Der Bürg mit dem Hundehalsband. Helmuth Santler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Helmuth Santler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783843500944
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Hände an den Hosenbeinen ab und starren weiter auf die Rauferei.)

       In diesem Augenblick gelingt Werner ein schwerer linker Haken, der den Kontrollor über die Brüstung befördert. Dumpfer Aufprall, aufgeregte Schreie. Werner beugt sich über das Geländer; aus dieser Perspektive sieht man den Uniformierten in einer Blutlache regungslos liegen. Ein Schwenk bringt zwei Polizisten ins Bild, die, von den Schreien angetrieben, die letzten Meter im Laufschritt bewältigen. Einige Passanten zeigen auf Werner, der immer noch fassungs- und regungslos über die Brüstung gebeugt dasteht. Rufe wie „Der war's!“, „Mörder!“, Schnappt's ihn euch!“ machen den beiden Polizisten die Entscheidungsfindung sehr einfach. Von links und rechts ergreifen sie gleichzeitig den verhinderten Selbstmörder, ein prüfender Blick nach unten überzeugt sie von der Richtigkeit ihres Tuns. Werner, schon wieder von einer neuen Situation überfordert, will sich heftig losreißen, woraufhin beide Polizisten in einem synchronen Bewegungsablauf die Gummiknüppel ergreifen, Schwung holen und punktgenau, einer von links, einer von rechts, einen Schlag auf Werners Kopf landen. Ohne einen weiteren Laut bricht Werner zusammen. Jetzt kommen wieder die beiden Wetter ins Bild.

      Sandler: A Unentschieden; baade san k.o.

      Passant: Der Kontrollor ist wohl eher tot. Außerdem war der Zweikampf eindeutig entscheiden; das Eingreifen der Polizei hatte mit unserer Wette nichts zu tun. Sie schulden mir sechs Schilling und einen Einzelfahrschein. (Hält die Hand auf)

      Sandler: (gibt ihm widerstrebend das Gewünschte) Heast, Oida, host a poar Schüling?(27)

      Passant: (im Wegdrehen) Ja. (entfernt sich mit raschen Schritten)

       ****************

       Ein Gerichtssaal. Geschworene, volle Ränge.

      Richter: (mit Blick auf die Geschworenenbank) Sind Sie zu einem einstimmigen Urteil gekommen?

      Sprecher der Geschworenen: Das sind wir, euer Ehren. Wir befinden den Angeklagten für schuldig.

      Richter: Angeklagter, erheben Sie sich. (Werner, sehr bleich im Gesicht, befolgt die Aufforderung) Das Hohe Gericht verurteilt den Angeklagten zu lebenslänglicher Haft. Nehmen Sie das Urteil an?

      Werner: Nein, ich will die Todesstrafe.

      Richter: Hamma ned. Lebenslänglich also. (Der Richterhammer knallt aufs Pult.) Die Sitzung ist geschlossen.

      © 1992

      

      Satirisches

      Von 2003 bis 2014 habe ich für das Magazin „Wege“ die Kolumne „verWEGEn“ verfasst. Sechs meiner verWEGEnen Lieblingstexte bilden das Rückgrat des satirischen Teils. Ganz am Anfang steht aber „Das Wahrheiten des No-bert Hxfer“, entstanden angesichts der bedrohlichen Aussicht auf einen extrem rechtspopulistischen Bundespräsidenten kurz vor der Bundespräsidentenstichwahlwiederholung 2016. Der Kelch ist an uns vorübergegangen ... fürs Erste.

      

      Das Wahrheiten des No-bert H.

      No-bert H×fer war am Ziel: Obwohl er von den bekannt radikalen Linkskatholiken in die Arme einer kleinen religiösen Protestgruppe getrieben worden war, obwohl sich mit Ausnahme einer Orangenpartei (einmal pressen und der gesamte Saft ist draußen) und natürlich seinen eigenen Einbläulingen praktisch die gesam­te medial präsente Öffentlichkeit ge­gen ihn ausgesprochen hatte, hatte sich eine Mehrheit für ihn gefunden. No-bert war Bundesprassident.

      Sofort versammelte er seine Getreuen um sich und bläute ihnen ein, dass die Zeit der Zurückhaltung nun­mehr über­standen sei. Gekommen sei die Zeit des Wunderns über das, was möglich ist. „Immer lächeln“ wurde zum Staatsmotto erhoben, die Korn- zur Nationalblume erklärt und die internationalen Beziehungen auf ein vernünftiges Maß einge­schränkt: auf alle, die den Satz „der vom Thron des Familienoberhaupts ge­stoßene Mann sehnt sich unverändert nach einer Partnerin, deren Brutpflegetrieb auferlegte Selbstverwirkli­chungsambitionen überragt“ verstehen und inhaltlich gutheißen.

      BÖS, der Bairisch-Österreichische Staatenbund, brachte endlich zusammen, was zusammengehört. Südtirol erhielt eine ständige Vertretung, Vorarlberg wurde vor die Wahl gestellt: Annahme des Bösterreichischen als Amtssprache oder Abschiebung in die Schweiz.

      Im sofort in Angriff genommenen neuen amtlichen Regelwerk des Bösterreichischen wurden etliche linguisti­sche Fehler der Vergangenheit behoben. „lügen“ wurde etwa mit den Vermerken „veraltet, nur noch in der Zusammensetzung ,Lü­genpresse‘“ versehen sowie dem Verweis auf den neuen korrekten Begriff „wahrhei­ten“ („Bei der Vorwahl-Behaup­tung, nicht für den Östritt zu sein, wahrheitete No-bert H×fer im Sinne seines Gemeinwesens.“). Fremdländisches wurde ausgemerzt (siehe Östritt statt Öxit, Gemeinhüter statt Polizei, Taktonung statt Musik) oder zumindest rechtsschreibend angepasst (Händi, kuhl, Proweida).

      Siegestrunkene Massen zogen über die Ringstraße freiheitlicher Studenten, die neuen rot-weiß-roten Fah­nen mit ein­gefügter Kornblume schwenkend und im Takt der neuen Ordnung skandierend: „Ein Volk, ein BÖS, ein H×fer“.

      Abweichler bekamen den ungezügelten Zorn der Einbläulinge zu spüren: Der Begriff „Gründüngung“ eta­blierte sich für eine besonders ekelhafte Form der Bestrafung durch den aufgebrachten Pöbel, bei der Kli­mawandel-Gläubige oder sonstwie des politischen (bzw. Bösterreichisch gemeinverwahrenden) Grün-Seins Verdächtige als Aborte missbraucht wurden. Eine besonders tatkräftige Gemeinheit (Bösterreichisch für eine gemeinverwahrende Ordnungsgruppe) am rechten Gesinnungsrand der Einbläulinge ging Gerüchten zufolge sogar so weit, die grüngedüngten Opfer nach Mög­lichkeit an Ort und Stelle zu verscharren, um ihre frucht­bringende Wirkung zur Gänze zu nutzen.

      Dieselbe Gemeinheit stand auch im dringenden Verdacht, für das wiederholte Vorkommnis des „Aderlasses“ verant­wortlich zu sein; damit wurde die häufig tödliche Praxis bezeichnet, „das Rot aus den Roten abzulas­sen“. Als Rote gal­ten alle links von den Einbläulingen, bei denen das Grün nicht überwog; in Zweifelsfällen wurden einfach beide Bestra­fungsmaßnahmen angewendet.

      Das offizielle Bösterreich hatte mit derlei Übergriffen selbstver­ständlich nichts zu tun. Obwohl Prassident H×fer sich sofort nach seinem Wahltriumph mittels einiger Änderungen der Verfas­sung mit nahezu uneingeschränkten Machtbefugnissen ausgestattet, seine Amts- auf Lebenszeit verlängert und sich symbolträchtig zur Ein-Prozent-Gesellschaft bekannt hatte, indem er 1 Prozent des BNP als sein Jahressalär als Prassident festlegte – mit einer festgesetzten Untergrenze von 3 Milliarden Euro –, obwohl er es also wirklich nicht mehr nötig hatte, anderen etwas vorzuspielen, distanzierte er sich in einer prassidialen Stellungnahme von den barbarischen Praktiken mit den Worten: „Gerechter Zorn gegen unser Gemeinwesen gefährdendes Abweichlertum ist das eine, doch Gründüngungen und Ader­lässe schädigen unter Umständen, insofern es sich um einheimische Bösterreicher handelt, den gesunden Volkskörper in einer dem großen Ziel der Reinigung un­seres Gemeinwesens abträglichen Weise. Entspre­chenden Gerüchten, dass tatsächlich echtgebürtige, wenn auch ge­sinnungsmäßig abweichende Bösterrei­cher letztgültig zu Schaden kommen, ist auf das Genaueste nachzugehen. Soll­ten die angeblichen Ausüben­den dieser Gewalttaten, für die selbstverständlich die Unschuldsvermutung gilt, tatsächlich die Verantwor­tung übernehmen, werden unverzüglich Umschulungsmaßnahmen in die Wege geleitet werden, mit de­nen die fragliche Gemeinheit wieder zum starken Stamm unseres geliebten Gemeinwesens zurückgebracht wird. So­lange es fremdländische, leicht verzichtbare bzw. unerwünschte Abweichler gibt, gibt es keinen Grund, den Nährboden unserer Volksgemeinschaft zu schwächen. Denn auch wenn der Pfad für Abweichler für im­mer verloren sein mag, be­steht doch immer Hoffnung für ihre Abkömmlinge, durch rechtes Streben, einge­bettet im sicheren Schoß gesinnungs­fester