Helmuth Santler
Der Bürg mit dem Hundehalsband
Storys, Sketches und Satirisches
Ein E-Book vom Textmaker
ISBN: 978-3-84350-09-44
Erstellt mithilfe von Sigil 0.7.1., Wien, Mai 2013
Erweiterte Neuauflage erstellt mithilfe von Sigil 0.9.7., Wien, Jänner 2017
Überarbeitete Neuauflage erstellt mithilfe von Sigil 1.8.0., Wien, Jänner 2022
Cover: E. T. A. Hoffmann – Kapellmeister Kreisler, Gestaltung: Herbert Gruber, d.sign Gruber & Partner KG
Die Printausgabe dieses Titels ist erhältlich unter ISBN 978-3-945620-79-3.
peachsmack CC-BY-SA 2.0; Bearbeitung Textmaker
Sketches
Ort der Handlung der hier präsentierten vier Mikro-Komödien ist Wien, wo ich seit den 1980er-Jahren wohne. Das verwendete Idiom ist den hiesigen Gepflogenheiten abgeschaut; für besondere Härtefälle sind Übersetzungen in Form von Fußnoten eingefügt.
Die Sachen sind allesamt schon einige Jahre alt. Heute würden manche Dialoge merklich anders klingen, denn in den drei Jahrzehnten, in denen Neudeutsch, Deutsch-Deutsch und Gemmabillaismus miteinander um die linguistische Vorherrschaft ringen, hat sich das Urwienerische auf eine vom Aussterben bedrohte Sprachart zurückentwickelt.
Beruhigungshinweis für alle, die mit dem Dialekt Schwierigkeiten haben: Alle übrigen Texte sind mit einer Ausnahme in ordentlichem Schriftdeutsch gehalten.
Blubbies im Establishment
Von oben ist ein ca. 25-jähriger Mann zu sehen. Er sitzt am Klo, in den Anblick nackter Mädchen in einem Pornoheft versunken, und masturbiert.
Vor der Klosetttüre tritt eine ca. 25-jährige Frau, in ein straightes Businesskostüm gekleidet, etwas verkrampft von einem Fuß auf den anderen.
Anna (genannt Ann): Mach schon, i muaß total dringend. Außerdem hab i's sowieso eilig.
Richard (genannt Ritschi), gedämpft durch die Häusltür: I ... kumm ... eh glei.
Ritschis Gesicht frontal: es macht einen äußerst angespannten Eindruck.
Anns Gesicht frontal: zeigt denselben Ausdruck wie Ritschis.
Der geteilte Bildschirm zeigt Ann und Ritschi diesseits und jenseits der Klosetttüre. Ann zischt plötzlich davon, die Kamera folgt ihr ins Bad, wo sie sich über die Duschkabine hockt und uriniert. Zeitgleich schafft es Ritschi, und beider Gesichtsausdruck wandelt sich in einen der behaglichen, entspannten Zufriedenheit.
Beide: Aaaaah...
Von oben sieht man zuerst zerknülltes Klopapier in der Muschel, das fortgespült wird, dann eine gelbe Flüssigkeit, die aus einer Duschtasse geschwemmt wird.
Die Klotüre, von außen gesehen, öffnet sich und Ritschi kommt heraus. Während des folgenden Dialogs gehen die beiden langsam in die Küche und treffen Vorbereitungen fürs Frühstück: Kaffeekochen, Essen aus dem Kühlschrank holen usw.
Ritschi (mit dem Porno unterm Arm): Schon frei, Ann.
Ann: Schon is gut. Danke, jetzt brauch i's nimmer.
Ritschi: Ist wohl in die Hose gegangen.
Ann: Nein, in die Duschkabine.
Ritschi: Ma, du bist a Schweindl. Und i wollt mi grad brausen(1) gehn.
Ann: Gute Idee, geh di brausen. Von wegen Schweindl! Glaubst i was ned, was du so lang am Klo treibst?
Ritschi: Ich meditiere gegen meine Prüfungsangst.
Ann: Tatsächlich? Du hast heit a Prüfung?
Ritschi: Nicht direkt heute. In vier Wochen. Aber rechtzeitige Vorbereitung ist das Um und Auf. Du weißt ja – Angst lähmt.
Ann: Na und? Sollst du bei der Prüfung vorturnen?
Ritschi: Nein, es geht um die Kommunikation politischer Ideologie in heimischen Printmedien von 1945 bis heute.
Ann: Ist ja hochinteressant! (Mit Blick auf das Pornoheftchen) Die Stellung der Frau ist dir offenbar ein besonderes Anliegen.
Ritschi: Du kennst mich ja: Ich bin für die Gleichberechtigung. Das Problem ist nur, wenn alle dieselbe Stellung einnehmen, passiert überhaupt nichts mehr. Männer und Frauen müssen sich ergänzen, nicht kopieren.
Ann: Na, dann ergänz mal die Milch. Die im Kühlschrank ist zum Schmeißen.
Ritschi: Ich schon wieder. Eigentlich wär der Robert dran.
Ann: Der schlaft noch; is erst um vier in der Früh nach Hause gekommen.
Ritschi: Woher weißt du das denn so genau?
Ann: Jemand hat mal gesagt, Männer und Frauen müssen sich ergänzen ...
Ritschi: Ah, so ist das. Na dann werd' ich den beiden Turteltäubchen halt das Frühstück bringen. Hätten Sie's gerne ans Bett oder darf ich in der Küche servieren?
Ann: Idiot! Der Robert hat mich aufgeweckt und um ein Aspirin angebettelt. Voll im Öl, der Typ. Den Dunst, den der verbreitet hat, hätt' ma als Insektenvertilgungsmittel verwenden können. Jetzt mach schon, i muaß dann los.
Ritschi verlässt die Wohnung in Schlapfen und Jogginganzug. Eine Tür von der Küche geht auf und Robert tritt auf; er trägt eine Unterhose und Socken und sieht reichlich mitgenommen und völlig übernächtigt aus.
Robert: (mit einer Stimme, die an Tom Waits erinnert) Könnt`s ihr ned leiser sein? In mein Kopf streitens grad, obs hämmern oder bohren sollen. Hast no a Aspirin?
Ann: Na, du hast da die letzten drei schon in der Nacht verabreicht. Wie wär's mit einer eiskalten Dusche?
Robert: Wie wärs mit einer Kopfmassage, mein Liebling?
Ann: Deine Gehirnzellen haben anscheinend mehr als üblich gelitten, mein Säufling. Keine Zeit für solche Scherze.
Die Eingangstür geht auf und Ritschi kommt mit der Milch zurück.
Ritschi: Sieh mal an, Totgesagte leben länger.
Er öffnet das Milchpackerl, riecht daran und rümpft die Nase.
Ritschi: Des gibt's ned. Die is a schlecht.
Ann: Lass mich mal. (riecht auch daran, kostet einen Schluck) Die Milch is ganz in Ordnung, der komische Geruch stammt von unserem lieben Mitbewohner.
Robert: Okay, okay, schon kapiert. (verschwindet im Badezimmer)
Ann macht sich in ziemlicher Eile über ein schnelles Frühstück her; Ritschi sieht ihr, gemächlich eine Semmel mit Käse kauend und gelegentlich Kaffee schlürfend, eine Weile zu.
Ritschi: Was treibt di eigentlich so? Kriagst jetzt an Stress auf deine alten Tag?
Ann: I hab an Vorstellungstermin. Werbebranche.
Ritschi: Palmers-Model?
Ann: Wennst meine Höschen seh'n willst, brauchst nur die Wäsche waschen. Ich bewerb mich als Texterin.
Ritschi: Ein Waschdurchgang mit Höschen-rein, macht braune Flecken winzig klein.
Ann: Wer würde dieses Mittel wählen, wenn ihn so blöde Sprüche