Ist Eros das „Leben des Lebens“19, so ist der genialische Eros der Geist des Geistigen. Er ist der „positive Akt einer geistigen Liebe zur Welt“20 und das „positive Bewegungsprinzip des Geistes“21, welches dem Fundament der genialischen Anschauung der Welt zugrunde liege. In kritischer Zurückweisung der Schopenhauerschen und Kantischen Interesselosigkeit als Grundlage für die kognitive wie ästhetische Betrachtung, welche nach Scheler schließlich das „Verschwinden aller Inhalte“22 zur Folge hätte, gilt für ihn die “Grundgesinnung“23 der genialischen Seele als eine der Welt schlechthin zugewandte. Der Metaphysiker und Phänomenologe Max Scheler ist in seinem Inneren ein Erotiker des Lebens und hinsichtlich der Kunst gilt für ihn, dass ihr Ursprung in der Feier des Lebens zu suchen sei24 und nicht wie von einer Gesellschaft mit „Magenproblemen“25 behauptet in der Arbeit. Für Scheler ist es die Überfülle des Lebens, das Fest:
Die künstlerische Tätigkeit, die in der Ausdruckstätigkeit wurzelt – schließlich die objektive Ausdruckstätigkeit ist, die in der drängenden Kraft der Selbstrealisierung des Konzeptionsgehaltes liegt –, ist sicherlich zuallerst Ausdruck des erotischen Gefühls. Der «Luxus» der Ausdruckstätigkeit spielt hier zuerst die entscheidende Rolle. Liebeslied, Liebesgesang als Erinnerung und Dauerhaftmachung oder als Erwartung des Festes der Vereinigung mit der Geliebten ist die erste Form der Kunstübung.26
Kunst und Realität
Die Bestrebungen des Typus Mensch als Genius richteten sich überdurchschnittlich „in geistiger Liebesleidenschaft auf das Wesenhafte und Ideenmäßige der Welt“1. Sie richteten sich auf „den Logos der Welt“2, den Scheler als „die ewigen Gedanken Gottes in der Schöpfung“3 beschreibt. In den Händen des Künstlers werde dieser Logos zur „geistgewordenen Form“4. So wird der Künstler ein Vorbild in der Erkundung und Feier des Reichtums der Welt. Er ist nicht deren Maître de cérémonie, sondern ihr erfindungsreicher Ausrichter. Damit lehrt er seine Festteilnehmer das sinnliche und geistige Erfassen der Welt im Symbol seiner – des Künstlers – Schöpfung, seines Werkes und bereichert so auch ihr seelisches Leben im „Nachvollzug seiner Darstellungsprozesse, seiner (des Weisen) Haltung, Lebens- und Seelentechnik.“5 Mit der Schaffung neuer Werke vermehre der Künstler das geistige Kulturgut des Menschen, welches „den objektiven Wert der Welt dauernd vermehrt“6. Der natürliche Mensch, schreibt Scheler7, ist von den Täuschungen, welche ihn beherrschen und bedrängen, befangen, der Künstler in Gestalt des Dichters jedoch durchbreche diese Schicht, indem er den Drang, der sich in den verkrusteten Formen der Sprache manifestiere, hemmt und zum inneren Sinn8 der Sprache vorstoße.
Die wahre Dichtung lehrt uns – weit hinaus über den Gehalt der Dichtung –, überhaupt formvoll zu erleben, das Unmittelbarste unserer seelischen Betätigung zu ergreifen – die Seele als werdende, als erlebende.9
Das Anhalten des vorbeiziehenden Lebens in künstlerischen Formen und Gestalten und damit dessen Betrachtungsmöglichkeit sei in der seelischen Vertiefung, welche ein derartiges Erleben mit sich bringe, selbst die höchste Vollendung des Lebens im Augenblick „der Konzeption“10. Im Kunstwerk werde die „Konzeption – als Beispiel für andere“11 dargeboten. Und in diesem Augenblick treffe sich der Gipfel des Lebens mit dem Beginn der Kunst:
Zuerst war die Seele stumm, blind, – mehr die Möglichkeit der Seele als Seele. Die erste künstlerische Tätigkeit – der Liebe entlang gehend – brachte sie zur Realisierung, zum abgegrenzten Erlebnis – wie Bedeutung die Einheit der Wahrnehmung, der Vorstellung ausmacht.12
Der Künstler sei nur die Spitze einer Funktion, welche im Inneren des Menschen die Tätigkeit eines jeden einzelnen ist und dieses „seelische Geschehen ist – realiter – nur die andere Seite unserer vitalen Tätigkeit.“13
Voraussetzung dieser Konstruktion ist die Annahme, dass die Substanz der Welt, das hypokeimenon, eine dynamische ist, welche sich in Form von Geschichte entwickelt.
Resümee
Noch hängt die Beschreibung des Menschen bei Scheler an einer metaphysischen Konstruktion. Doch der Weg, die Erscheinung des Menschen aus der Immanenz der Welt denkbar werden zu lassen, ist in seinem kurzen Entwurf Die Stellung des Menschen im Kosmos unverkennbar vorgezeichnet.
Jenes Sein, welches wir Geist nennen, vollzieht nach Scheler einen asketischen Akt der Entwirklichung oder anders ausgedrückt, einen Akt der Einverweltlichung. Er lockert und bereichert die Welt in ihrer Substanz als eine dynamische. Im Menschen – im Künstler nach seiner Art – verklammern sich Geist und Leben und arbeiten im Verein an der Welt.
Das Haben von Vorstellungen bei Scheler, vom Gefühlsdrang gespeist und Resultante einer vorgängigen triebhaften Aufmerksamkeit wie zudem eines höchst innerlichen Zusammenhangs zwischen Tun und Leiden, wobei Tun das Erstere ist, bezeugt ein für den Menschen mittelbares, durch sich selbst geführtes Weltverhältnis.
In der Eigenbewegung des tierischen Lebens verliert dieses das strenge Verhaftetsein der Pflanze an ihrem Ort – in ihrem Sein. Diese erweiterte Bewegungsform – nicht mehr nur Selbstausdehnung – und Lockerung des Seins verlangt nach einer Veränderung der inneren Struktur. Der Organismus antwortet darauf mit dem Auftreten des Instinktes. Scheler bestimmt ihn als eine teleokline, mehrgliedrige Zeitgestalt, als „Rhythmus“1. Er dient zur Lebenssicherung. Also schon bei den Wurzeln des Lebendigen selbst, erscheint der Rhythmus als gegliederte, teleokline Zeitgestalt, als Figur der geordneten und zielgerichteten bewegten Bewegung und als Anker des Lebenswesens im Sein.
Die Lockerung des lebendigen Seins ist Bedingung und Möglichkeit von Kultur und das Haben von Realität zugleich.
Helmuth Plessner: Die Einheit der Sinne. Grundlinien einer Ästhesiologie des Geistes1
Der Mensch oder die ontologische Leerstelle auf der philosophischen Bühne
Um das Denken Helmuth Plessners auch nur in seinen Grundzügen zu beschreiben, ist es unumgänglich, sich zurück zum Urheber der philosophischen Moderne zu begeben, zu René Descartes. Als dieser die Welt in res cogitans1 und res extensa unterteilte, musste das lebendige Wesen Mensch dadurch notwendig aus dem Blickfeld der Philosophie geraten. Denn zwischen Geist (esprit) und Materie zerfiel das Lebendige in entweder Psyche oder Ding, welche entweder den reinen Gesetzen des immateriellen Daseins, des Denkens, Wollens und Vorstellens, oder den Gesetzen von Stoß und Zug, den Gesetzen der Mechanik allein gehorchten. Zwischen beiden Substanzen entstand eine unüberbrückbare Kluft, eine ontologische Leerstelle, ein Chorismus, welcher keinen Übergang erlaubte. Die Lebewesen, wie auch der Mensch als Körperding, wurden zur unbelebten Materie gerechnet, welche allein mit dem Geist, dem Pneuma verkoppelt – dies gerann Descartes selber noch zur Substanz2 – bewegt werden konnte. Damit war das Lebewesen Mensch als Studienobjekt vom philosophischen Denken ausgeschlossen. Die Probe aufs Exempel liefert Kants Schrift zur Anthropologie, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht3, welche der allgemeinen Welterkenntnis diente, in seine philosophische Systematik jedoch keinen Eingang fand. Für Kant blieb die Anthropologie eine grundsätzlich empirische Wissenschaft und konnte deshalb kein Fundament für systematisches Philosophieren sein4. Auch das eine der möglichen Konsequenzen aus dem Descartschen Dualismus.
All dies führte zur Abwesenheit des Menschen auf der philosophischen Bühne. Plessner macht nun den Versuch dies zu ändern. Er findet im Menschen selbst den Schlüssel zur Verklammerung der von Descartes so streng getrennten Welten und vereint ihn wieder mit dieser. Eine Aufgabe, vor der die Philosophie seit dem Dualismus Descartes den Mut verloren zu haben schien5. Es geht Plessner also um den Menschen „als Objekt und Subjekt seines Lebens“6 und nicht um den Menschen als ein aus res cogitans und res extensa Zusammengesetztes, sondern um jene „psychophysische indifferente oder neutrale Lebenseinheit“7, um den Menschen „»an