Nur dämlich, lustlos und extrem?. Kurt Möller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kurt Möller
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783948675943
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oder weil das Charisma der Herrschenden Folgsamkeit bewirkt. Ob derart herrschaftliche Macht verkrustet und irreversibel erscheint oder nicht, in jedem Fall gilt: »Wo es Macht gibt, gibt es Widerstand« (Foucault 1977, 96). Macht schränkt, so gesehen, nicht nur Handlungsmöglichkeiten ein, sondern initiiert unter Umständen auch neues Handlungsvermögen und/oder liegt gar in diesem Vermögen.

      Diese positive Bedeutungszuweisung kann nicht nur an der etymologischen Herkunft des Begriffs andocken (»magh« <indogermanisch> = können, vermögen, fähig sein bzw. »magan« <gotisch> = können, vermögen, machen). Sie wird auch von Hannah Arendt verfolgt, wenn sie formuliert: »Macht entspringt der menschlichen Fähigkeit, nicht nur zu handeln oder etwas zu tun, sondern sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln« (Arendt 2000, 45).

      Politik als das Feld der Regelungen und der Diskussion öffentlicher Belange wird also von kollektiv organisierten Machtaushandlungen und -kämpfen durchdrungen. Das Verhältnis von Jugend zu Politik und zum Politischen stellt sich damit als Frage der Positionierung zu fremder und eigener Handlungsmacht dar. Indem Jugendliche Politik machen, arbeiten sie sich an Machtstrukturen der Gesellschaft, in die sie hineinwachsen, ab und kreieren zugleich eigenes Handlungsvermögen.

       JUGEND UND POLITIK – EMPIRISCHES WISSEN AUS QUANTITATIVEN UNTERSUCHUNGEN

      Die sozialwissenschaftliche Jugendforschung in Deutschland führt seit Jahrzehnten immer wieder Untersuchungen durch, die das politische Interesse, die von ihnen als dringlich zu lösenden Probleme, die politischen Einstellungen und verschiedene Aspekte des politischen Agierens junger Leute zum Thema haben. Jüngere empirische Studien zeichnen zum gegenwärtigen Stand das folgende Bild:

       POLITISCHES INTERESSE

      Nach der aktuellen Shell-Studie geben 2019 45 % der 15- bis 24-Jährigen an, »politisch interessiert« zu sein. Der Prozentwert liegt damit ziemlich genau im Mittel der letzten neun Repräsentativbefragungen, die finanziert von Shell seit 1984 durchgeführt wurden und deren Werte in einer Marge zwischen 57 % (1991) und 34 % (2002) liegen (Shell 2019, 49). Während der Vorsprung der männlichen 12- bis 25-Jährigen gegenüber den gleichaltrigen weiblichen über die Jahre hinweg deutlich schmilzt und nur noch 7 Prozentpunkte beträgt (44 % Zustimmung zu 38 %), zeigen sich entsprechend dem oben ausgegebenen Motto »Die Jugend gibt es nicht« erhebliche Unterschiede je nach Bildungsniveau: Während 2/3 der Studierenden sich politisch interessiert zeigen, gilt dies nur für rund ein Viertel der 12- bis 25-Jährigen mit Hauptschulabschluss (ebd., 52 f.).

       POLITISCHE THEMEN

      Angstbesetzte politische Probleme sieht diese Altersgruppierung mehrheitlich in Umweltverschmutzung (71 %), Terroranschlägen (66 %), Klimawandel (65 %), einer wachsenden Feindlichkeit zwischen Menschen mit unterschiedlichen Meinungen (56 %), der wirtschaftlichen Lage und steigender Armut sowie Ausländerfeindlichkeit (beide 52 %), wogegen Probleme mit der Zuwanderung nur für 33 % mit Ängsten verbunden sind (ebd., 56). Während bei den genannten Themen Ost-West-Unterschiede kaum eine Rolle spielen, ist die Sorge um Arbeits- und Ausbildungsplätze umso größer, je geringer das formale Bildungsniveau ist, steigt mit Letzterem aber die Furcht vor dem Klimawandel. Eher noch deutlichere soziale Differenzierungen zeigen sich im Hinblick auf die Betrachtung von Zuwanderung und Ausländerfeindlichkeit: Liegt die Angst vor Zuwanderung bei Personen mit Hauptschulabschluss (56 %) bzw. Mittlerer Reife (40 %) deutlich vor denen mit Hochschulreife (25 %), so steigt umgekehrt die Sorge vor Ausländerfeindlichkeit mit dem formalen Bildungslevel an (von 41 % bei Hauptschulabsolvent*innen über 47 % bei jungen Leuten mit mittlerem Bildungsabschluss auf 56 % bei (Fach-)Abiturient*innen; ebd., 60). Soziale Unterschiede im Sinne von Schichtfaktoren bestimmen auch die Beurteilung der Existenz sozialer Gerechtigkeit in Deutschland. Die Einschätzung, dass es hierzulande eher oder gar nicht gerecht zugeht, wird in der Unterschicht mit einem Prozentsatz von 50 % der Befragten doppelt so häufig vertreten wie in der Oberschicht. Jugendliche mit sogenanntem Migrationshintergrund halten die Realisierung sozialer Gerechtigkeit in Deutschland – angesichts häufiger eigener Diskriminierungserfahrungen überraschenderweise – für stärker gegeben als Jugendliche ohne Migrationshintergrund, wobei insbesondere junge Leute mit familiären Wurzeln in osteuropäischen Staaten und – für manche vermutlich unerwartet noch stärker – solche aus islamisch geprägten Ländern diesen Eindruck wiedergeben (ebd., 67 ff.).

       POLITISCHE EINSTELLUNGEN UND DEMOKRATIEZUFRIEDENHEIT

      Soziale Heterogenität prägt auch eine Reihe von politischen Einstellungen der jungen Generation. So sind unter den 15- bis 25-Jährigen insgesamt 9 % »Nationalpopulist*innen« und 24 % »Populismus-Geneigte«, bei Besitzer*innen des Hauptschulabschlusses allerdings 24 % »Nationalpopulist*innen« und 34 % »Populismus-Geneigte«, hingegen bei Personen dieser Altersgruppe mit (Fach-)Hochschulreife 4 % bzw. 18 % (ebd., 79; zu den Items, mit denen entsprechende Orientierungen – u. a. Zuwanderungs- und Islamskepsis sowie Elitenkritik und Unterdrückung unbotmäßiger Meinungen – erhoben werden, ebd. 76 ff.). Etwas häufiger finden sich solche Haltungen im Osten als im Westen und bei männlichen als bei weiblichen Befragten. Letztere hingegen sind überproportional unter den »Weltoffenen« (insgesamt 27 %) und »Kosmopolit*innen« (12 %) vertreten. Diese beiden Gruppierungen unterscheiden sich von den beiden zuerst genannten vor allem dadurch, dass sie nicht nur eine viel geringere Distanz gegenüber gesellschaftlicher Vielfalt aufweisen und ein deutlich kleineres Ausmaß an Benachteiligungsempfinden haben, sondern auch viel eher davon ausgehen, dass sie Kontrolle über das eigene Leben haben und es weitgehend selbst bestimmen können (vgl. ebd., 84 ff.). Sie sind auch deutlich demokratiezufriedener (zu 88 %), wogegen rund 2/3 der Nationalpopulist*innen mit den Realitäten der Demokratie in Deutschland unzufrieden sind und fast ein Viertel (23 %) von ihnen auch grundsätzlich Demokratie nicht für eine gute Staatsform hält.

      Unabhängig davon: Wer eher unzufrieden mit der Demokratie ist, Dinge nicht für änderbar hält und politisch (eher) nicht interessiert ist, zeigt sich politik(er)verdrossen und glaubt nicht, »dass sich Politiker darum kümmern, was Leute wie ich denken« (ebd., 96) – ein Eindruck, den insgesamt immerhin 71 % der 15- bis 25-Jährigen haben (ebd., 94).

       POLITISCH-SOZIALES ENGAGEMENT

      Hinsichtlich der Bedeutungseinschätzung politischen Engagements haben die weiblichen Befragten im Laufe der Jahre aufgeholt: Mit der Einschätzung, solches Engagement sei »wichtig«, liegen sie mit ihren Altersgenossen gleichauf (jeweils 34 %; ebd., 116). In der Höhe der prozentualen Zustimmungen zu den Werten »sich unter allen Umständen umweltbewusst verhalten« und »sozial Benachteiligten helfen« liegen sie sogar deutlich vor den gleichaltrigen männlichen Befragten (»umweltbewusst verhalten«: 77 % (w.) : 66 % (m.); »Benachteiligten helfen«: 67 % (w.) : 56 % (m.); ebd.).

      Unterschiede zeigen sich bei diesen Haltungen aber auch schichtspezifisch: Umweltbewusstes Verhalten und Hilfe bei sozialer Benachteiligung zu leisten finden eher Jugendliche aus den oberen Schichten wichtig. Noch deutlicher fallen in dieser Hinsicht die Differenzen bei der Bedeutungszuweisung eigenen politischen Engagements aus: »Sich politisch engagieren« – dies ist für fast die Hälfte der Jugendlichen aus der oberen Schicht, aber nur rund ein Viertel der jungen Leute aus den unteren Schichten wichtig (vgl. ebd., 122 f.).

      Selbst politisch oder sozial engagiert sind bei den 12- bis 25-Jährigen insgesamt 36 % oft, 33 % gelegentlich und 31 % nie. Auch hier zeigt sich, dass die Höhe der Herkunftsschicht und die Höhe des Bildungsniveaus (letztgenanntes allerdings nur leicht) positiv auf die Engagementintensität Einfluss nehmen.

      Das Engagement selbst wiederum erstreckt sich inhaltlich vorrangig auf die Durchsetzung der Interessen von Jugendlichen, auf Einsatz für sinnvolle Freizeitgestaltung und auf Umwelt- und Tierschutz (vgl. ebd., 98 ff.). Das meiste davon erfolgt in alltäglichen Zusammenhängen durch persönliche Aktivität (bei 39 %), Mitarbeit in Vereinen (bei 37 %) oder in Form (hoch) schulischen Engagements (bei 26 %; ebd., 101). Jugendliche