Spätestens mit dem Wort "gratis" haben die beiden die Aufmerksamkeit aller auf sich gezogen. In Großaufnahme sind Anns vor Entsetzen geweitete Augen zu sehen. Kindergeschrei wird laut: "Mama, ich hab so Durst." "Ich will was schlecken(10)." "Darf ich ein Cola?"
Ein erster Erwachsener, offenbar ein Vater, wendet sich an die beiden.
Vater: Was soll das mit den gratis Süßigkeiten? A Schmäh(11), oder?
Robert: Aber nein. Beim Kauf eines Getränkes erhalten Sie eine Süßigkeit Ihrer Wahl gratis dazu.
Vater: Aha. Na gut, ich nehm ein Bier. (ruft) Lotte!
Ein kleines Mädchen eilt herbei.
Vater: Schau, da kannst dir was aussuchen zum Schlecken.
Lotte macht sich mit Begeisterung daran, aus dem süßen Sortiment das Richtige auszuwählen. In kürzester Zeit sind Robert und Ritschi umringt von Eltern und Kindern. Die Getränke gehen weg wie die warmen Semmeln, die Kinder verdrängen sich gegenseitig vom besten Platz vor Ritschis Bauchladen. Im Hintergrund sieht man den Kinder-Entertainer, der verzweifelt versucht, sein Tiviblubbie-Quiz zu veranstalten, aber niemand hört ihm mehr zu. Schwenk auf Ann und den Personalchef.
Personalchef: Eine unglaubliche Frechheit. Was fällt diesen Typen ein? Die machen alles kaputt.
Ann: (die sich ein bisschen schwer tut, das Lachen zu verbeißen) Tatsächlich unerhört. Fehlte nur noch, dass sich der Moderator auch ein Bier holt. Im Übrigen hab ich einen Mordsdurst.
Personalchef: (blickt Ann aufs höchste verwundert an) Wie darf ich das verstehen? Sie wollen doch nicht etwa ...?
Doch Ann lässt den Mann bereits stehen und strebt auf Robert und Ritschi zu. In diesem Moment schmeißt der Clown-Unterhalter auf der Bühne das Mikro hin, greift sich die Stoffblubbies und schmeißt sie wahllos in die Menge; ein Riesengerangel entsteht, das sich nach kurzer Zeit in eine Menge von vielen heulenden und einigen wenigen strahlenden Kindern auflöst. Rufe wie: "Der Bub hat mich g´haut, die Buben sind so blöd." "Mamaaaa!" "Ich hab ein grünes, ich hab ein grünes!" oder einfaches Geplärre werden laut. Einige Kinder haben tatsächlich unbedeutende Kratz- und Schürfwunden ("Blute, blute!").
Dann treffen Ann und der Unterhalter, der in der Zwischenzeit die Bühne verlassen hat, gleichzeitig bei Robert und Ritschi ein.
Ann: (fröhlich) Danke, die Herren. Das wärs dann wohl gewesen mit meinem Job.
Unterhalter: Habt's noch a Bier?
Robert: Aber immer.
Ritschi: War uns ein Vergnügen, Ann. Die Errettung der Wohnungsgenossin vor den Untiefen des Kommerz – eine wahrlich heldenhafte Tat.
Der Personalchef tritt hinzu.
Personalchef: Ann, Sie kennen diese beiden Figuren? Ich bin entsetzt. Sie können sich denken, dass das Konsequenzen haben wird. (An Robert und Rischi gewandt) Und Sie können sich auf etwas gefasst machen; Ihnen steht eine Schadenersatzklage ins Haus.
Ann: Immer mit der Ruhe. Den Tiviblubbie-Job schmeiß ich gerne hin. Und was den Schadenersatz betrifft – schauen Sie doch mal, was diese Stoffteile angerichtet haben. Die Kids sehen aus wie nach einer Schlacht; glauben Sie, das wäre eine gute Schlagzeile: Nach Kampf um Tiviblubbies mehrere Kinder in ärztlicher Behandlung?
Personalchef: (kann sich nicht entscheiden, ob er knallrot anlaufen oder erbleichen soll und ringt zur Sicherheit nach Luft) Sie ... Sie wagen es nicht ...
Ritschi: Sie haben ja gar keine Vorstellung, was unsere Ann so alles wagt, Sie Hundehalsband.
Robert: Da hams a Bier, geht aufs Haus. Und dann ab durch die Mitte. (drückt ihm eine Flasche in die Hand)
Der Personalchef nimmt die Flasche und geht ab. Die drei hocken sich auf die mittlerweile großteils verlassene Wiese, greifen sich die letzten Flaschen aus der Kühltasche, öffnen sie und prosten einander zu.
Ann: Na dann, ihr Vögel. Gemmas wieder von vorne an.
Ritschi: Dei Karriere is sowieso ned aufzuhalten.
Robert: Wir übernehmen auf alle Fälle das Catering-Service.
Ann: Bloß nicht!
Allgemeines Gelächter und Ende.
© 1995
Einige Übersetzungshilfen bzw. Erläuterungen:
(1) duschen
(2) Der Ortsteil des 23. Wiener Gemeindebezirks, in dem das Anton-Proksch-Institut zu finden ist, die größte Suchtklinik Europas.
(3) Arsch
(4) Joint
(5) Stadtteil von Wien
(6) Zum Weinen leer
(7) verkaufen
(8) pleite
(9) In den 1970ern künstlich angelegte, 20 km lange Insel in der Donau, im Grunde ein Wasserschutzprojekt, heute aber vor allem als beliebtes Naherholungsgebiet aus der urbanen Realität Wiens nicht mehr wegzudenken.
(10) naschen
(11) Scherz, hier eher im Sinne von Täuschung
Turbo 1 an Zentrale
Zwei junge Männer, beide keine gebürtigen Wiener, laufen auf der Alten Donau eis. Ihr Wagen parkt oberhalb einer steilen Böschung, die durch eine Schneematschschicht zu einer unansehnlichen, schmutzigbraunen Rutschbahn geworden ist. Direkt am Ufer stehen zwei Paar Stiefel. Der See ist ziemlich bevölkert; es ist ein sonniger Sonntag im Wiener Winter.
Michael: (hält in der rechten Hand eine Dose Bier, die er beim Reden zur Unterstreichung seiner Worte benutzt) Die Maxi ist am Freitag in der Nacht über die Mauer vom Zentralfriedhof geklettert, weil sie "Grabstätte bei Nacht und Schneefall" fotografieren wollte. Wie sie wieder raus will, sieht sie ein Kieberer(23). Der Typ hat den Hund auf sie gehetzt, obwohl sie sich ohnehin nicht bewegt hat. Die Bisswunden hat sie mir gezeigt: am Wadl, an der Hüfte und an der linken Schulter. Wie im Wilden Westen. Was meint der Doktor jur. dazu?
Manfred: Rechtswidriger Waffengebrauch und Körperverletzung, eindeutig. Aber ohne Zeugen kannst sowieso nichts unternehmen. Da steht dann Aussage gegen Aussage. Weiß sie wenigstens die Dienstnummer von dem Supersheriff?
Michael: Für den war sie eine Schwerverbrecherin. Sie ist überhaupt nicht zu Wort gekommen. Ihre Aussichten waren auf das Mündungsrohr seiner Pistole beschränkt.
Manfred: (schüttelt den Kopf) Schreibst was d'rüber?
Michael: Klar. Eine Polizistenpistole.
Schweigend laufen die beiden weiter. Sie nähern sich einer Brücke. Knapp hintereinander tauchen sie in den Schatten ein. Plötzlich bricht das Eis, nacheinander platschen die beiden in das eiskalte Wasser. Sie kommen rasch wieder ans Trockene.
Michael: Fuck it! Nichts wie ins Auto.
Mit den tropfnassen, schweren Kleidern etwas unbeweglich, eilen sie zu ihrer Einstiegsstelle. In großer Hast zerren sie sich die Eisschuhe von den Füßen, greifen zu ihren Stiefeln. Nachdenklich blickt Michael auf die Schuhe.
Manfred: Wie mach i das jetzt? I geh glei mit die Socken. (Er stapft die Böschung hinauf; Michael folgt. Mit einigen Schwierigkeiten erreichen sie den Wagen. Manfred sperrt den Kofferraum auf. Die beiden ziehen sich bis auf die Unterhose aus,