Wenn in diesem Sinne also mit GewissheitGewissheit erkannt werden kann, dass die VerantwortungVerantwortung FreiheitFreiheit und die Farbe den Raum voraussetzen, wo haben diese vier Soseinseinheiten dann eigentlich ihren Ort, ja, welches ist ihre Seinsweise? Als notwendige Entitäten gehören sie sicherlich nicht den morphischen EinheitenEinheitenchaotische, zufällige, morphische zu, die wohl sinnvoll, aber nicht innerlich notwendig sind. Solcherart geeinte Gegenstände wie z.B. ein Löwe oder der menschliche Körper sind in dem Sinne real, dass sie sinnlich wahrgenommen werden können. Die GerechtigkeitGerechtigkeit, die Freiheit, die Farbe, der Raum und alle notwendigen Soseinseinheiten dagegen „sind in der Tat so potent, dass es sie in bestimmter Weise gibt, selbst wenn gerade kein wirkliches Exemplar ihrer Art existiert“3. „Sie sind für ihre volle Gültigkeit weder darauf angewiesen, in einem wirklichen Gegenstand anwesend zu sein, noch von uns gedacht zu werden. Sie allein besitzen ideale Seinsweiseideale Seinsweise im vollen SinnSinn“4. Unabhängig von ihrem Realwerden im Menschen eignet beispielsweise dem SoseinSosein der Verantwortung eine ideale Seinsweise, sie ist etwas Objektives, das SeinsautonomieSeinsautonomie besitzt. Selbst wenn kein MenschMensch existiert, der Verantwortung übernimmt, selbst dann schliesst das Sosein der Verantwortung aus, eine blosse IllusionIllusion oder FiktionFiktion zu sein.
Was sodann den metaphysischen Ortmetaphysischer Ort der notwendigen Soseinseinheiten oder Wesenheiten betrifft, so zeigt sich von Hildebrands Ideologiefreiheit in aller Deutlichkeit. Denn während er einerseits die Leugnung der idealen Seinsweise der notwendigen Wesenheiten für unmöglich erklärt, begnügt er sich andererseits mit der Feststellung, „noch keinen metaphysischen Ortmetaphysischer Ort für diese notwendigen Wesenheiten [zu] haben“5. Damit zeigt er die Grösse, die alle jene nicht besitzen, die „im Sinne der Ausfüllung des nicht Erfassten“6 ein konstruktives Verhalten an den Tag legen. Wenngleich ein metaphysischer Ort der in idealer Weise seienden notwendigen Wesenheiten nicht auszumachen ist, eröffnen sowohl die Sphären der Zahlen oder der FarbenFarben ebenso einen Blick auf das Verhältnis zwischen dem idealen und dem realen Sein wie die Sphären des Ethischen oder des Personalen. Auch hier beabsichtigt er allerdings nicht, eine Lösung dieses Problems zu bieten. Bei den Zahlen lässt sich immerhin so viel sagen, dass sie „keineswegs von der realen Welt ausgeschlossen sind“7. Wenn drei Personen im Zimmer stehen, wird von einem realen, konkreten SachverhaltSachverhalt gesprochen. Dabei kann nicht verleugnet werden, „dass sie in spezifischer Weise in die reale Welt eintreten, obwohl sie nicht den Seinsmodus besitzen, der Substanzen und viele Akzidentien auszeichnet“8. Von einer analogen Weise, doch einem anderen Typus, muss bei den Farben gesprochen werden.9
Im Falle eines sittlichen Wertessittlicher Wert wiederum schliesst das ideale Sein bereits volle Realität ein. So zeigt alleine schon die Tatsache, dass menschliche HandlungenHandlungen gut sein sollen, „dass die Realität sittlicher WerteWerte durch ihre ideale Seinsweiseideale Seinsweise gewährleistet wird“10. Da sich im weiteren Verlauf dieser Untersuchung wiederholt zeigen wird, inwiefern sich bei der Setzung eines sittlich guten Aktes „eine völlig neue Art des ‚Herabreichens‘ des idealen Seienden in die Realität“11 ereignet, möge es an dieser Stelle mit diesen HinweisenHinweise sein Bewenden haben.
2.5 Das überaktuelle WissenWissen und die ReligionReligion
Am Beginn dieses Abschnitts stand die Frage, ob der MenschMensch überhaupt wissen könne, wie es um das Transzendente bestellt ist, oder ob seine Wissensmöglichkeiten auf den immanenten Bereich des sinnlich Erfahrbaren beschränkt seien. Wie sich erwiesen hat, kann der Mensch metaphysische Erkenntnissemetaphysische Erkenntnisse erlangen und um das Transzendente wissen. Mit dem apriorischen ErkennenErkennen ist der archimedische Punktarchimedische Punkt absoluter GewissheitGewissheit erreicht, an dem jeder ImmanentismusImmanentismus, jeder SkeptizismusSkeptizismus und RelativismusRelativismus scheitern muss.1
Aus dem ErkennenErkennen resultiert das WissenWissen über das Verhalten einer gegebenen Sache. Formalisiert gefasst: Erkannt wird das a-Sein oder das nicht a-Sein eines B, wodurch das Wissen um das Verhalten des B erworben wird. Quer durch von Hildebrands Schriften begegnet die Unterscheidung zwischen verschiedenen Arten des Wissens. Er zeigt auf, wie das Wissen in drei grundlegenden Formen auftreten kann: Es kann aktuellaktuell sein, so dass es das BewusstseinBewusstsein im gegenwärtigen Augenblick erfüllt, es kann potentiellpotentiell sein, so dass es aus dem GedächtnisGedächtnis in das aktuelle Bewusstsein gleichsam „zurückgeholt“ werden kann, und es kann überaktuellüberaktuell sein.
Das überaktuelle WissenWissen ist jedoch „nur hinsichtlich bestimmter Arten von Sachverhalten und Gegenständen möglich“2. Das Wissensobjekt muss von metaphysischer Bedeutung sein und „die existentiellsten und fundamentalsten Fragen betreffen, die sich auf alle Elemente einer WeltanschauungWeltanschauung beziehen“3. Selbstredend bildet es dadurch eine ständige Grundlage des Lebens, „einen kontinuierlichen Hintergrund für andere Erlebnisse“4. Mit anderen Worten, ist jedes GutGutdas Gegenstand überaktuellen Wissens, das eine solch existentielle Rolle im eigenen Leben spielt, dass ohne Kenntnis von ihm das Leben ein anderes wäre.5 „Es lebt in solcher Weise auf dem Grund unseres Geistes, dass sich jeder konkrete, aktuelle Augenblick unseres Lebens radikal ändern würde, falls wir es nicht wüssten.“6 Die Überaktualität des menschlichen Bewusstseins ist eine Tatsache, die von entscheidender Bedeutung für das Verständnis des Menschen ist.7
Zu denken ist dabei etwa an die LiebeLiebe, die sich nicht in der Gegenwart erschöpft, sondern sich über die Aktualität hinaus erstreckt. Hätte die PersonPerson nur eine Bewusstseinsart, so könnte ein Verliebter unmöglich ernsthaft seiner täglichen Arbeit nachgehen. Verfügte die Person nämlich nur über ein aktuelles BewusstseinBewusstsein, so hätte sie entweder ein aktuelles Bewusstsein vom Verliebtsein oder von der Arbeit, auf die sie gerichtet ist. Dass die Koexistenz von Verliebtsein und Arbeiten aber sehr wohl möglich ist, rührt daher, „dass nicht nur das in der Liebe gesprochene ‚WortWort‘ in seiner Gültigkeit fortdauert, dass nicht nur eine Position festgelegt wurde dem anderen Menschen gegenüber, die fortdauert, sondern dass diese StellungnahmeStellungnahme als solche fortlebt in unserer SeeleSeele“8. Und gerade weil die Stellungnahme fortlebt, weil sie „als diese identische psychisch-geistige Realität völlig lebendig in der Seele“ verbleibt, „verändert [sie] den Gesamtstatus unseres Erlebens“.9 Darum fällt das Arbeiten auch umso leichter, wenn man verliebt ist. Wie sich weiter unten noch verdeutlichen wird, kann der MenschMensch überaktuellüberaktuell in einer tieferen Schicht am WissenWissen um bestimmte Sachverhalte und Gegenstände bzw. WerteWerte und an der wertantwortenden Stellung festhalten. Auch wird sich zeigen, dass und warum die kontinuierliche Entwicklung der Person die Überaktualität voraussetzt.10
Das überaktuelle WissenWissen begegnet auch und vor allem in der ReligionReligion.11 Während die Sachverhalte und Gegenstände des überaktuellen Wissens nach von HildebrandHildebrandDietrich von „die existentiellsten und fundamentalsten Fragen betreffen, die sich auf alle Elemente einer WeltanschauungWeltanschauung beziehen“12, spricht HusserlHusserlEdmund von den „Fragen nach SinnSinn oder SinnlosigkeitSinnlosigkeit dieses ganzen menschlichen Daseins“13, welche sich in den Fragen konkretisieren nach der ErkenntnisErkenntnis, nach den Werten, nach der ethischen HandlungEthische Handlung, nach der FreiheitFreiheit, nach der UnsterblichkeitUnsterblichkeit und schliesslich nach GottGott, „der ‚absoluten‘ VernunftVernunft als der teleologischen Quelle aller Vernunft in der Welt, des ‚Sinnes‘ der Welt“14. Was dem einen die existentiellsten und fundamentalsten Fragen, das sind dem anderen die Fragen nach dem Sinn und der Sinnlosigkeit des ganzen menschlichen Daseins. Nicht nur spricht von HildebrandHildebrandDietrich von von der Religion als einer lebendigen Verbindung des Menschen mit Gott,15 dem absoluten personalen WesenWesen,16 auch für HusserlHusserlEdmund gründet der Sinn des Ganzen letztlich in der absoluten Vernunft, in Gott.
3 Die Frage nach der Erkennbarkeit der AussenweltErkennbarkeit der Aussenwelt und ihr Botschaftscharakter