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Entgegen früherer Rspr.[124] ist nach inzwischen ganz h.M. aber keine Pflichtwidrigkeit gegeben, wenn sich der Amtsträger innerlich ernsthaft vorbehält, dem Vorteil keinen Einfluss auf seine Entscheidung einzuräumen.[125] Allerdings ordnet § 332 Abs. 3 Nr. 2 StGB eine Strafbarkeit des Amtsträgers bereits für den Fall an, dass sich dieser hinsichtlich einer künftigen Ermessensentscheidung gegenüber dem anderen bereit zeigt, sich durch den Vorteil beeinflussen zu lassen;[126] eine Mentalreservation (d.h. der heimliche Vorsatz, sich bei der Entscheidung doch nicht beeinflussen lassen zu wollen) ist also insoweit unbeachtlich.
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Umstritten ist, inwiefern sog. Beschleunigungszahlungen (facilitation payments)[127] zur Pflichtwidrigkeit einer in der Sache korrekt, aber eben infolge der Vorteilszuwendung beschleunigt vorgenommenen – etwa: nach Dienstschluss oder durch vorgezogene Terminierung – Diensthandlung führen. Während die h.M. nur bei Verstößen gegen eine ausdrücklich (z.B. qua Gesetz oder Dienstanweisung) vorgegebene Bearbeitungsreihenfolge Pflichtwidrigkeit annimmt,[128] verweist die Gegenansicht auf die in jedem Falle vorliegende Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes und der Dienstpflicht zur Unparteilichkeit.[129]
cc) Richterliche Handlung
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Hinsichtlich des Qualifikationstatbestandes der Richterkorruption (§§ 332 Abs. 2, 334 Abs. 2 StGB) muss sich die Unrechtsvereinbarung auf eine pflichtwidrige richterliche Handlung beziehen. Das sind Tätigkeiten, deretwegen die richterliche Unabhängigkeit garantiert ist.[130] Hierzu gehören neben den eigentlichen Entscheidungen die dazugehörigen Begleithandlungen (z.B. Terminierungen und Ermittlungsmaßnahmen), nicht hingegen richterliche Tätigkeiten, die der Justizverwaltung angehören.[131] Hinsichtlich der richterlichen Ermessensentscheidungen (bspw. Strafmaß- oder Kostenentscheidungen nach § 91a ZPO) gilt das unter Rn. 41–43 Gesagte entsprechend.
b) Gegenleistung des Bestechers (Vorteil)
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Die „Gegenleistung“ desjenigen, der den Amtsträger besticht, besteht in einem Vorteil für den Amtsträger oder einen Dritten. Beide Aspekte – der Vorteilsbegriff sowie die Adressatenfrage – können Schwierigkeiten aufwerfen.
aa) Vorteilsbegriff
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Die h.M. versteht unter einem Vorteil jede Leistung, auf die der Amtsträger bzw. der Dritte keinen Rechtsanspruch hat und die seine wirtschaftliche, rechtliche oder auch nur persönliche Lage objektiv verbessert.[132] Eine Verbesserung der wirtschaftlichen und ggf. rechtlichen Lage liegt vor, wenn dem Leistungsadressaten „Schmiergeld“, ein geldwerter Gegenstand (wertvolle Sachen, Aktien, Rabattgewährungen, günstige Kredite, Reisen, Teilnahmemöglichkeit an kostenpflichtigen Events) oder eine lukrative Statusverbesserung (z.B. eine Beförderung oder ein Job für ein Familienmitglied) zugewendet wird;[133] hierfür hat sich der Begriff des materiellen Vorteils eingebürgert.
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Daneben ist weitgehend anerkannt, dass auch sog. immaterielle Vorteile den Tatbestand erfüllen, sofern diese objektiv greifbar sind.[134] Was genau einen tatbestandsmäßigen immateriellen Vorteil ausmacht und wonach sich dessen Messbarkeit beurteilt, ist jedoch wenig geklärt.[135] Genannt werden etwa sexuelle Dienstleistungen[136] oder soziale Besserstellungen durch die Verleihung von Auszeichnungen und Titeln oder die Aufnahme in exklusive Zirkel[137]. Als maßgebliches Kriterium für die Messbarkeit wird teilweise aber wiederum darauf abgestellt, ob der immaterielle Vorteil einen Geldeswert aufweist.[138] Damit zeigt sich, dass die Differenzierung von materiellen und immateriellen Vorteilen letztlich überflüssig ist.[139] Nach einer praktisch handhabbaren Faustformel ist all das als bestechungsrelevanter Vorteil anzusehen, was i.S.d. ökonomischen Vermögensbegriffs als werthaltig anzusehen ist („anything of value“).[140] Kein Vorteil sind hingegen buchstäblich unkäufliche Dinge wie die Befriedigung von Ehrgeiz und Eitelkeit,[141] berufliches Ansehen[142] oder echte menschliche Zuneigung[143].
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Umstritten ist, ob das Merkmal des Vorteils normativ-einschränkend auszulegen ist oder nicht („normativer“ vs. „naturalistischer“ Vorteilsbegriff). Klar ist jedenfalls, dass das Gesetz weder einen Mindestwert des Vorteils[144] noch sonstige wertungsmäßige Einschränkungen vorsieht.[145] Im Einzelfall kann es bei der Regelkonformität der Zuwendung (Drittmittel u.ä.) aber bereits an der Pflichtwidrigkeit der Handlung des Amtsträgers mangeln (Rn. 41).
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Allerdings nimmt die h.M. über die vorgenannte Vorteilsdefinition (Rn. 46) eine normativierende Einschränkung insoweit vor, als sie solche werthaltigen Leistungen vom Tatbestand ausschließt, auf die der Empfänger einen Rechtsanspruch hat.[146] Diese Einschränkung ist aber wenig überzeugend: Zum einen wäre danach die Sonderregel in § 337 StGB überflüssig,[147] zum anderen ergäbe sich ein erhebliches Umgehungspotenzial, da die Bestechungstatbestände durch die vorherige Vereinbarung eines Vertragsverhältnisses zwischen Amtsträger und Leistungsgeber ausgeschlossen werden könnten.[148] Letzteres versucht die Rspr. immerhin durch eine Gegeneinschränkung zu verhindern, wonach bereits der Vertragsabschluss als solcher als Vorteil angesehen werden kann.[149]
bb) Vorteilsadressat
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Das Gesetz stellt der Leistung an den Amtsträger (Eigenvorteil) ausdrücklich die Leistung an einen Dritten (Drittvorteil bzw. mittelbare Bestechung) gleich.[150] Die Variante des Eigenvorteils ist erfüllt, wenn die Leistung unmittelbar an den Partner der Unrechtsvereinbarung (d.h. den Amtsträger usw.) fließt (sog. unmittelbarer Eigenvorteil). Die Rspr. nimmt aber auch dann einen Eigenvorteil an, wenn die Leistung aus Verschleierungsgründen über einen Dritten – z.B. einen Strohmann oder eine wirtschaftlich dem Amtsträger zuzurechnende juristische Person – an den Amtsträger fließen soll (mittelbarer Eigenvorteil);[151] in diesen Fällen kann auch die (natürliche) Mittelsperson als Teilnehmer belangt werden (dazu Rn. 31).
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Von einem Drittvorteil ist dann auszugehen, wenn die Leistung in die endgültige Verfügungsgewalt des Dritten übergehen soll (Unrechtsvereinbarung zugunsten Dritter). Als Dritter kommt dabei jede natürliche[152] oder juristische Person[153] (auch der Staat)[154] in Betracht. Hierbei kommt es nach ganz h.M. auch nicht darauf an, dass der Amtsträger wenigstens mittelbar von dem Vorteil profitiert (etwa durch die Möglichkeit der Verforschung von Drittmitteln auf einem Universitätskonto), sodass auch rein altruistische Spenden an gemeinnützige Einrichtungen oder Einflussspenden an politische Parteien (§ 25 Abs. 2 Nr. 7 PartG)[155] erfasst sind.
c) Konnexität zwischen Pflichtwidrigkeit und Vorteil
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Die pflichtwidrige Diensthandlung und der Vorteil müssen in einem synallagmatischen Austauschverhältnis stehen („als Gegenleistung“). Diese als Unrechtsvereinbarung bezeichnete zugrundeliegende Verknüpfung kommt durch eine entsprechende Willensübereinstimmung der Vertragsparteien zustande.