Der Bürg mit dem Hundehalsband. Helmuth Santler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Helmuth Santler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783843500944
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Ich hör wohl nicht richtig – machen Sie das gefälligst so, dass nichts passiert! (schließt die Tür und geht zum Telefon, wählt.) Hausverwaltung? Grüß Gott, Sabenter. Ich rufe an wegen dem Haus Altklostergasse 101. Es besteht die Gefahr, dass in meine Wohnung eingebrochen wird.

      Frau: (am Telefon) Für Sicherheitsfragen ist die Polizei zuständig.

      Michael: Ich meine die Arbeiter, die vor meiner Wohnungstüre stemmen. Sorgen Sie dafür, dass die Arbeiten ordentlich gemacht werden – nicht so, dass ich ein Loch in der Wand habe.

      Frau: Was reden Sie? Machen Sie keine dummen Witze!

      Michael: (ein besonders lautes Krachen ertönt, unmittelbar von einem dumpfen Geräusch gefolgt. Er sieht zur Eingangstüre, neben der ein Loch in der Wand klafft. Trümmer von Ziegelsteinen liegen in der Küche. Schreit in den Apparat.) WITZE? ICH SOLL KEINE WITZE MACHEN? Es ist schon passiert – sie sind herinnen. Tun Sie etwas! Sofort!

      Frau: Holen Sie den Arbeiter an den Apparat.

      Michael: Okay. (legt den Hörer neben das Telefon, geht zur Tür und öffnet sie. Kein Mensch ist zu sehen.) Scheiße! (zurück zum Telefonat) Hallo? Die sind alle verschwunden.

      Frau: Beruhigen Sie sich – wir regeln das. Unverzüglich, ich verspreche es Ihnen. Sie hören von uns. Auf Wiedersehen.

      Michael: Ääh … wiedersehen. (Legt auf, verlässt die Wohnung. Der Arbeiter kommt die Treppe herab und versucht, als er Michael erblickt, rasch zu flüchten.)

      Michael: Halt, stopp! Richtet mir meine Wohnung wieder her, auf der Stelle!

      Arbeiter: Du Polizei rufen?

      Michael: Nein, die Hausverwaltung.

      Arbeiter: Warum dann kein Kollega mehr da?

      Michael: (grinsend) Das schlechte Gewissen, vermutlich.

       Plötzlich heben sich überall staubige Planen, unter denen Arbeiter hervorkriechen. Türen öffnen sich und geben Blaumänner frei, einer lässt sich von der Decke, wo er sich an einem Balken festgeklammert hatte, herab. Im Nu ist Michael von Männern umringt, die erleichtert durcheinanderreden. Bierflaschen werden geöffnet, Zigaretten entzündet, einige beginnen zu singen, andere zu beten. Eine Art orientalisches Spontanfest ist voll im Gang, als zwei Polizisten auftauchen.

      1. Polizist: Wer gibt diese Party?

       Mehrere Arbeiter zeigen, nach einer kurzen Schrecksekunde, auf Michael, der ziemlich betrunken auf einem Sandsack halb sitzt, halb liegt und sich mit einer Hand an einem Draht festklammert.

      1. Polizist: (an Michael gewandt) Es ist eine Anzeige wegen Ruhestörung ergangen. Ihren Ausweis, bitte.

      Michael: (mit umflortem Blick, den Kopf langsam hebend. Sein Zungenschlag ist merklich beeinträchtigt.) Ruhestörung? Wer? Warum? Die Vorschlaghämmer? Die Kreissägen? Alles ruhig, so schön ruhig. Trinken's a Bier mit mir, Herr Inspektor – auf die Stille. (Hält dem Polizisten eine volle Bierflasche entgegen, die dieser ignoriert.)

      2. Polizist: Spinnt der? Oder wü a uns vaoaschen?

      1. Polizist: Vielleicht beides. Nemman mit.

       Die beiden packen Michael links und rechts unter und richten ihn auf. Er wehrt sich überhaupt nicht, sondern wiederholt selig lächelnd „auf die Stille, auf die Stille“. Die drei verschwinden aus dem Bild. Die Arbeiter blicken ein wenig schuldbewusst drein und machen sich dann daran, das Loch in der Mauer zu Michaels Wohnung zu schließen.

      © 1990

      Der Selbstmörder

       Werner, etwa 25 Jahre alt, steht in einer Telefonzelle der U-Bahn-Passage Schottentor. Sein Gesichtsausdruck zeigt Verbitterung und Resignation, als er zu telefonieren beginnt. Er wählt die Nummer von Veronika, die ihn kurz zuvor verlassen hat.

      Veronika: Hallo?

      Werner: Servus, Veronika. Ich bin's, Werner. Ich wollte …

      Veronika: (ihn barsch unterbrechend) Du wolltest mich noch einmal beknien, zu dir zurückzukommen. Vergiss es! Ich habe dir gesagt, es ist aus, und dabei bleibt es.

      Werner: Veronika, bitte. Hör mir doch wenigstens zu. Ich schaffe es nicht ohne dich. Ich fühle mich so einsam … ich brauche dich.

      Veronika: Such dir eine andere Klagemauer, das Spiel habe ich bis zum Überdruss genossen. Ciao, ich leg' jetzt auf.

      Werner: Veronika, nein, warte. Wenn du mich verlässt, bring ich mich um. Ich werf' mich vor die U-Bahn.

      Veronika: Ich habe dich verlassen … im Übrigen: Den Mumm hast du sowieso nicht. (legt auf)

      Werner: Veronika, bitte, Veronika … (hört schluchzend noch ein paar Sekunden dem Tuten im Hörer zu, legt dann auf. Einige Münzen fallen in das Ausgabefach zurück, aber er registriert es nicht. In völlig geknickter Körperhaltung schlurft er aus der Telefonzelle.)

       Ein Sandler(26), der die Szene verfolgt hat, eilt zum Telefon, entnimmt ihm die Geldstücke, verliert dabei aber so gut wie nie den Blickkontakt zum Rücken Werners, der Richtung U-Bahn wankt. Nachdem die Münzen in einer Tasche der abgerissenen Kleidung des Sandlers verschwunden sind, geht er dem Verstörten hinterher.

      Werner: (zu sich selbst murmelnd) Was soll das alles noch? Sinnlos, total sinnlos. Die wird schon sehen, dass ich genug Mut habe. Wenn's mi von der Garnitur kratzen, wird ihr das sehr, sehr leid tun. Aber dann kann sie mi nimmer anrufen und um Verzeihung bitten, dann is' sie allein mit dem Problem.

       Er nähert sich den Entwertern und entnimmt aus reiner Gewohnheit seiner Brieftasche einen Fahrschein. Bevor er ihn in den Schlitz schiebt, hält er aber inne, betrachtet ihn eine Weile und legt ihn dann auf das Kästchen obenauf. In diesem Augenblick kommt ein Kontrollor in Uniform die Treppe heraufgerollt. Er sieht, wie Werner den Fahrschein auf den Entwerter legt. Im Hintergrund der folgenden Szene sieht man den Sandler, der hocherfreut auch den Fahrschein einsteckt.

      Kontrollor: (mit sich selbst sprechend) Was macht denn der da? Na, jedenfalls a leichte Beute. (geht energisch und zielsicher auf Werner zu und spricht ihn mit Triumph in der Stimme an) Guten Tag, Ihren Fahrausweis, bitte.

      Werner: (zuckt zusammen) Was? A Schwarzkappler! Des halt i ned aus. (geht weiter)

      Kontrollor: (umläuft Werner und stellt sich ihm erneut in den Weg) Bleiben Sie stehen! Zeigen Sie mir Ihren Fahrschein!

      Werner: (sieht dem Kontrollor lang, tief und sehr ernst in die Augen und spricht dann mit Grabesstimme) Tote brauchen keinen Fahrschein. (lässt den verwirrten Mann stehen und geht weiter auf die Rolltreppe zu)

      Kontrollor: (nach einer ausgiebigen Schrecksekunde) Sie san aber no sehr lebendig für an Toten. Der Schmäh is guat, aber ned guat gnua fia mi. Wenn Sie sich nicht sofort ausweisen, rufe ich die Polizei. (Da Werner unbeeindruckt weiterschlurft, greift der Schwarzkappler zu seinem Funkgerät) Zentrale? Rasch, an Streifenwagen zur U2 Schottentor. I versuch, den Schwarzfahrer so lange aufzuhalten. Ende. (Hastig schaltet er ab, lässt das Gerät wieder an seinen ursprünglichen Platz zurückrutschen und stürzt hinter Werner her, der nur noch zwei Schritte von der Rolltreppe entfernt ist.)

       Der Mann in Schwarz umläuft Werner und verbarrikadiert mit seinem Körper die einzige nach unten führende Rolltreppe. Werner, momentan irritiert, hält inne und versucht dann, den Mann aus dem Weg zu schieben. Es entwickelt sich ein Handgemenge. Die beiden nähern sich bedrohlich der Brüstung der über einen Teil des Bahnsteigs gebauten Galerie, gut sechs Meter geht es von dort hinunter. Der Sandler, der dem Geschehen aus nächster Nähe beiwohnt, spricht aufgeregt, nachdem er seine kurz zuvor erworbenen Schätze wieder hervorgekramt und begutachtet hat, den nächstbesten Passanten an. Dieser ist leidlich fein gekleidet.

      Sandler: