Transzendierende Immanenz. Manfred Bös. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Manfred Bös
Издательство: Bookwire
Серия: Orbis Romanicus
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783823302018
Скачать книгу
jene Witterung für sein Milieu ist der eigentliche Zugang des Menschen zum Typischen, zur Abstraktion im Konkreten, zu dem, was Formwelt selbst ist. Auf dieser bestimmten Körperlichkeit des Abstrakten im Konkreten kann die Kunst aufbauen, denn die Gesetze der füllenden Anschauung und der prägnanten Gehalte basieren auf dem Eintrag geistiger Gehalte, also idealer Formen im Stoff. Sie stellt eine Mitte dar, welche die Kunst zwischen Sinn und Geist zu ergreifen vermag, sogar wenn sie diese zu fliehen beabsichtigt29.

      Die Wertschätzung des Körperleibes als logostransparenter Ort, an dem sich Körper und Geist mit ihren verschiedenen Anschauungsarten verschränkten, führt eine Skala der Typen der Hinwendung zu diesen ein.

      „Darstellbare Gehalte treffe ich an, präzisierbarer Gehalte werde ich inne, prägnante Gehalte erfüllen mich. […] und nur das Moment der blickstrahlenden Aufmerksamkeit bleibt in allem Typenwandel unberührt erhalten.“30

      Mit dieser Unterscheidung verliere die Wahrnehmung ihren aus Empfindungen kombinierten Charakter und wandele sich zu einer „autonomen Bewusstseinsart“31. Gleichzeitig werde sie von der Empfindung klar unterscheidbar. Denn die Gegenstände der Wahrnehmung würden in einem interindividuellen Raum angetroffen, während Empfindungen nicht interindividuell sind. Die blickstrahlende Aufmerksamkeit des Bewusstseins gewahre als innewerdende Anschauung alles Psychische, während die erfüllende Sinnenschau ein eidetisches und empfindungsstoffliches Gegenüber besitze. Überall gebe es dieses Gegenüber des aufmerksam hinschauenden Bewusstseins. Fehlte jedoch dieses Gegenüber, bliebe allein die Schau, könnte ein Gehalt frei sich entfaltend möglicherweise sein Wesen darbieten. Dafür jedoch bedürfe es normalerweise eines Trainings, mit dessen Hilfe das Bewusstsein „die störenden Seinschichten zu durchstoßen“32 vermag. Die so geartete Einsicht trüge dann den Charakter der Offenbarung, eines nicht erzwingbaren Erscheinens. Vom Bewusstsein angetroffene Gehalte liehen sich diesem nicht. Sie neigten ob Ihrer Identifizierbarkeit und ihres objektiven Charakters der Beobachtung zu. Prägnante Gehalte liehen sich dieser Art der Betrachtung in ausgezeichneter Weise und deuteten auf eine wesentlich andere Haltung eines Einsicht suchenden Bewusstseins. Sie neigten der Intuition zu.

      Vor aller Spezialisierung durch die Art des erschauten Gehalts ist Intuition ein offenes, hinnehmendes, zur Sache ohne viele Umstände, ohne die trübenden und abblassenden Zonen des Grübelns, Vergleichens, Abwägens sich aufschwingendes Verhalten. Die Sinne sind geöffnet, um widerstandslos die Fülle des Seins eindringen zu lassen. Der Mensch vertraut dem natürlichen Licht seiner Vernunft nicht weniger wie der Evidenz seines Gewissens und seines Empfindens. […] Rein werden in der Anschauung ist sein Ziel, Mittel dazu das Erkraften des durch alle Sinne, durch Instinkt, Gefühl und Gewissen hindurchtretenden geistigen Blickstrahles. […] Dagegen Beobachtung beherrscht von der Achtsamkeit. Der Beobachtende gibt Obacht auf das Objekt, er nimmt sich in acht, Grenzen, die ihm gezogen sind, nicht zu überschreiten.33

      Während die Beobachtung sich an vorgegebenen Kriterien orientierte, ließe die Intuition „nur die Evidenz sprechen“34. Wir treffen in diesen Modellen grundsätzlich unterschiedliche Arten des Verständnisses der Anwendung menschlicher Einsichtsmöglichkeiten an. Plessner ordnet diese Haltungen denn auch den historischen philosophischen Strömungen des Intuitionismus und des Kritizismus zu. Jedoch weder die „negative Einheit der Sinne im Intuitionismus“35 bergsonischer Prägung mit ihrer Wurzel im élan vital, noch der kantische Kritizismus mit seinem Schematismus und seiner „funktionalistischen Erkenntnistheorie“36 könnten eine Antwort auf das Rätsel der Gegenständlichkeit der Welt oder der Einheit der Sinne herbeiführen. Nach Plessner liegt dies an deren einseitiger Orientierung an den Naturwissenschaften. Sein Lösungsvorschlag ruft daher die Geisteswissenschaften auf, an deren Erfahrungen im Sinne der schon bekannten indirekten Fragestellung eine Antwort gelingen soll:

      Wie lässt sich die kulturphilosophische Seite des Problems so mit der naturphilosophischen innerlich verbinden, daß die Beantwortung in der einen Richtung die Antwort in der anderen von selbst mit sich führt?

      Das ist nur möglich, wenn wir die bisher geübte einseitige Beurteilung des ganzen Problems nach den Maßstäben des anschauenden Bewusstseins aufgeben und ihm, da auf dem alten Wege ein Weiterkommen unmöglich ist, das deutende Bewußtsein zugrunde legen, der Wirklichkeit der Sinne die Einheit des Sinnes.37

      Unser Verhältnis zu den Dingen der Welt lasse sich nicht auf die einfache Gegenwart der Dinge in unserem Bewusstsein reduzieren, sondern es gebe zugleich noch eine andere Weise unserer Verbundenheit mit der Welt, und diese sei das Verständnis.

      Gleichberechtigt mit dem präsentativen ist das repräsentative Bewusstsein, mit der Richtung auf Phänomene die Richtung auf Sinn und Bedeutung.38

      Mit diesem Schritt verlässt Plessner die schwankenden Untersuchungen der Psyche und unternimmt den Schritt ins Objektive, die „Formen der faktischen Kultur“39, in denen er einen Garant, ein Organon der geistigen Möglichkeiten des Menschen entdeckt. Damit auch tritt methodisch die Untersuchung in eine neue Phase ein und schreitet voran: von der prinzipiellen Beschreibung der Phänomene und deren Einordnung in das sich mitteilende Schema der Dreiteilung, in die Interpretation der vorliegenden Sinngehalte des Verständnisses mit ihrer Verkörperung in den Werken der Kultur. Plessner betritt mit dieser Kombination der wissenschaftlichen Verfahren sein ureigenes Terrain, das der hermeneutischen Phänomenologie:

      Allerdings wird Plessner dann hier im Rahmen seiner Hermeneutik des Lebens den rein deskriptiven Ansatz im Hinblick auf einen deskriptiv-hermeneutischen Ansatz im Sinne einer ‚hermeneutischen Phänomenologie‘ erweitern.40

      Im Unterschied zu Prietowicz sehe ich allerdings diese methodische Erweiterung schon hier in seiner Die Einheit der Sinne am Werk. Denn was ist die Einarbeitung der „Wesen und Arten des Verstehens“41 in das vorher ausgearbeitete Schema der Sinnesmodalitäten anderes, als eine Auslegung, also eine Interpretation, der Bedingungen der Möglichkeit eben jener Schemata, in denen die Gegenstände des Bewusstseins auftreten? Allerdings muss die deutende Phase dieser Analyse den Charakter der Evidenz besitzen, damit sie als Fundament und Bedingung der Möglichkeit des Erkenntnisaktes wirksam werden kann. Von daher bleibt vorerst das methodische Hauptgewicht auf der phänomenologischen Beschreibung des Gegenstandes, ganz im Sinne Plessners: „Unter dem Eindruck der Sache selbst, […] der Wahrnehmung eines Vorgangs muss jede empirische Forschung ihre Arbeit beginnen.“42 Nun handelt es sich aber bei der Untersuchung nicht um empirische Forschung, sondern um eine „normwissenschaftliche Untersuchung des menschlichen Geistes“43, womit auf der einen Seite der korrekten Aufnahme der Tatsachen sowie der kritischen Einordung dieser, auf der anderen der Legitimität der Methode Genüge getan wurde.

      Verständnis ist, ohne vom Dasein des Verstandenen abhängig zu sein, die Verbundenheit mit einem Sinngehalt durch das Vergegenwärtigen eines wie auch immer gearteten Inhalts in repräsentativer Form. […] Die repräsentative Haltung differenziert sich nach dem gleichen Prinzip wie die präsentative Anschauung.44

      Der antreffenden Anschauung wird nun das Schema als Form des Gehalts zugewiesen, der innewerdenden Anschauung, das Syntagma und der füllenden Anschauung das Thema. Ihnen werden jeweils Wissenschaft, Sprache und Schrift sowie Kunst als die kulturellen Gestalten zugeordnet, welche in ihrer spezifischen Ausprägung Exempla der Anwendung der Anschauungs- bzw. Auffassungsreihen darstellen. An ihnen lieβen sich in hervorragender Weise die „Möglichkeitsfundamente des konkreten verstehenden Bewusstseins, nicht Inhaltselemente“45 ablesen. In Mathematik, Sprache und Schrift und Musik – genauer: absoluter Musik – als den reinen Ausprägungen für Handeln, Kundgabe und Ausdruck finde die Einteilung des Sinnenverstehens ihre exemplarischen Gegenstände:

      Stetig verengt sich bei konstant bleibender auffassender Haltung das geistige Blickfeld vom puren Erfassen der Anschauungsgehalte im Licht des bloßen „Als“ zur Auffassung „als etwas“ und zuletzt „als dieses“.46

      Thematisch werden Erscheinungen aller Dinge erfasst und „der synoptischen Kraft des Geistes kann nichts in der Welt, nicht er selbst Widerstand leisten.“47

      Sie treten damit unter die ästhetische Wertgebung des Gegensatzes vom Hässlichen und Schönen, ohne dass damit ein Etwas schon als ein bestimmtes