Nein, dass der Untertitel dieses Artikels doppeldeutig daherkommt, ist kein Zufall. Er signalisiert zweierlei: Zum Ersten steckt er das Thema grob ab. Es geht im Folgenden darum, wie junge Menschen Politik betreiben. Zum Zweiten lässt er deutlich hervortreten, dass Fragen der Macht im Mittelpunkt stehen, wenn hier die Bestimmung des Verhältnisses von Jugend und Politik zum Gegenstand gemacht wird.
Für alle Begriffe des Untertitels scheint zunächst eine definitorische Klärung angebracht zu sein, bevor wir auf das eingehen, was wir empirisch über politisches Interessiertsein und politisches Handeln von jungen Menschen wissen, um danach auf dieser Grundlage abschließend wenigstens ganz knapp Perspektiven aufzuzeigen, wie einschlägige Aktivität(sbereitschaft)en gesellschaftlich gefördert werden können, um politische Teilhabechancen und Demokratie auf Dauer sichern, ausbauen und weiterentwickeln zu können.
JUGEND, MACHT, POLITIK – DEFINITORISCHE KLÄRUNGEN
JUGEND
Werden in jüngerer Zeit die Relationen von Jugend und Politik öffentlich erörtert, dann stehen sich zumeist zwei Positionen diametral gegenüber: Die einen lamentieren über die angeblich so unpolitische Jugend von heute – zumeist mit einem nicht ganz uneitlen Verweis darauf, dass dies ja in der eigenen Jugend alles ganz anders gewesen sei. Die anderen singen das hohe Lied breiten jugendlichen Engagements oder betonen zumindest das große politische Interesse in der nachwachsenden Generation.
Das Problem an beiden Positionen scheinen die Pauschalisierungen zu sein, die oftmals mitschwingen, wenn undifferenziert von der Jugend oder der jungen Generation die Rede ist. Die Jugend aber gibt es eben nicht – dies weiß die Jugendforschung mindestens seit Ende der 50er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Sie unterstreicht dieses Wissen aber in jüngerer Zeit mit Verweisen auf zunehmende Individualisierung und Pluralisierung zu Recht immer häufiger. Jugend ist mannigfaltig und divers, sodass sich knapp formulieren lässt: Jugendliche gibt es, aber nicht die Jugend.
Selbst wer zur Gruppierung der Jugendlichen zu zählen ist, wird seit Längerem jedoch in wachsendem Maße unklar: Dass es nicht nur die 14- bis 18-Jährigen sind, die diese Altersgruppierung bilden, lässt sich allein schon daran erkennen, dass die Adressat*innen der Jugendhilfe laut ihren gesetzlichen Grundlagen bis zu 27 Jahre alt sein können und sogar noch viele Menschen im vierten Lebensjahrzehnt sich in vergleichbaren Lebenslagen befinden oder einen jugendlichen Lebensstil pflegen: z. B. eine (Zweit-)Ausbildung durchlaufen, keinem sozialversicherungspflichtigen »Normalarbeitsverhältnis« nachgehen, (noch) keine Kinder haben, kulturelle Vorlieben pflegen, die denen der Jüngeren gleichen usw. Für jede*n sichtbar dehnt sich auf der anderen Seite die Jugendphase auch »nach unten« hin aus: Wer rechtlich gesehen noch ein Kind ist, zeigt vielfach schon jugendtypische Verhaltensweisen: kleidet sich wie die Älteren, hört »ihre« Musik, nutzt dieselben Medien und geriert sich auch sonst oftmals wie sie. Insofern gibt es ebenso wenig die Jugendlichen wie die Jugend.
Folglich ist die Frage, ob die Jugend oder die Jugendlichen heute politischer, weniger politisch oder genauso politisch sind wie vorherige Jugendgenerationen, falsch gestellt. Sie ist in dieser Pauschalität gar nicht seriös zu beantworten.
Chancen auf verlässlichere Antworten ergeben sich wohl erst dann, wenn unter dem Schlagwort »Jugend« auf diejenigen geblendet wird, die sich zum einen in einer Lebensphase und -lage befinden, die als jugendlich gelten kann, also noch nicht die Insignien des Erwachsenseins aufweist, und die sich vor allem auch selbst als Jugendliche verstehen, und die zum anderen diese Lebensphase in durchaus unterschiedlichen Milieus und dementsprechend auch mit unterschiedlichen Chancen, Wertorientierungen und Haltungsbeständen durchlaufen.
POLITIK
»Politik ist ein schmutziges Geschäft«, »Politik wird in Parteien und Parlamenten gemacht«, »Politik ist alles, was nicht in deiner Wohnung passiert«, »Politik ›von unten‹ findet als Protest auf der Straße statt« – bereits diese kleine Auswahl von formelhaften Verständnissen von dem, was mit dem Begriff »Politik« gemeint sein kann, zeigt auf: Eine auch nur einigermaßen gesamtgesellschaftlich geteilte Definition von »Politik« kann wohl nicht angenommen werden. Mehr noch: »Das Private ist politisch.« Das, was dieser vor allem in der Frauenbewegung verbreitete Slogan ausdrückt, macht die Sache noch komplizierter. Er reißt die Auffassung ein, es ließe sich zwischen einer öffentlichen Sphäre der Politik und einer der Privatheit trennen.
Was nun? Vielleicht führt es weiter, einer Unterscheidung zu folgen, die in der Politikwissenschaft praktiziert wird: der zwischen »Politik« und dem »Politischen«. Bezeichnet »Politik« das gesellschaftliche Funktionssystem aus Parteien, anderen Organisationen, Parlament und Regierung, das letztlich einen Staat ausmacht, so zielt der Begriff des »Politischen« auf die politische Dimension des sozialen Mit-, Neben- und Gegeneinanders – auch im Alltag.
Wenn wir nun mit diesem Beitrag gerade auf das Verhältnis von Jugend und Politik blenden, dann erscheint ein enger Politikbegriff wenig angebracht: Im gesellschaftlichen Funktionssystem spielen Jugendliche kaum eine Rolle. Es ist in erheblichem Maße erwachsenendominiert. Zwar beziehen sich auch Jugendliche auf dieses System, etwa dann, wenn sie die Regierungen und Volksvertretungen dafür kritisieren, zu wenig gegen die drohende Klimakatastrophe oder rassistische Tendenzen in der Gesellschaft insgesamt und in staatlichen Behörden im Besonderen zu unternehmen. Selbst unmittelbar aktiv darin sind sie aber nur in wenigen Fällen; dies nicht nur, weil Jugendliche etablierte Positionen an den »Schalthebeln der Macht« noch nicht erreicht haben, sondern allein schon deshalb, weil das aktive und passive Wahlrecht dem einen Riegel vorschiebt. Aber auch ungeachtet dessen dürfte der Löwenanteil an politisch relevanten Erfahrungen von (jungen) Menschen in den Lebensvollzügen des Alltags gesammelt werden: beim (Nicht-) Mitbestimmenkönnen in Kita, Schule und Berufsausbildung, beim Agieren in Vereinen und Jugendarbeit, bei der Kommunikation auf Onlineplattformen; bei der Regelung von familiären Konflikten und Auseinandersetzungen zwischen Peers, beim Leben in Jugendkulturen sowie auf öffentlichen Straßen und Plätzen etc. Erst recht dort, wo es um Politik geht, die junge Menschen selbst betreiben, ist von Sphären wie den zuletzt genannten gar nicht abzusehen.
Und doch macht es wenig Sinn, sich angesichts dieser Breite der Erscheinungsweisen des Politischen in die Aussage zu flüchten: Letztlich ist alles politisch. Damit würde der Begriff des Politischen grenzenlos verwässert. Eine Alternative zu derartiger begrifflicher Ausuferung ist in Anknüpfung an das folgende Politikverständnis in Aussicht: Lässt sich Politik knapp als die Gesamtheit der Aktivitäten und Strukturen verstehen, die auf die Herstellung, Durchsetzung und Infragestellung von kollektiv verbindlichen Regelungen öffentlicher Belange ausgerichtet sind (vgl. auch Bundesministerium 2020), so ist das Politische als das begreifbar, was einerseits als Auswirkungen dieser Regelungen und Regelungsprozesse in den (alltäglichen) Lebensvollzügen der Menschen zutage tritt und was andererseits in ihren Impulsen zu kollektiv angestrebten Neuregelungen und neuen Thematisierungen besteht. Es handelt sich mithin um das Betroffensein von politischen Verhältnissen, etwa in Form von sozialer Ungleichheit, Lasten klimaschädlicher Produktion, Ungerechtigkeiten der Reichtumsverteilung, institutionellen Diskriminierungen etc., aber auch um die Entwicklung von Widerstand, Gegenwehr und überhaupt um Interessen, öffentlich relevante Sachverhalte mit zu beeinflussen.
Zugleich stellt sich mit einer solchen Feststellung auch die Frage nach Macht: nach dem Ausgesetztsein von Machtausübung, aus dem Betroffensein resultiert, genauso wie nach der Potenzialität machtvollen Mitmischens.
MACHT
Ohne an dieser Stelle terminologische Spitzfindigkeiten diskutieren zu wollen und zu müssen, lässt sich Macht zunächst, anknüpfend an die im deutschsprachigen Raum wohl gängigste Definition, nämlich die von Max Weber (1922/1985), begreifen als »Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht« (1985, 28). Wo solche Macht institutionalisiert ist, tritt sie als Herrschaft in Erscheinung, dies mit