusSkeptizismus und RelativismusRelativismus, den NietzscheNietzscheFriedrich und KleistKleistHeinrich von schmerzlich empfunden und zur Sprache gebracht haben, begründet von HildebrandHildebrandDietrich von den erkenntnismässigen Überstieg über die Grenze der ImmanenzImmanenz in erster Linie durch seine Aufdeckung der Vieldeutigkeit des Begriffs der Erfahrung.3 Wenn gemeinhin angenommen wurde, in der Erfahrung liege keine NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive, so beschränkte