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Fall 9:
Bürger B hat das Vertrauen in die Bankenaufsicht verloren und will sich lieber selbst von der Bonität seines Kreditinstituts überzeugen. Er beantragt deshalb auf der Grundlage des IFG bei der BaFin Einsicht in die dort vorhandenen Unterlagen. Diese wird ihm mit der Begründung verweigert, eine Preisgabe dieser Informationen verstöße gegen die Verschwiegenheitspflicht der Behördenmitarbeiter. Die Bundesanstalt dürfe die ihr und ihren Bediensteten bei ihrer Tätigkeit bekanntgewordenen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse und sonstige Tatsachen, deren Geheimhaltung im Interesse des beaufsichtigten Instituts oder eines Dritten liege, nicht unbefugt offenbaren.
101
Fall 10:
Bei einer Betriebskontrolle wurden in der Mainzer Filiale einer bundesweit vertretenen Backhauskette B gravierende Verstöße gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften festgestellt.
a) | Die Behörde will den Betrieb unter namentlicher Nennung auf eine Internetliste aufnehmen, auf der sie die Liste ihrer Beanstandungen veröffentlicht. Könnte sie auf der Grundlage ihrer Informationen auch ein Ranking der besten Bäckerei in der Stadt veröffentlichen? |
b) | Das privat betriebene Internetportal TopfSecret ermöglicht es Verbrauchern, bei den zuständigen Behörden die Ergebnisse von Hygienekontrollen bei Unternehmen elektronisch abzufragen und die herausgegebenen Berichte dann auf einer Website der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. V begehrt mittels dieser Plattform Auskunft über die Kontrollberichte aus der Mainzer Filiale. Die Behörde hält dies für rechtsmissbräuchlich. Bundesweit würde mit gezielten Abfragen, die alle die Backhauskette B beträfen eine Kampagne vorbereitet. |
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Fall 11:
Der Gesetzgeber beschließt formell ordnungsgemäß folgende Regelung: Die Gaststättenerlaubnis ist zu versagen, „wenn der Antragsteller nicht durch eine Bescheinigung der Industrie- und Handelskammer nachweist, über die zum Betrieb einer Gaststätte erforderliche Sachkunde zu verfügen. Diese umfasst insbes die Kenntnis der lebensmittelrechtlichen Vorschriften sowie der betriebswirtschaftlichen und steuerrechtlichen Grundlagen. Der Nachweis ist durch einen Lehrgang mit Abschlussprüfung zu erbringen“. Ist das Gesetz verfassungsgemäß?
aa) Grundrechte als Abwehrrechte
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Freiheitsrechte fungieren auch im öffentlichen Wirtschaftsrecht primär als Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe[270]. Die Vorschriften des öffentlichen Wirtschaftsrechts müssen sich also vor allem an den Grundrechten der Gewerbetreibenden messen lassen. Nach der allgemeinen Definition ist ein Eingriff jedes staatliche Handeln, das dem Einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich des konkreten Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht. Auf die vom Staat gewählte Handlungsform kommt es dabei nicht an. Jeder Eingriff muss aber nicht nur den Anforderungen an das Verhältnismäßigkeitsprinzip genügen, sondern bedarf nach der Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes einer gesetzlichen Grundlage. Als „vorverlagerte Verteidigungslinie der Grundrechte als Abwehrrechte“[271] verlangt dieses zentrale Element des Rechtsstaatsprinzips nicht nur, dass überhaupt eine gesetzliche Grundlage für einen Grundrechtseingriff vorhanden ist, sondern auch, dass die wesentlichen Entscheidungen durch den Gesetzgeber getroffen werden (sog. Parlamentsvorbehalt)[272]. Dies gilt insbes für intensive Grundrechtseingriffe[273]. Dabei ist die Intensität keineswegs zwingend von der gewählten Handlungsform abhängig (zur Eingriffsqualität staatlicher Information s. Rn 133 f). Umstritten ist die Reichweite des Gesetzesvorbehalts im Bereich der Leistungsverwaltung, wo diese Frage vor allem im Zusammenhang mit staatlichen Subventionen relevant wird (dazu unten Rn 780 ff).
Einerseits hat das BVerfG zu Recht die Lehre vom Totalvorbehalt abgelehnt, so dass grundsätzlich die Aufnahme der Subventionsmittel in einen Haushaltsplan genügt[274]. Strengere Anforderungen gelten dann, wenn die Subventionierung gleichzeitig in Grundrechte der Konkurrenten eingreift, insbesondere bei der Pressesubvention[275] bzw im Schutzbereich des Art. 4 GG[276]. Nicht abschließend geklärt ist die Frage des Grundrechtsschutzes gegen sonstige Subventionen, die einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Das BVerfG tendiert zu einer Ausweitung des Gesetzesvorbehaltes. Dann nämlich, wenn der Gesetzgeber Vorteile im beruflichen Wettbewerb schafft, bedeutet die Verweigerung des Vorteils einen Eingriff in die Berufsfreiheit. Dies wiederum wird keinesfalls nur bei Subventionen, sondern auch in anderen Zusammenhängen relevant[277]. Allerdings relativiert sich die Bedeutung der Grundrechte überall dort, wo die Rechtsprechung eine besondere Schwere des Grundrechtseingriffs verlangt.
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Nur selten führt der Grundrechtseingriff freilich zur Verfassungswidrigkeit wirtschaftsverwaltungsrechtlicher Normen. Grundrechte wirken in aller Regel normintern; unbestimmte Rechtsbegriffe und Ermessensspielräume lassen ausreichend Raum für eine verfassungskonforme Auslegung. Die Bedeutung der norminternen Grundrechtswirkung kann jedoch kaum überschätzt werden. So ergibt sich beim Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen einer berufsbezogenen Genehmigung grundsätzlich ein Anspruch auf Erteilung dieser Genehmigung.
Vor allem aber ergeben sich Konsequenzen für den Rechtsschutz. Haben grundrechtlich geschützte Rechtsgüter eine verfassungsmäßige Konkretisierung in einfachgesetzlichen Rechtsvorschriften erfahren, sind diese im Zweifel verfassungskonform im Sinne subjektiver Rechte der Betroffenen auszulegen[278]. Gleichzeitig schließen solche einfachgesetzlichen Vorschriften wegen ihrer Spezialität einen unmittelbaren Rückgriff auf Grundrechte aus. Normextern wirken Grundrechte daher eher selten. Doch auch dann ist ihre Wirkung keinesfalls auf die mögliche Verfassungswidrigkeit einer Regelung beschränkt. Sie können auch für den Rechtsschutz relevant werden. Es liegt in der Logik des subjektiven Grundrechtsschutzes auch gegenüber dem Gesetzgeber, den Grundrechten dann eine normexterne Wirkung zuzubilligen, wenn der Gesetzgeber es versäumt hat, den grundrechtlich gebotenen Mindestschutz[279] durch unterverfassungsrechtliche Vorschriften zu gewährleisten[280].
bb) Schutzpflichten
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Lediglich unter engen Voraussetzungen gewähren die Grundrechte auch einen Anspruch auf staatlichen Schutz bestimmter Freiheitsräume[281]. Diese jedenfalls bei einzelnen Grundrechten ausdrücklich anerkannte Pflicht trifft in erster Linie den Gesetzgeber, dem bei der Erfüllung der