Person und Religion. Ciril Rütsche. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ciril Rütsche
Издательство: Bookwire
Серия: Tübinger Studien zur Theologie und Philosophie
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772000256
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dass die NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive auch und gerade in der Erfahrung gegeben sein kann. Wenn auch nicht in der Erfahrung des Daseins, so aber in der Erfahrung des Soseins. Auf der Grundlage der Unterscheidung dreier grundsätzlich verschiedener Soseinsarten, vermochte er diejenige Soseinsart zu isolieren, die in ihrem Verhalten apriorische Erkenntnisse ermöglicht. Es sind dies die EinheitenEinheitenchaotische, zufällige, morphische mit einem in sich notwendigen SoseinSosein, deren Verhalten von innen her verstanden und mit einer absoluten Gewissheit erkannt werden kann.4

      Bei der ErkenntnisErkenntnis eines notwendigen Sachverhalts wird die ImmanenzImmanenz des eigenen Bewusstseins ebenso überschritten wie der Bereich des sinnlich Wahrnehmbaren. Als Kriterium für die Tatsächlichkeit der TranszendenzTranszendenz in der Erkenntnis fungiert die Unerfindbarkeit des Erkannten, denn was innerlich notwendig und höchst intelligibelintelligibel ist, kann unmöglich eine subjektive ErfindungErfindung oder eine ErscheinungErscheinung sein. Einen anderen Weg zur Transzendenz als denjenigen über die absolut gewisse Erkenntnis von höchst intelligiblen und wesensnotwendigen Sachverhalten hat von HildebrandHildebrandDietrich von mittels der Erkenntnis der eigenen ExistenzExistenz gewiesen. Auf diesem Weg wird durch die absolut gewisse Erkenntnis der eigenen PersonPerson ebenfalls die Bewusstseinsimmanenz gesprengt und das TranszendierenTranszendieren zu einer objektiven Realität garantiert.5 Womit begründet wurde, dass der MenschMensch die Grenze zwischen dem Sinnlichen und dem Übersinnlichen, zwischen dem Physischen und dem Metaphysischen zu übersteigen vermag.

      II DIE ERKENNTNIS GOTTES

      Durch die BegründungBegründung der Möglichkeit, den empirischen Wirklichkeitsbereich zu transzendieren und metaphysische Erkenntnissemetaphysische Erkenntnisse erlangen zu können, ist die Voraussetzung geschaffen, um zumindest einige der zentralen religiösen Aussagen und Überzeugungen auf ihre Vernünftigkeit hin untersuchen zu können. „Vernünftig“ wird hier im Sinne einer Abgrenzung von religiösen ÜberzeugungenÜberzeugungenreligiöse verwendet, die berechtigterweise zu kritisieren sind, wie XenophanesXenophanes (570–475 v. Chr.) dies zu seiner Zeit bereits getan hatte.

      XenophanesXenophanes kritisierte die anthropomorphen (gr. ἄνθροπος – MenschMensch, μορφή – FormForm) Göttervorstellungen der alten Mythen. „Alles haben den Göttern Homer und Hesiod angehängt, was nur bei Menschen Schimpf und Tadel ist: Stehlen und Ehebrechen und einander Betrügen.“6 „Die Äthiopen behaupten, ihre Götter seien stumpfnasig und schwarz, die Thraker, blauäugig und rothaarig.“7 „Doch wenn die Ochsen und Rosse und Löwen Hände hätten oder malen könnten mit ihren Händen und Werke bilden wie die Menschen, so würden die Rosse rossähnliche, die Ochsen ochsenähnliche Göttergestalten malen und solche Körper bilden, wie jede Art gerade selbst ihre Form hätte“8.

      Die erhalten gebliebenen Fragmente sprechen allerdings nicht nur von einem XenophanesXenophanes, der die auf ihn gekommenen religiösen Aussagen und Überzeugungen kritisierte. Von ihm wird auch ein SatzSatz überliefert, mit dem er zum MonotheismusMonotheismus zu tendieren und das Problem der Erkennbarkeit des transzendenten Gottes anzudeuten scheint: „Ein einziger GottGott, unter Göttern und Menschen am grössten, weder an Gestalt den Sterblichen ähnlich noch an Gedanken.“9 „Gott ist ganz Auge, ganz GeistGeist, ganz Ohr.“10 „Stets aber am selbigen Ort verharrt er, sich gar nicht bewegend, und es geziemt ihm nicht hin- und herzugehen bald hierhin bald dorthin.“11

      1 Der kosmologische GottesbeweisGottesbeweis und das apriorische ErkennenErkennen

      Während Kants skeptisch-agnostische Erkenntnismethode den Zugang zur GotteserkenntnisGotteserkenntnis versperrt, begründet das apriorische ErkennenErkennen den Zutritt zur Welt der ObjektivitätObjektivität, bis hin zur „ErkenntnisErkenntnis der ExistenzExistenz Gottes“1. Die „höchste Stufe“ des philosophischen Erkennens „ist die EinsichtEinsicht in die Existenz des absoluten personalen Wesens, von dem alles Seiende geschaffen ist, das von allem Seienden abgebildet wird, auf das alles Seiende hingeordnet ist“.2 Wie von HildebrandHildebrandDietrich von wiederholt zum Ausdruck bringt, könne man GottGott „schon auf natürlicher Ebene mit absoluter GewissheitGewissheit erkennen“3, und zwar „auf Grund der GottesbeweiseGottesbeweise“4. Doch aufgrund welcher Gottesbeweise soll das zentralmetaphysische Problem der Existenz Gottes gelöst werden? In Anbetracht der Erkenntnismethode, die von HildebrandHildebrandDietrich von herausgearbeitet hat, ist man zu der Annahme gedrängt, er beziehe sich auf den sogenannten ontologischen Gottesbeweisontologischer Gottesbeweis. Denn nach diesem Gedankengang soll Gottes Existenz aus seinem SoseinSosein erkannt werden. Diese Annahme ist allerdings irrig, wie den folgenden Sätzen zu entnehmen ist: „Eine notwendige reale Existenz gibt es nur bei dem absolut Seienden, bei Gott. Und selbst da können wir sie nicht aus der Wesenheit Gottes allein erkennen.“5 Im weiteren Verlauf dieser Untersuchung wird sich jedoch erweisen, dass von HildebrandHildebrandDietrich von allen Grund gehabt hätte, das ontologische ArgumentArgument ausdrücklich als gültig zu betrachten. Nichtsdestotrotz vertritt er die Auffassung, dass „die höchste Frage jeglichen realen Existierens“ durch philosophische Erkenntnis beantwortet werden könne.6

      Wie aber GottGott erkennen, da er „in unserer natürlichen Erfahrung nicht gegeben“7 ist? Die Möglichkeit, Gott auf philosophische Weise zu erkennen, sieht von HildebrandHildebrandDietrich von mit den traditionellen und klassischen Gottesbeweisen gegeben, vor allem den kosmologischen.8 „Kosmologisch“ bezieht sich in diesem Zusammenhang auf eine Gruppe von Argumenten, die nicht wie im Falle des ontologischen Arguments apriorisch vorgehen, sondern aposteriorisch, d.h. ihren Ausgang von Erfahrungen der KontingenzKontingenz nehmen. Traditionell und klassisch wiederum sind die bekannten fünf Wege (quinque viae) des Thomas von AquinThomas von Aquin zu nennen, mit denen er in punkto GottesbeweiseGottesbeweise die Antike und das Mittelalter zusammenfasste und einen Höhepunkt markierte.9 Um von Hildebrands Prinzipien zu verdeutlichen, sei in der Folge der dritte Weg (tertia via) erörtert, der sich alleine schon wegen den im letzten Abschnitt thematisierten Soseinseinheiten nahe legt.

      Vorweg allerdings eine Bemerkung zur Begrifflichkeit. Unter welchen Voraussetzungen ist es angemessen, die Gedankenreihe bis zur ErkenntnisErkenntnis des Daseins Gottes einen BeweisBeweis zu nennen, und wann wird diese Gedankenreihe besser als ein ArgumentArgument bezeichnet? Nach der klassischen DefinitionDefinition des AristotelesAristoteles, ist ein Beweis eine SchlussfolgerungSchlussfolgerung aus notwendigen Prämissen (ἐξ ἀναγκαίων ἄρα συλλογισμός ἐστιν ἡ ἀπόδειξις10). Notwendig nennt er die Prämissen, weil man „erfassen [muss], aus welchen und wie beschaffenen Prämissen die Beweise hervorgehen“11. Denn da die WissenschaftWissenschaft sich darauf richtet, was „sich nicht anders verhalten kann, dürfte das aufgrund der beweisenden Wissenschaft Erkennbare notwendig sein“12. Eine Schlussfolgerung besteht dabei aus mehreren Urteilen und mindestens einem Folgerungsbegriff. Die Urteile, aus denen gefolgert wird, nennt man Prämissen, das UrteilUrteil, das aus den anderen gefolgert wird, KonklusionKonklusion. Und da die Urteile selbst wiederum aus Begriffen bestehen, enthält notwendig auch die Folgerung Begriffe. Nicht mehr und nicht weniger als drei Begriffe kommen darin vor: ein Ober-, ein Unter- und ein Mittelbegriff. Das Eigentliche der Folgerung ist der Mittelbegriff, der den Ober- und den Unterbegriff verbindet, so dass die Schlussfolgerung aus den Prämissen hervorgeht. Mit einem Beispiel: Alle Menschen sind sterblich (Oberbegriff), SokratesSokrates ist ein MenschMensch (Mittelbegriff), also ist Sokrates sterblich (Unterbegriff bzw. Konklusion). In einer gültigen deduktiven Schlussfolgerung (Ableitung des Besonderen aus dem Allgemeinen) bewahrt die Konklusion die WahrheitWahrheit der Prämissen mit NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive auf.13 Von da her setzt der genuin philosophische Beweis voraus, dass die Prämissen in ihrer Wahrheit und die Gültigkeit der SchlussformGültigkeit der Schlussform erkannt werden.14 Auch ein Argument kann im Übrigen ein Beweis sein, es kann aber auch eine BegründungBegründung sein, die nicht auf evidenten Prämissen beruht und die Konklusion nicht mit GewissheitGewissheit erkennen lässt, sondern nur plausibel macht.15

      Und weil dem BeweisBeweis nur wenige zustimmen, verliert er seinen Charakter echt objektiver ErkenntnisErkenntnis trotzdem nicht. Denn sobald die SchlussfolgerungSchlussfolgerung einen Bezug zum eigenen Leben hat, was in der ReligionReligion genauso der Fall ist wie in verschiedenen