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Für eine zusätzliche nehmer- und (seit 1974) auch geberseitige Kriminalisierung der Proto-Korruption sprechen neben der erwähnten Vertrauensverlust-Gefahr[255] folgende Erwägungen: Obwohl der Geber keine (unmittelbare) Gegenleistung erhält, bezweckt er mit seiner Vorteilsgewährung häufig, ihm den begünstigten Amtsträger im Hinblick auf künftige (Ermessens-)Entscheidungen – ggf. auch unbewusst – gewogen zu machen (sog. Landschaftspflege)[256] oder diesen gar zur Vorbereitung „echter“ Bestechungen auf den Geschmack zu bringen und ggf. auch erpressbar zu machen (sog. Anfüttern)[257]. Es handelt sich daher bei den Proto-Korruptionsverboten um abstrakte Gefährdungsdelikte, mit denen bereits (weit) im Vorfeld der wirklichen Vornahme einer Vorteils-beeinflussten pflichtwidrigen Diensthandlung ein Abgleiten des Amtsträgers auf eine schiefe Bahn verhindert werden soll. Verfassungsrechtlich ist es grds. nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber der beschriebenen „Verstrickungsgefahr“ mit strafrechtlichen Mitteln begegnet.[258] Faktisch dienen die §§ 331, 333 StGB überdies als Auffangtatbestände für den Fall, dass eine konkrete Unrechtsvereinbarung i.S.d. §§ 332, 334 StGB nicht nachgewiesen werden kann.
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Die praktische Handhabung der Vorteilsannahme- bzw. -gewährungstatbestände gestaltet sich teilweise kompliziert und als wenig vorhersehbare case law-Praxis. Besondere Schwierigkeiten ergeben sich aus der Abgrenzung erlaubter von verbotenen Zuwendungen.
II. Täterkreis
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Ebenso wie die Bestechungstatbestände (§§ 332, 334 StGB) setzen die §§ 331, 333 StGB ein (angestrebtes) Zusammenwirken eines Amtsträgers i.w.S. und eines Außenstehenden voraus. Entsprechend ist § 331 StGB ein Sonder-, § 333 StGB ein Allgemeindelikt. Der Täterkreis des § 331 StGB ist identisch mit demjenigen des § 332 StGB, sodass auf die dortigen Ausführungen verwiesen sei (Rn. 13–28). Selbiges gilt in Bezug auf Beteiligungsfragen (Rn. 30–33).
1. Allgemeines
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Das tatbestandliche Geschehen der §§ 331, 333 StGB besteht, wie bei der „echten“ Bestechung, in der Kommunikation zwischen Geber (§ 333 StGB) und Nehmer (§ 331 StGB) über eine Zuwendung mit einem bestimmten Leistungszweck. Anders als bei der Bestechung (§§ 332, 334 StGB) fehlt es bei den §§ 331 Abs. 1, 333 Abs. 1 StGB aber an der Vereinbarung einer konkreten Gegenleistung aufseiten des Amtsträgers; es reicht aus, dass der Vorteil „für die Dienstausübung“ bestimmt ist. Daher hat sich für den zugrundeliegenden quasi-Vertrag hier die Bezeichnung „gelockerte Unrechtsvereinbarung“ etabliert.[259]
a) Leistung des Gebers (Vorteil)
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Die Leistung des Gebers besteht, ebenso wie bei den §§ 332, 334 StGB, in einem Vorteil. Der Begriff ist grundsätzlich ebenso auszulegen wie bei den genannten Vorschriften; insoweit wird auf die dortigen Ausführungen verwiesen (Rn. 46–51).
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Eine Besonderheit gilt bei den §§ 331, 333 StGB aber in Bezug auf geringwertige Vorteile. Während bei der Bestechung der (Ver-)Kauf einer pflichtwidrigen Diensthandlung unabhängig von der Höhe des Preises strafwürdiges Unrecht darstellt,[260] kann die Bestrafung der Zuwendung eines geringwertigen oder sozialüblichen Vorteils ohne Gegenleistung in bestimmten Fällen den Gesetzeszweck der §§ 331, 333 StGB (Rn. 94) verfehlen. In der Sache geht es darum, dass bestimmte Vorteile aufgrund ihrer Geringwertigkeit oder vor dem Hintergrund einer erkennbar unverfänglichen Zwecksetzung des Gebers (namentlich bei einer Anstandsschenkung nach § 534 BGB bzw. einem gebräuchlichen Gelegenheitsgeschenk i.S.v. § 134 Abs. 2 InsO)[261] nicht dazu geeignet sind, beim Amtsträger ein Gefühl des Verpflichtetseins gegenüber dem Zuwendenden zu erzeugen (Fehlen der Bestimmungseignung). In diesen Fällen besteht keine Verstrickungsgefahr.
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Klassischerweise wird diese Problematik unter Rückgriff auf die Figur der Sozialadäquanz als teleologische Reduktion des Vorteilsbegriffs behandelt.[262] Im Lichte der neueren Rspr. zu den §§ 331, 333 StGB ist es aber vorzugswürdig, das Problem dogmatisch als Frage der Konnexität bzw. der Unrechtsvereinbarung zu begreifen. Die Frage wird daher in diesem Zusammenhang erörtert (dazu Rn. 103 ff.).
b) Bezugspunkt des Vorteils (Dienstausübung)
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Beim Tatbestand der Vorteilsgewährung braucht es dem Geber nicht darum gehen, dass mit dem Vorteil etwas (d.h. die Vornahme einer Dienstpflichtverletzung) bewirkt werden soll. Es reicht aus, wenn der Vorteil „für die Dienstausübung“ zugewendet wird. Unter dem Begriff der Dienstausübung wird jedes vergangene oder künftige dienstliche Handeln des Amtsträgers (vgl. Rn. 37) verstanden, ohne dass die Parteien der Unrechtsvereinbarung nach §§ 331 Abs. 1, 333 Abs. 1 StGB sich darunter eine konkrete Diensthandlung vorstellen müssten.[263] Anderes gilt lediglich in Bezug auf die Qualifikationstatbestände nach §§ 331 Abs. 2, 333 Abs. 2 StGB, wo der Vorteil als Gegenleistung für eine konkrete künftige oder vergangene richterliche Handlung (oder das Unterlassen einer solchen, § 336 StGB) gedacht sein muss.
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Sehr problematisch ist bei den §§ 331 Abs. 1, 333 Abs. 1 StGB die Interpretation des Wortes „für“. Hierunter ist zunächst eine subjektive Leistungsgrundbestimmung durch den Geber und das Erkennen und Billigen derselben durch den Nehmer in dem Sinne zu verstehen, „dass der Vorteil dem Empfänger mit Blick auf seine dienstliche Tätigkeit zugutekommen soll, dass er [also] nach dem ausdrücklichen oder stillschweigenden Einverständnis der Beteiligten seinen Grund gerade in der Dienstausübung hat.“[264] Tatbestandlich ausgeschlossen sind damit vor allem Zuwendungen, die dem Amtsträger ausschließlich in seiner sozialen Rolle als Privatmensch (als Freund, Verwandter usw.) gemacht werden. Erschöpfte sich die Bedeutung der Wendung „für die Dienstausübung“ darin, dann unterschieden sich die Straftatbestände der §§ 331, 333 StGB allerdings kaum von den Voraussetzungen des Disziplinarunrechts der beamtenrechtlich verbotenen Geschenkannahme; diese erfordert nämlich – praktisch gleichbedeutend – eine Vorteilszuwendung „in Bezug auf das Amt“.
c) Ungeschriebenes Merkmal: Beeinflussungswille
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Geht das Unrecht der §§ 331, 333 StGB über dasjenige des beamtenrechtlichen Geschenkannahmeverbots hinaus, müssen die genannte Straftatbestände entsprechend restriktiv