Weil der Tod durch die Stellvertretung Christi seinen Stachel verloren hat, ist er nun keine Gefahr mehr für den Menschen.
Luthers Theorie des stellvertretenden Strafleidens Christi, in dem er den Zorn Gottes auf sich nimmt, ist hier nur angedeutet; da Versöhnung von Gott und Mensch noch nicht zum Thema wird, sondern der Zusammenhang von Sünde und Tod das Geschehen bestimmt. Mit dem Ausklammern der Rede vom Zorn Gottes wird hier deutlich, daß auch das Stellvertretungsverständnis in der Satisfaktionstheorie Anselms nicht im Hintergrund steht.
Luther schafft in den ersten Strophen Verbindungen der Kategorie der Stellvertretung mit anderen ntl Texten.
Stellvertretung wird in den ersten Strophen verbunden mit der eschatologischen Erwartung der Überwindung des Todes in 1 Kor 15, in der die Auferstehung der Menschen infolge der Auferstehung Christi thematisiert ist.
Luther bringt ebenso die ntl Dahingabeformel „für unsre Sünd gegeben“ mit der Stellvertretung im Reich des Todes in Verbindung; die Rede von der Dahingabe mündet aber hier nicht in einen sühnetheologischen Kontext, sondern in das Modell von der Herrschaft des Todes aufgrund der Sünde, die aber ohne ein Sühnehandeln aufgelöst wird.
Der Machtverlust des Todes durch Christus, der sich anstelle der Menschen in dessen Gefangenschaft begibt, ist das Rettungsmodell, das den ersten drei Strophen zugrunde liegt. Es folgen aber weitere in den folgenden Strophen, in denen die im NT oft mit der Kategorie der Stellvertretung verbundene Sühne eine Rolle spielen wird (vgl. unten „Das erneuerte Passahfest“).
Das im folgenden beschriebene Modell vom „duellum mirabile“ nimmt nicht die Machtlosigkeit des Todes aus Str. 3 auf, sondern schildert den Tod noch als mächtigen Feind.
Duellum mirabile
Mit dem Bild vom duellum mirabile stellt Luther den Kampf zwischen Leben und Tod, der mit der Vernichtung des Gegners endet, in die Mitte des Liedes. In der oben schon kurz zitierten Osterpredigt hat Luther ähnliche Motive verwendet, um den Sieg Christi über den Tod darzustellen:
„Es ist nützlich und notwendig, daß wir uns wider solchen Feind (den Teufel, d.V.) rüsten und auf ihn gefaßt machen mit rechtem Verständnis der Kraft und Frucht der Auferstehung Christi, auf daß wir nicht denken, daß Christus um seiner selbst willen von den Toten auferstanden und gen Himmel gefahren sei, daß er für sich allein in aller Seligkeit lebe, sondern daß er sein Gut und Erbteil mit uns teilte. Denn um seiner selbst willen ist er nicht auf die Erde gekommen, um seiner selbst willen hat er sich nicht ans Kreuz schlagen lassen. Er hat dessen für sich nicht bedurft, sondern unsere Sünde hat er getragen, unsern Tod hat er durch seinen Tod hier hinausgebissen und verschlungen, und die Hölle, in die hinein wir fahren sollten, hat er zerstört, wie im Propheten Hosea (13, 14) geschrieben steht: „Ich will sie aus dem Totenreich erlösen und vom Tode erretten. Tod, ich will dir ein Gift sein, Totenreich, ich will dir eine Pest sein“. Er redet von unserm Tod und von der Hölle, die uns gefangenhielt, und sagt, er wolle die Sünde austilgen, die auf mir liegt und mich anklagt, und den Tod und die Hölle zunichte machen, die mich fressen und verschlingen will.
So sollen wir dieses Mannes, der da „Jesus Christus“ heißt und allmächtiger, ewiger Gott, und unschuldiger, gerechter Mensch ist, Leiden, Sterben und Auferstehung gegen unsere Sünde und Tod setzen. Kommt der Teufel und spricht: Siehe da, wie groß ist deine Sünde! Siehe da, wie bitter und schrecklich ist der Tod, den du leiden mußt! So sprich du dagegen: Lieber Teufel, weißt du nicht dagegen, wie groß meines Herrn Jesus Christus Leiden, Sterben und Auferstehung ist? In ihm ist ja ewige Gerechtigkeit und ewiges Leben, in ihm ist eine allmächtige Auferstehung von den Toten, welche nicht allein größer ist, als meine Sünde, Tod und Hölle, sondern auch größer als Himmel und Erde. Meine Sünde und Tod ist das Fünklein, aber meines Herrn Christus Sterben und Auferstehung ist das große Meer.“1
Die innere Struktur dieses Predigtausschnittes entspricht dem inhaltlichen Verlauf des Liedes: Voran steht die Feststellung des Handelns Jesu ausschließlich für uns und mit dem Ziel, „sein Erbteil“ mit uns zu teilen, d.h. uns das Leben, mehr noch, sich selber zukommen zu lassen. Christus selber ist das Gut, das uns zukommt: „Christus will die Kost uns sein und speisen unsre Seel allein“.
Es folgt die Deutung seines Sterbens als Sieg über den Tod und schließlich die Aufnahme der Szene, in der in der Predigt der Mensch dem Teufel und im Lied der Glaube dem Tod das Blut Christi entgegenhält.
In der Auslegung wird deutlicher als im Lied, wie die Rede von den sich gegenseitig vernichtenden Toden zu verstehen ist: „unsern Tod hat er durch seinen Tod hier hinausgebissen und verschlungen“. Als „ein Tod den andern fraß“, ist also nicht nur der Tod an sich, als Herrscher in seinem Reich, sondern auch unser individueller Tod mit ihm vernichtet worden. In diesem Verständnis ist die scheinbare Vorzeitigkeit des Geschehens aufgelöst zum Geschehen an uns, es wird zum Geschehen in unserer Gegenwart.
Das im Lied zum Symbol geronnene Blut des Osterlammes (Str. 5) schließt nach dieser Auslegung in sich das gesamte Ereignis von Leiden, Sterben und Auferstehen und steht für „ewige Gerechtigkeit und ewiges Leben“. Qualitativ und quantitativ überragt es die Sünde des Menschen und damit die Macht des Todes über ihn.
Das erneuerte Passahfest
Das Passahfest, wie es in Ex 12 eingesetzt und begründet wird, ist in verschiedenen seiner Dimensionen zum Vorbild für das Verständnis des leidenden und auferstandenen Christus geworden.
Das geschlachtete Lamm vor dem Auszug aus Ägypten findet sich in den Worten wieder: „Hie ist das recht osterlamb / davon Gott hat geboten / Das ist hoch an des creutzes stam / in heisser lieb gebroten“. Im Sterben am Kreuz vollzieht sich demnach wie im Schlachten des Lammes der Wille Gottes, aber daß es ein Geschehen aus Liebe ist, überhöht das Sterben Jesu gegenüber dem des Passahlammes.
Das Blut des Lammes ließ den „Würger“ vorbeigehen: „Des blut zeichnet unser thuer / das helt der glaub dem tod fuer / der wuerger kann uns nicht rueren“. Das Blut Christi allerdings wirkt nicht opere operato, sondern indem es im Glauben ergriffen und dem Tod vorgehalten wird.
Zum Passahfest gehört das Mahl mit ungesäuertem Brot; der rechte Osterfladen ist ebenso vom „alten Sauerteig“ gesondert; der Osterfladen steht bei Luther bildlich für das „Wort der Gnaden“, die Predigt von Christus.
Letztlich mündet der Vergleich mit dem Passahfest in die Feier des Abendmahles. Nicht nur auf der Ebene der Materie entspricht die gereichte Oblate hier dem ungesäuerten Teig dort, sondern indem Christus selbst als Kost begriffen wird, der sich dem Kommunikanten selber gibt und alleinige Seelenspeise ist, sodaß diese nach nichts anderem mehr verlangt, und indem auf den gesamten Liedtext gesehen die Identifikation von Christus, Osterfladen, Predigt von der Gnade vorhanden ist, wird deutlich, daß Luther das Passions- und Ostergeschehen eng bezogen auf das Abendmahl versteht, wie er z.B. in seiner „Vermahnung zum Sakrament des Leibes und Blutes Christi“ sagt:
„Wiltu nu Gott einen herrlichen großen Gotts dienst thun und Christus leiden recht ehren, so dencke und gehe zum Sacrament, darinn (wie du horest) sein gedechtnis ist, das ist: sein lob und ehre …“ 1
Luther nimmt also Bezug auf das Passahfest und überhöht es, indem er Schlüsselelemente des Passahfestes christologisch deutet. Er wertet das jüdische Passahfest nicht ab, sondern versteht es als das „erste Passah des Herrn“, aber er versteht Ostern als Überhöhung des Passahfestes: „Die Erinnerung daran zu erneuern ist viel notwendiger als vor Zeiten, da das Gebot erging, die Erinnerung an das erste Passah des Herrn und den Auszug aus Ägypten ständig zu erneuern“.2 „Es ist gut, zu bedenken, welcher Art die Erlösung sei, mit der uns Christus erlöset hat, nämlich nicht aus Ägyptenland noch zeitlich, sondern eine ewige Erlösung von Sünde, Tod und Hölle. Es ist auch gut anzusehen und zu bedenken, was die Bezahlung für unsere Sünde sei, nämlich daß Christus für uns nicht Geld oder Gut, sondern seinen Leib und Leben gegeben hat; wie Paulus oft rühmt, Christus habe sich selbst für unsere Sünde gegeben“.3