Schliesslich sind die WerteWerte auch noch in einer anderen Hinsicht „ein Fingerzeig, ein Hinweis auf GottGott“31. Nämlich insofern, als sie „eine in ihrer Wertnatur wesenhaft fundierte ‚virtus unitiva‘“32 besitzen. Zwar macht nicht die vereinigende Kraft den Wert zum Wert, doch gründet jede wirkliche Verbundenheit zwischen Personen letztlich auf einem Wert bzw. auf einem WertbereichWertbereich. Die vereinigende Kraft der Werte lässt sich allerdings weder beweisen noch formal ableiten. Auch die virtus unitiva der Wertevirtus unitiva der Werte lässt sich nicht von aussen her konstatieren oder an einem äusseren Aspekt ablesen. Der „Wesenszusammenhang von Wert und EinheitEinheit“ wird erst sichtbar bei der „Vertiefung in das WesenWesen des Wertes, in seine einzigartige in sich ruhende BedeutsamkeitBedeutsamkeit, in seine unreduzierbare materiale Wertnatur“.33 Die vereinigende Kraft der Werte wird auch an den Unwerten ersichtlich, die den Werten konträr gegenüberstehen. Wie beispielsweise dem Wert der LiebeLiebe eine vereinigende Kraft innewohnt, geht mit dem dem Wert der Liebe konträren UnwertUnwert des Hasses „eine trennende, entzweiende, isolierende Wirksamkeit“34 einher. Zweifelsohne liegen diesem UrteilUrteil Erfahrungen zugrunde, die zu machen möglich und von vielen Menschen wohl auch tatsächlich schon gemacht worden sind.
Nicht zuletzt zeigt sich auch hieran, inwiefern die WerteWerte ein Hinweis auf GottGott, auf den Inbegriff aller WerteInbegriff aller Werte sind. Die einzelnen Werte ebenso wie der Inbegriff aller Werte stehen offensichtlich in einem Verhältnis zum oben angesprochenen LebenssinnLebenssinn, welcher durch die Abwendung von den transzendenten Werten, die in vielen Fällen nach einer Realisierung verlangen, in eine SinnkriseSinnkrise umzuschlagen scheint. Bevor allerdings die Grundlage zu einer angemessenen Auseinandersetzung mit dem Lebenssinn des Menschen gelegt und die „für die Wesensbestimmung der Werte entscheidenden drei Bedeutsamkeitskategorien“35 dargelegt werden, wird erst die Frage erörtert, warum von HildebrandHildebrandDietrich von das ontologische ArgumentArgument eigentlich verworfen hat.
4 Warum hielt von HildebrandHildebrandDietrich von das ontologische ArgumentArgument für ungültig?
Wie weiter oben dargelegt, wusste von HildebrandHildebrandDietrich von die Möglichkeit philosophischen, synthetischsynthetisch-apriorischen Erkennens zu begründen. Er vermochte nachzuweisen, dass der empirische Bereich transzendiert und Sachverhalte von innen her mit absoluter GewissheitGewissheit erkannt werden können, die in Gegenständen mit einem innerlich notwendigen SoseinSosein gründen. Dazu kommt, dass er GottGott als den Inbegriff aller WerteWerte versteht – als „die GüteGüte, die WahrhaftigkeitWahrhaftigkeit, die GerechtigkeitGerechtigkeit, die LiebeLiebe“1, ja dass Gott „das absolute Sein, die absolute WahrheitWahrheit, die absolute Gerechtigkeit und die unendliche Liebe ist“2. Wenn es in Gott überdies keinen Unterschied von ExistenzExistenz und Essenz mehr gibt3 und es nur bei dem absolut Seienden, nur bei Gott eine notwendige reale Existenz gibt,4 dann ist es zumindest der Frage wert, warum „wir sie [sc. die notwendige reale Existenz Gottes] nicht aus der Wesenheit Gottes allein erkennen“5 können.
4.1 Das ArgumentArgument in der Darlegung durch AnselmAnselmvon Canterbury von Canterbury
Das ist die grosse Frage, die die Philosophen seit jeher beschäftigt: Kann die ExistenzExistenz Gottes aus seinem WesenWesen erkannt werden? Wurzeln einer bejahenden StellungnahmeStellungnahme finden sich bei PlatonPlaton (427–347 v. Chr.)1 ebenso wie bei AugustinusAugustinus (354–430)2 oder bei BoethiusBoethius (etwa 480–524). Bei Letzterem findet sich unter anderem der zukunftsträchtige Gedanke, dass GottGott etwas ist, „über das hinaus es kein Besseres gibt“, ja sich „nichts Besseres als Gott ausdenken lässt“.3 AnselmAnselmvon Canterbury von Canterbury (1033–1109) hat diesen Gedanken in seiner Schrift Proslogion zu einem eigentlichen ArgumentArgument entwickelt, das seit Immanuel KantKantImmanuel als ontologischer GottesbeweisGottesbeweis bezeichnet wird.4 Die einschlägige Stelle aus dem genannten Werk von AnselmAnselmvon Canterbury von Canterbury sei in der Folge zitiert, um das Argument gründlich bedenken zu können:
So denn, Herr, der Du die Glaubenseinsicht schenkst, gib mir, soweit Du es für nützlich erachtest, dass ich verstehe, dass Du bist, wie wir es glauben, und dass Du das bist, was wir glauben. Und zwar glauben wir, dass Du etwas bist, über das hinaus nichts Grösseres gedacht werden kann [aliquid quo nihil maius cogitari possit]. Oder ist etwa ein solches WesenWesen nicht, weil der Tor in seinem Herzen gesprochen hat: Es ist kein GottGott? Wenn aber eben derselbe Tor eben das hört, was ich sage, nämlich etwas, über das hinaus nichts Grösseres gedacht werden kann, so versteht er ganz gewiss, was er hört, und was er versteht, ist in seinem Verstande, auch wenn er nicht versteht, dass dies ist. Eines nämlich ist es, wenn eine Sache im Verstande ist, etwas anderes, wenn man versteht, dass eine Sache ist. Wenn nämlich ein Maler zuvor denkt, was er ausführen wird, hat er [es] zwar im Verstande, aber er versteht noch nicht, dass das, was er noch nicht geschaffen hat, sei. Hat er es aber bereits gemalt, so hat er es sowohl im Verstande als auch versteht er, dass das, was er bereits geschaffen hat, ist. So wird also auch der Tor überzeugt, dass etwas, über das hinaus nichts Grösseres gedacht werden kann, zumindest im Verstande ist, weil er das versteht, wenn er es hört; und was auch immer verstanden wird, ist im Verstande. Und gewiss kann das, über das hinaus Grösseres nicht gedacht werden kann, nicht allein im Verstande sein. Denn wenn es nur im Verstande allein ist, so kann man denken, es sei auch in der WirklichkeitWirklichkeit, was grösser ist. Wenn also das, über das hinaus Grösseres nicht gedacht werden kann, im Verstande allein ist, so ist eben das, über das hinaus Grösseres nicht gedacht werden kann, dasjenige, über das hinaus Grösseres gedacht werden kann. Das aber kann mit Sicherheit nicht der Fall sein. Es existiert also ohne ZweifelZweifel etwas, über das hinaus Grösseres nicht gedacht werden kann, [und zwar] sowohl im Verstande als auch in der Wirklichkeit.5
Ja, das ist schlechterdings so wahrhaft, dass auch nicht einmal gedacht werden kann, es sei nicht. Denn man kann denken, dass etwas sei, von dem man nicht denken kann, es sei nicht; das [jedoch] ist grösser als dasjenige, von dem man denken kann, es sei nicht. Wenn man deshalb von dem, über das hinaus Grösseres nicht gedacht werden kann, denken kann, es sei nicht, dann ist das, über das hinaus Grösseres nicht gedacht werden kann, nicht das, über das hinaus Grösseres nicht gedacht werden kann; das [aber] kann nicht zusammenstimmen. So also ist wahrhaft etwas, über das hinaus Grösseres nicht gedacht werden kann, derart, dass man nicht einmal denken kann, es sei nicht. Und das bist Du, Herr, unser GottGott. So wahrhaft bist Du also, Herr mein Gott, dass Du auch nicht einmal als nicht seiend gedacht werden kannst.6
Die VernunftVernunft findet in sich selbst, so der Ausgangspunkt des Arguments, die Idee des höchsten Wesens vor. AnselmAnselmvon Canterbury spricht von dem, im Vergleich zu dem nichts Grösseres (nihil maius7) und nichts Besseres (nihil melius8) gedacht werden kann. Und nicht nur das: GottGott ist nicht nur derjenige, im Vergleich zu dem nichts Grösseres und nichts Besseres gedacht werden kann, er ist auch grösser als was überhaupt gedacht werden kann.9 Was er unter dem Grösser näherhin verstanden wissen will, erläutert AnselmAnselmvon Canterbury etwas später in derselben Schrift:
Allein, was also bist Du,