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Unklar ist, wie das Konkurrenzverhältnis zwischen Taten nach §§ 332, 334 StGB und denjenigen anderer Korruptionsdeliktsbereiche (insbesondere §§ 299, 299a, 299b StGB) zu bestimmen ist. Diese Konstellation betrifft etwa Fälle, in denen ein Amtsträger nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c) zugleich Angestellter oder Beauftragter eines Unternehmens i.S.v. § 299 StGB ist (Beispiele: Stadtwerke GmbH; Insolvenzverwalter[236]) oder ein Heilberufsangehöriger i.S.d. §§ 299a, 299b StGB gleichzeitig in einem Beamten- oder Soldatenverhältnis steht, sodass dieselbe Handlung prima facie Tatbestände verschiedener Korruptionsdeliktsbereiche verwirklicht. Die h.M. geht sowohl in Bezug auf § 299 StGB[237] als auch hinsichtlich der §§ 299a, 299b StGB[238] von einer Art Exklusivität der §§ 332, 334 StGB gegenüber den §§ 299 ff. StGB aus (der Sache nach: Gesetzeskonkurrenz), während die h.L. demgegenüber jeweils von Tateinheit ausgeht.[239] In Bezug auf die Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen werden die §§ 299a, 299b StGB teilweise auch als abschließende, die §§ 331 ff. StGB verdrängende privilegierende Sonderregeln betrachtet.[240]
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Es trifft zwar zu, dass die einen Vorrang der §§ 332, 334 StGB postulierenden BGH-Entscheidungen angreifbar sind, da diese im Kern auf eine Vorgängervorschrift des heutigen § 299 StGB rekurrieren, die noch eine formelle Subsidiaritätsklausel enthielt.[241] Dennoch ist die BGH-Ansicht zur Vermeidung einer ungerechtfertigten Doppelverwertung vorzugswürdig. In der Sache handelt es sich bei dem Streit um das komplizierte Problem einer Rechtsgutsbestimmung der Korruptionsdeliktstatbestände[242] bzw. um die Frage, ob damit jeweils unterschiedliche oder aber letztlich dieselben Interessen geschützt werden.
VI. Prozessuales
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Bestechlichkeit und Bestechung sind schwere Straftaten gem. § 100a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. v) StPO, sodass ein Tatverdacht auch zur Telekommunikationsüberwachung berechtigt. Eine zu Online-Durchsuchung und akustischer Wohnraumüberwachung berechtigende besonders schwere Straftat liegt nur vor, sofern sich der Verdacht auf ein benanntes Regelbeispiel nach § 335 Abs. 2 StGB (dazu Rn. 73) bezieht, § 100b Abs. 2 Nr. 1 Buchst. m) StPO.
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Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammer: Nach § 74c Abs. 1 S. 1 Nr. 6 Buchst. a) GVG sind Bestechlichkeit und Bestechung gekorene Wirtschaftsstraftatbestände.
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Verdachtsberichterstattung in Korruptionsfällen ist grds. zulässig und richtet sich nach den allgemeinen Regeln.[243]
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Im Hinblick auf Whistleblowing ist umstritten, ob es sich bei innerdienstlichen bzw. -betrieblichen Informationen über korruptive Machenschaften um Geheimnisse i.S.d. § 353b StGB[244] bzw. §§ 4, 23 GeschGehG[245] handelt. Verneint man dies, ist Antikorruptions-Whistleblowing grds. straflos. Näher zum Ganzen 39. Kap..
C. Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung (§§ 331, 333 StGB)
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Prüfungsschema §§ 331, 333 StGB
I. | Objektiver Tatbestand 1. Tauglicher Vorteilsnehmer, insbesondere Amtsträger (Rn. 96) 2. Gelockerte Unrechtsvereinbarung (Rn. 97) a) Leistung des Gebers: Vorteil (Rn. 98–100) b) Bezugspunkt des Vorteils: für die Dienstausübung (Rn. 101 f.) c) Beeinflussungswille (Rn. 103–105) – Plausible alternative Zwecksetzung (Rn. 104) – Geringwertige/sozialadäquate Vorteile (Rn. 105) d) Ausschlussgründe (Rn. 106) – Gesetzliche Annahmebefugnisse (Rn. 107 f.) – Vorherige Genehmigung (Rn. 109–115) e) Tathandlungen: Treffen der Vereinbarung (Rn. 116) – Geberseite (§ 333 StGB): Anbieten (Rn. 57), Versprechen (Rn. 59) oder Gewähren (Rn. 60) – Nehmerseite (§ 331 StGB): Fordern (Rn. 57), Sichversprechenlassen (Rn. 59) oder Annehmen (Rn. 60) |
II. | Subjektiver Tatbestand (Rn. 117 f.) |
III. | Rechtswidrigkeit (Rn. 123) und Schuld |
IV. | Strafaufhebung durch nachträgliche Genehmigung (Rn. 124) |
I. Tatbild und Unrechtskern
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Die Tatbestände der Vorteilsannahme (§ 331 StGB) und -gewährung (§ 333 StGB) erfassen die Situation der Vorteilszuwendung an einen Amtsträger, ohne dass hierfür eine pflichtwidrige Amtsausübung als Gegenleistung vereinbart wird. Alternative Bezeichnungen für dieses Phänomen sind „einfache (aktive und passive) Bestechung“,[246] „Proto-Korruption“,[247] „Vorfeldkorruption“[248] oder „Korruption light“[249]. Obwohl die Proto-Korruptionstatbestände denjenigen der § 332, 334 StGB in vielerlei Hinsicht ähneln – die ganz h.M. geht daher von einem Qualifikations- bzw. Spezialitätsverhältnis aus[250] –, bestehen in dogmatischer Hinsicht beträchtliche Unterschiede. Auch ist der Unrechtsgehalt der Proto-Korruption nach allgemeiner Ansicht deutlich geringer als derjenige der „normalen“ Bestechung, was sich auch auf die Strafrahmen auswirkt (Rn. 125).
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Dass es sich bei einer Zuwendung an einen Amtsträger trotz fehlender Gegenleistung um Unrecht handelt,