aa) Grundrechtsschutz von juristischen Personen aus dem EU-Ausland
109
Das BVerfG hat die Grundrechtsfähigkeit von EU-ausländischen juristischen Personen unter Hinweis auf das allgemeine Diskriminierungsverbot aus Art. 18 AEUV bejaht (▸ Klausurenkurs Fälle Nr 2, 3 und 5). Dabei lehnte das BVerfG unter Verweis auf den klaren Wortlaut eine erweiterte Auslegung des Begriffes „inländisch“ ab und begründete seine Entscheidung mit dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts[303]. Allerdings betrifft dies lediglich Unternehmen mit Sitz im Ausland. Inländisch sind Unternehmen mit Sitz bzw tatsächlichem Aktionsraum im Inland[304], also auch solche die unter einer fremden Rechtsform (dazu bereits Rn 76) firmieren. Zu den von Art. 19 Abs. 3 GG erfassten juristischen Personen gehören auch die nach deutschem Recht gegründeten Töchter ausländischer Unternehmen[305].
bb) Deutschengrundrechte und EU-Ausländer
110
Offen blieb allerdings die Frage des Grundrechtsschutzes natürlicher Personen aus dem EU-Ausland[306]. Die Lösung über Art. 2 Abs. 1 GG wäre europarechtlich zulässig. Verbietet das Europarecht eine Diskriminierung, überlässt es nämlich regelmäßig dem nationalen Recht die Wahl der Mittel und „kontrolliert“ nur das Ergebnis[307]. Gleichwohl erscheint es vor dem Hintergrund der Entscheidung zu Art. 19 Abs. 3 GG überzeugender, von dieser Behelfskonstruktion abzusehen und auch die Deutschengrundrechte unmittelbar auf EU-Ausländer anzuwenden[308].
cc) Juristische Personen des öffentlichen Rechts, öffentliche und gemischtwirtschaftliche Unternehmen in Privatrechtsform
111
Ohne dass dies nach dem Wortlaut des Art. 19 Abs. 3 GG zwingend wäre, wird juristischen Personen des öffentlichen Rechts (Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen) der Grundrechtsschutz nicht zuerkannt, soweit sie gesetzlich zugewiesene und geregelte öffentliche Aufgaben wahrnehmen[309]. Die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch öffentlichrechtliche Organisationseinheiten lasse sich nicht als vermittelter Ausdruck der freien Entfaltung natürlicher Personen und damit als Wahrnehmung ursprünglicher Freiheitsrechte begreifen (Wesensargument/Lehre vom personalen Substrat). Zusätzlich wird das Konfusionsargument herangezogen, wonach eine Parallelität von Grundrechtsbindung und -berechtigung ausgeschlossen ist. Dies wird auf die Einheiten der mittelbaren Staatsverwaltung erstreckt, so dass sich auch die öffentlichrechtlichen berufsständigen Kammern nicht auf Grundrechte berufen können, da sie gegenüber den Mitgliedern grundrechtsverpflichtet sind (dazu Rn 56). Die Rechtsprechung hat es auf privatrechtliche Organisationsformen des Staates (zu den öffentlichen Unternehmen Rn 680 ff) und schließlich gemischt-wirtschaftliche Unternehmen erstreckt[310]. Im Vattenfall-Urteil hat das BVerfG, vor allem aus europarechtlichen Gründen, demgegenüber die Grundrechtsfähigkeit eines von einem ausländischen Staat beherrschten Unternehmens bejaht[311]; dies bietet durchaus Anlass über eine grundsätzliche Neuausrichtung der Dogmatik zur Grundrechtsfähigkeit öffentlicher Unternehmen nachzudenken[312] (ausf Rn 691 ff).
c) Reichweite der Grundrechtsbindung
112
Grundrechte binden nach Art. 1 Abs. 3 GG Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung. Bei der Grundrechtsbindung der Exekutive sind verschiedene Organisations- und Handlungsformen zu unterscheiden; allerdings ist mittlerweile eine umfassende Grundrechtsbindung auch im Bereich des privatrechtlichen Handelns anerkannt. Grundrechtsgebunden sind damit sämtliche Aufsichtsbehörden, aber auch die öffentlichrechtlichen Kammern (zu Fragen der Verwaltungsorganisation Rn 170 ff). Besonderer Begründung bedarf die Grundrechtsbindung nichtstaatlicher Institutionen[313].
Gegen Berufsausübungsregelungen in Gestalt von Satzungen von Kammern in Fall 8 (Rn 99) bestehen grundsätzlich keine verfassungsrechtlichen Bedenken[314], solange diese Satzungen auf gesetzlicher Grundlage ergehen. In dieser muss das zulässige Ausmaß von Beschränkungen der Berufsausübungsfreiheit umso deutlicher vorgegeben werden, je empfindlicher Berufsangehörige in ihrer freien beruflichen Betätigung beeinträchtigt werden[315]. Gerade die herkömmlichen Beschränkungen der Werbefreiheit sind aber nach Ansicht der Rechtsprechung für eine eigenverantwortliche Ordnung durch Berufsverbände geeignet, ohne dass es zusätzlicher inhaltlicher Vorgaben bedarf. Neue Rechtsprobleme stellten sich bei der Übertragung weiterer (staatlicher) Aufgaben auf die Selbstverwaltungsorgane, wie sie zB in § 124b HwO[316] bundesgesetzlich zugelassen wird. Unproblematisch ist dagegen die bloße Entgegennahme von Anzeigen (vgl etwa § 1 Abs. 2 RP-ZuVO Gewerberecht). Ebenfalls an den Grundrechten zu messen sind Maßnahmen der Bundesregierung, insbes im Bereich staatlicher Informationstätigkeit. Allerdings wird von der Rechtsprechung der Gesetzesvorbehalt eingeschränkt[317]. Dies betrifft einerseits die sog. „Fiskalgeltung“ der Grundrechte, aber auch die Grundrechtsbindung öffentlicher Unternehmen (dazu näher Rn 691 ff).
d) Die Grundrechtsprüfung: Schutzbereich, Eingriff und Rechtfertigung
113
Die Abwehrfunktion der Grundrechte prägt in den meisten Fällen die Grundrechtsprüfung[318]. Grundrechte gewähren keinen absoluten Schutz. Sofern ein Verhalten in den typischerweise eher weit gefassten Schutzbereich eines Grundrechts fällt (zum sachlichen Schutzbereich vgl die einzelnen Grundrechte, zum persönlichen Schutzbereich Rn 108 ff), ist jede staatliche Beeinträchtigung des Schutzbereichs, die sich als Eingriff darstellt rechtfertigungsbedürftig. Im Rahmen der jeweiligen Grundrechtsschranken muss sich der Eingriff dabei insbes als verhältnismäßig erweisen. Gerade beim zentralen Wirtschaftsgrundrecht der Berufsfreiheit gelten aber in mehrfacher Hinsicht Besonderheiten. Einerseits hat das BVerfG mittels der Dreistufentheorie (Rn 120 ff) die Verhältnismäßigkeitsprüfung ausdifferenziert, vor allem aber wurden die „faktisch-mittelbaren“ Grundrechtseingriffe in die Berufsfreiheit zu einem Dauerbrenner der verfassungsrechtlichen Diskussion.
Der klassische Grundrechtseingriff in Form staatlicher Rechtsakte (Gesetz und Verwaltungsakt), die unmittelbar gegenüber dem Betroffenen ergehen und in Form einer Regelung Rechtsverbindlichkeit beanspruchen, erwies sich nicht zuletzt angesichts der Ausdifferenzierung der staatlichen Handlungsformen als zu eng. Es wurde sogar die Forderung erhoben, „das gesamte sog. ʼinformaleʼ Handeln,