Transzendierende Immanenz. Manfred Bös. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Manfred Bös
Издательство: Bookwire
Серия: Orbis Romanicus
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783823302018
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und Bedeutungen sich bemerkbar machten, werde die Erscheinung präzisiert, stelle zu ihrem Sinn sich ein Meinen mit ein, gehe über sie hinaus und weise doch wieder auf sie zurück. Auf dieser Stufe werde der Streit um Meinungen oder die Einhelligkeit intuitiv erfasst, sei nicht objektiv entscheidbar oder zwingend. Erst wenn die letzte Einschränkung der Beliebigkeit des Meinens auf der schematischen Stufe mit der Bestimmung des Begriffs erreicht sei, würden Urteile bestimmt, gehe die Freiheit der Deutung des Sinnes verloren. Erst dann, mit der Bestimmung des Erlebnisgegenstandes „als dieses“49, werde die Auseinandersetzung über wahr oder falsch objektiv entscheidbar. Diese stetige „Verengung des Blickfeldes der Auffassung des Bewusstseins“50, welche auch auf eine „immer größeren Eindeutigkeit des Sinnes und des Sinnverständnisses zustrebt“51, finde ihre Parallele im „Anwachsen der Gerichtetheit in der Bewegung“52. In thematischer Sinngebung forme der Schauspieler den Körper, verständlich für den Zuschauer, zu einem Ausdruck. Die „proportionierende Formung“53 des Leibes vergegenständliche den zu kommunizierenden Sinn. Die „stimmgebende Geste des Verlautens“54 stehe am Beginn der „syntagmatischen Sinnform des Bedeutens“55. Doch erst wenn Zeichenhaftigkeit erreicht werde, näherten wir uns der Sprache. Erst wenn mit den Zeichen ein gedachter Sinn verknüpft werden könne, komme Interindividualität ins Spiel, und neben den ursprünglichen Erscheinungen und Erlebnissen könne Sinn unabhängig von diesen kundgetan werden. Es werde eine Zwischenzone erkennbar, in welcher der Übergang vom echten Ausdruck – wie z.B. dem Schreck – in „stimmlicher Entladung einer Erregung“56 zum symbolischen Gebrauch eines akustisch geformten Zeichens sich überlappe. Plessner verweist dabei auf Herder und Humboldt, spricht sich jedoch gegen eine wie auch immer geartete Sprachursprungsthese z.B. aus einer Verlautung des erschrockenen Urmenschen aus. Vielmehr verweist er auf einen physiologisch-haptischen Zusammenhang zwischen Laut – sprich Stimmbänder und Atmung – und Gemütsbewegung hin, welcher sich neben der Geste und ob seiner Glieder- und Formbarkeit der künstlichen Symbolik leihe. Diese Charakteristik des sprachfähigen Materials, also Formbarkeit und Gliederbarkeit, ermögliche erst die präzisierende Funktion von Sprache und Schrift. Denn sie könne dem im „psychischen Sein“57 sich spiegelnden Erlebnis angepasst werden. Diese Tätigkeit wiederum, ihrerseits verstanden im Haltungsbild der Handlung, leite zur nächsten Stufe, der schematischen über, auf welcher der Gegenstand „als dieser“ begrifflich bestimmt „motivierte Bewegung“58 durch Entschluss ermögliche. Sei es, dass ein sprachlicher Ausdruck gesucht oder dass ein Zweck bestimmt werde, dem dann entsprechend motivierte Handlungen nachfolgten. Im besonderen Maße sei es die Technik, eine „Nutzanwendung wissenschaftlicher Einsichten“59, welche die entsprechende Haltung des Leibes auf einen genauen, in der Zukunft liegenden Gegenstand bestimme. Ermöglicht werde diese klare Zielgerichtetheit durch die Bestimmung dieses Gegenstandes und der Mittel zu seiner Erreichung als ein dieses. Verbindet man die in diesen Reihen zum Ausdruck kommenden Beziehungen „zwischen Sinn und Haltung, Geist und Leib“60, so kann man die „Verschmelzung“61 geistiger und sinnlicher Größen konstatieren: „Versinnlichung des Geistes, Vergeistigung des Sinnlichen nach einem neuen Gesetz, das auf unsere Frage nach der sinngemäßen Notwendigkeit unserer Sinnesorgane eine befriedigende Antwort erteilt.“62

      Der Leib und die Gegenwart von Geist

      Nach dieser Synthesis widmet sich Plessner der genaueren Betrachtung des Gehörs, des Gesichtssinnes und der zuständlichen Modalitäten.

      Das Kapitel der Ästhesiologie des Gehörs gehört zu den zentralen Abschnitten der Ästhesiologie des Geistes. Denn Plessner beschreibt hier das Phänomen der „Adäquation der Ausdrucksbewegung zum Ausdruckssinn: im Tanz zur Musik“1. Nicht allein die Tatsache, dass beide, Musik und Tanz, Kunstformen sind, die in der Zeit sich abspielen, verbinde sie, sondern besondere Aufmerksamkeit verdiene die Tatsache, dass beide Kunstformen im Ablauf bewegter Elemente Sinngehalte darstellten, welche gegenseitig – musikalisch, tänzerisch – vermittelt werden könnten, und zwar nicht nur in der Form einer einfachen Reaktion des einen auf das andere, sondern in der „Angleichung der Leibeshaltung an den Sinngehalt“2. Hier werde in thematischer Form ein „Minimum an Ausdeutbarkeit“3 gegeben, welches sich in der Gliederung der Funktion der Ordnung4, in Arsis, Thesis und Synesis greifbar darstellt5. Gehörte noch die subjektive Zeitbetrachtung in diese Überlegung einbezogen, so stellt sich dringend die Frage:

      wie kann gegenständliche Form (und das ist jede Tonlinie) einen so bezwingenden Einfluss auf Haltung und Bewegung des Leibes ausüben, dass er an die Gründe der Seele rührt und aus dieser Erregung seine plastische Kraft zieht?6

      Weder Form noch Bewegung sind nach Plessner für den zwingenden Einfluss auf Haltung und Bewegung des Leibes verantwortlich, so dass allein noch der Stoff selbst übrig bliebe. Es sei das „Tonhafte am Ton“7, der akustische Stoff selbst, der als „Dauer“8 und schwellender Schall – „Nur ein Schall schwillt.“9 –, also dessen „voluminöser“10 Charakter, der in der Äquivalenz zur Haltung des Leibes, des stimmlichen Raumes: „Kopfton, Brustton, Tiefton“11, die Motivation zur Bewegung verständlich werden lasse.

      Nur weil zur Förmigkeit des akustischen Stoffs die Schwellfähigkeit gehört, lassen sich Haltung und Geste dem Zug der Töne einschmiegen, glauben wir von ihm getragen zu werden, in ihm zu schwimmen, haben die Taktzäsuren Impulswerte, die Tonhöhen Lagewerte.12

      Wenn in diesem Zusammenhang von Raum, bzw. stimmlichem Raum die Rede ist, gehe es nicht um die physikalische Bedeutung dieses Terminus. Es handele sich um einen phänomenalen Raum, welcher durch die Bewegung des Leibes in seiner sinnausdeutenden Haltung zur Musik von diesem selbst erschaffen werde13.

      Die Akkordanz des akustischen Stoffs zur Haltung präzisiert scharf, soweit das in der Sphäre reinen Erlebens angeht, die ästhesiologische Bedingung der Möglichkeit sinnadäquater Gesten zur Musik. Sie ist also im strengsten Sinne die allgemeine Voraussetzung zum Verständnis und zum Ausdruck musikalischer Gehalte, sie ist ganz eigentlich die Bedingung der Möglichkeit der Musik schlechthin.14

      Der Plessnersche Ansatz zu den Verstehensbedingungen der Musik steht in einem gewissen Widerspruch zu den Verstehensansprüchen die Adorno, welcher in seinen Ausführungen zu Typen musikalischen Verhaltens den idealen Hörer in jenem Menschen erkennt, der die Ordnungsstrukturen des musikalischen Geschehens im Ablauf – während des Erklingens – strukturell mitvollzieht15. Dieser Anspruch geht für Plessner am eigentlich musikalischen Werksinn vorbei. Der adornitische Hörer vergibt sich nach Plessner des Genusses am musikalischen Kunstwerk, denn er ist durch seine mitvollziehende Kenntnisnahme abgelenkt vom eigentlich musikalischen Kunstgeschehen in der Aufführung, dessen Sinngehalte er wohl ergreifend mitvollzieht, jedoch in einer ganz anderen Bewusstseinslage. Der plessnersche Hörer weist die einseitig intellektuelle oder kritische Betrachtung von sich, um sich vom grundsätzlich sinnoffenen – nicht sinnlosen – musikalischen Geschehen der „Sinngefüge“16 führen zu lassen. Dieser trifft in seinem Bewusstsein auf eine spezifische Leere, deren Fülle er wohl in der Musik erahnen, jedoch niemals wirklich dingfest machen kann.

      Wenn die These der „Akkordanz des akustischen Stoffs zur Haltung die […] Möglichkeit der absoluten Musik und ihrer Ausdeutung im Tanz und Dirigieren“17 erklärt, und damit auf ein Sinngeschehen hinweist, verweist sie damit zugleich auf eine innere Affinität von Laut und Bedeutung. Sie verweist also mithin auf eine innere Beziehung zwischen Laut und Sprache, nicht hinsichtlich der Natur der Sprachzeichen, denn bei diesen darf es diese Beziehung nicht geben, da das Zeichen in seiner sprachlichen Funktion der Konvention dienen können muss. Insoweit jedoch, wie „Sprache Ausdruck von Erregung darstellt, fällt sie […] unter die Herrschaft der thematischen Sinngesetzlichkeit, die ihrer Natur nach wohl eine innere Beziehung zwischen dem Sinn und der Art des Ausdrucks kennt“18. Hier zeige sich die „natürliche Bevorzugung der Laute und Töne als Darstellungsmittel des Sinnes“19. Damit jedoch irgendein Tatbestand Gegenstand sprachlicher Darstellung werden könne, müsse er sich als seelischer Inhalt bemerkbar gemacht haben, und dafür bedürfe es eines Minimums an seelischer Erregung. Er müsse als „Stoff meines Erlebens“20 auftreten können. Auf der anderen Seite jedoch bedürfe das Bewusstsein zugleich der Abstandnahme zu dieser Erregung, damit ein sprachlicher Ausdruck gestaltet werden könne. Es gibt also einen Hiatus, der beide Sphären trennt,