Transzendierende Immanenz. Manfred Bös. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Manfred Bös
Издательство: Bookwire
Серия: Orbis Romanicus
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783823302018
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der sprachlichen Artikulation wie „Wachs den Händen des Bildhauers“21. Das dieses Sinngeschehen möglich ist, sei dem „Wesen der Präzisierbarkeit“22 geschuldet, welche die seelische Mechanik der Verbindung zwischen den materiellen Elementen und den syntaktischen Kategorien im Erleben forme. Präzisierbarkeit ist der Name des Sinngeschehens, nicht Präzision, oder gar Bestimmbarkeit. Es liege in der „Quellnatur“23 des Seelischen selbst, welches sich der ontologischen Feststellung im wahrsten Sinne dieses Wortes entziehe, denn seine Gestalten erschienen nur im Werden und verweigerten sich dem Zugriff als ein nur Gewordenes24.

      Dieser ontologische Sachverhalt verweist auf ein Verwandtschaftsmerkmal zwischen der präzisierenden Sinngestaltung der Seele und der prägnanten Sinngestaltung eines musikalischen Kunstwerks, welches ob der Natur des akustischen Stoffes, wie die Seele selbst, Gestalten im Werden und niemals im Gewordensein zeigt. Es ist also die Analogie des seelischen Sinngeschehens in Sprache zu den Zeitkünsten, welche den hermeneutischen Zugriff des Bewusstseins auf die Kunstwerke auf der ontologischen Ebene ermöglicht und zugleich eine endgültige Deutung dieser verunmöglicht. Die ästhesiologische Untersuchung des Gesichts müsste eine entsprechende Vermittlungslinie für den hermeneutischen Zugriff des Bewusstseins auf die Dinge der Welt zeigen. Womit dann eine durchgängige Verbindung zwischen thematischen Inhalten im Deuten, den syntagmatischen Inhalten im Bedeuten bzw. Verstehen und den schematischen Inhalten im Bestimmen bzw. Definieren sich zeigte. Diese auf- bzw. absteigende Erkenntnisreihe erinnert stark an die der platonischen Politeia, eine Systematik, welche zwischen ontologischen und gnoseologischen Termini changiert. Plessner jedoch bleibt der gnoseologischen Seite treu, indem er das seelische Geschehen mit der Metapher des Spiegels erläutert. Die Bedeutung aber einer derart sich durchziehenden Erkenntnisreihe, der Geistdurchherrschtheit, liegt in der Annahme der Einheit des Menschen als Körper und Geist und bestätigte diese These, was die erklärte Absicht der Plessnerschen Schrift ist.

      Der Geist arbeitet von zwei Seiten sprachbildend, vom Sinn her syntagmatisch, von der Anschauung her anteilnehmend und muss von diesen beiden Seiten her kooperierend vorgehen, um die Welt zu bedeuten.25

      Mit dieser Systematik verweigert sich Plessner einer Beziehung seines Denkens zur Annahme einer Sprachentstehungsthese im historischen Sinne, die er den Tatsachenwissenschaften zuschreibt. Zugleich weist er auch die Annahme zurück, dass aus „physischer Organisation“26 auf geistige Wesenszüge, wie z.B. der Sprachentstehung mit Sicherheit geschlossen werden könne, welche wiederum tatsachenwissenschaftlich zu klären sei. Die Beweislage der Phylogenese des Menschen jedoch sei einerseits zu dürftig, andererseits die Parallelisierung von ontogenetischem und phylogenetischem Material zu unsicher und nicht beweisfähig genug, um diese Frage entscheidbar zu klären. Allerdings beansprucht Plessner, dass er mit seiner Ästhesiologie des Geistes ganz im Sinne von Herder und Humboldt die Frage nach der Sprache „im Ganzen der menschlichen Organisation und nicht etwa nur in seiner Physis oder in seiner Vernunft“27 zu verankern wisse. Dies ist ein bedeutender Vorteil seines theoretischen Ansatzes spekulativen Spracherklärungstheorien gegenüber.

      Die Debatte zur Ästhesiologie des Gesichts28 beginnt Plessner mit der Befragung der neueren malerischen Strömungen der Zeit wie dem französischen Impressionismus oder der Kandinskyschen Idee der Erneuerung der Malerei aus dem Geiste der Musik und konstatiert: „Es gibt also keine Akkordanz des optischen Stoffes weder zur Haltung im allgemeinen noch zur Ausdruckshaltung im speziellen.“29

      Die Farbqualitäten, behauptet er, hätten einen „Zustandswert“30, keinen Ausdruckswert wie der schwellende Ton. Ihnen ermangele es an Lagewert und Voluminosität, der Möglichkeit der „Akkordanz zur Haltung“31. Er wirft in diesem indirekten Frageverfahren an die modernen Strömungen der Malerei die Frage auf: „Warum ist bildende Kunst in ihrer thematischen Sinngebung an die Dinglichkeit in der Darstellung gebunden?“32

      Er beantwortet diese Frage ausgehend von der Unwillkürlichkeit der Zeichengestalten und insbesondere der euklidischen Geometrie, denn sie sei „ebenbildlich zum figuralen Sinn der geometrischen Wahrheit“33. Auf diese Figur richte sich der Blick und aus dieser Gerichtetheit des Blicks ergebe sich die Natur des Sehens, die er Strahligkeit nennt:

      Sondern die Funktion des Blickes enthält als Wesenszug die Strahligkeit, welche nötig ist, um in der Anschauung selbst Sinn auszudrücken und zu verstehen.34

      Keine andere Wahrnehmungsart besitze diese Funktion wie der Blick. „In allen anderen Sinnen präsentiert sich das Ding als Quelle von Zustandsänderungen“35, nur der Blickstrahl erfasse das Ding an dessen Ort selbst. Darauf aufbauend kann er dann den Zusammenhang zwischen Gesichtssinn und Handlung benennen:

      Griffigkeit des Gehalts, Gerichtetheit der ihn antreffenden Sehfunktion sind die Wesenszüge, auf denen die Akkordanz des Gesichtssinnes zur Handlung beruht.36

      Der Blickstrahl umfasse das ins Auge gefasste Objekt gleichsam wie mit der Hand und isoliere dieses dem Organismus und dem Umfeld gegenüber, so dass dieser in einer bestimmten Beziehung zum Gegenstand, seinen Spielraum hinsichtlich des Gegenstandes ermessen könne. Obwohl es keine Akkordanz des optischen Stoffes zur Haltung, bzw. zum Ausdruck gebe, gebe es eine solche sicherlich zur Handlung, und es sei innerhalb bestimmter Grenzen wohl erlaubt, Redewendungen von der „erstarrten Musik und der flüssigen Architektur“37 gelten zu lassen. Allerdings nicht ob der Bewegung des Objekts, z.B. der Malerei – seien es abstrakte Muster oder die Farben allein –, sondern ob der Bewegung des Betrachters angesichts dieser optischen Objekte. Der Betrachter auf der Suche nach Verständnis bewege sich, gehe mit, taste mit den Augen die Objekte ab etc., in einem Worte, verändere seine eigene Haltung, um des Verständnisses Willen. Und an dieser Stelle stoßen wir wiederum auf den Körperleib als letztendliches Maß jeder Verständnisermöglichung.

      Am Körperleib müssen die Betrachtungsgegenstände einprägsam ab-bildlich werden können, damit ihr Ausdrucksgehalt durch dessen Vermittlung plastisch werden kann: „Stets müssen wir solche Abbildungen auf den eigenen Leib und sein ideales Ausdruckssystem empfinden, um den Sinn eines Gebäudes auszukosten.“38

      Im Sinne der bisher erarbeiteten Systematik müsse den zuständlichen Modalitäten, welche die Aufgabe der Vergegenwärtigung des eigenen Körpers haben, der seelische Kreis korrespondieren. Für eine ästhesiologische Untersuchung jedoch ergibt sich aus der Unmittelbarkeit des Sinnenstoffes als den Leibeszuständen die Unmöglichkeit einer Objektbetrachtung, wie es bei Auge und Ohr der Fall gewesen ist.

      Aber, und das ist das Entscheidende, was auch immer wir erleben, wie auch die Weise des Erlebens sein mag, zur Gegebenheit des Psychischen gehört notwendig eine bestimmte sinnliche Erregtheit des Leibes.39

      Gerade dieses Erleben des eigenen Leibes in seiner Erregtheit habe der „Körpertheorie des Leibes“40 Nahrung gegeben. Das Erleben finde sich im Leib eingeschlossen oder eingebettet wieder. „Seelische Wirklichkeit und Zustandssinne stehen im Verhältnis der Koinzidenz.“41 Im Unterschied zu den objektorientierten Sinnen von Auge und Ohr, welche zu diesem in einem Verhältnis der Akkordanz standen, müssten sich die zuständlichen Modalitäten im „Sinne der Einheit der Person“42 mit der seelischen Wirklichkeit im Verhältnis der Koinzidenz – einer einfachen Vergegenwärtigung – befinden. Ohne diese zweite Verhältnisform könnten Körper und Geist in der Einheit der Person und als Haltung wie auch als Handlung nicht zusammenkommen.

      Somit schließt sich auch die Systematik bei der Eigenbetrachtung der drei Arten der Beziehungen des Geistes zum Körper: im Hören, Sehen und Fühlen vermitteln sich Geist und Körper einander.

      Gerade aus dieser Vermittlungsfunktion von Körper und Geist bestehe also die Grundlage für die Einheit beider in der Person. Denn sie diene nicht allein zur Erklärung der „Beziehung des Geistes auf ein Objekt im Interesse der Wahrheit“43, sondern weit darüber hinaus „im Interesse des Sinnverständnisses überhaupt“44. Deshalb schreibt Plessner:

      Die Ästhesiologie des Geistes ist die Wissenschaft von den Arten der Versinnlichung der geistigen Gehalte und ihren Gründen.45

      Für ihn sind es gerade die Geisteswissenschaften – wir erinnern uns an die Methodologie des von Kant geliehenen indirekten Frageverfahrens – wie Kunst, Schrift und die Wissenschaften, welche Auskunft zu einer Theorie der sinnlichen Materie