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Daraus ergibt sich für die Lösung von Fall 8 (Rn 99)[400] Folgendes: Werbeverbote und Werbeeinschränkungen stellen auch für freie Berufe Berufsausübungsregelungen dar[401]. Sie sollen als Teil der Berufsordnung mit dazu beitragen, dass der Berufsstand seine Aufgaben ordnungsgemäß erfüllt. Dem Apotheker ist die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung überantwortet (§ 1 Abs. 1 ApG). Die Bevölkerung soll darauf vertrauen dürfen, dass der Apotheker – obwohl auch Gewerbetreibender – sich nicht von Gewinnstreben beherrschen lässt, sondern seine Verantwortung im Rahmen der Gesundheitsberufe wahrnimmt. In diesem Sinne sollen die Werbeverbote dem Arzneimittelfehlgebrauch entgegenwirken und die ordnungsgemäße Berufsausübung stärken. Insbes soll das Vertrauen der Bevölkerung in die berufliche Integrität der Apotheker erhalten und gefördert werden. Die Werbeverbote für verschreibungspflichtige Arzneimittel gem. § 10 HeilmittelwerbeG sind daher verfassungskonform. Die angeführten Gründe rechtfertigen aber nicht den Ausschluss der Werbung für das frei verkäufliche (nicht apothekengebundene) Sortiment. In seinen Werbemethoden lässt sich auch kein „unkollegiales Verhalten“ sehen. Mit den entsprechenden Ausführungen hat das Landesberufsgericht die Tragweite von Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG verkannt. Konkurrenzschutz und Schutz vor Umsatzverlagerungen sind keine legitimen Zwecke, die Einschränkungen in der Berufsausübung rechtfertigen können. Weder genießen die sonstigen ortsansässigen Apotheker aus Art. 12 Abs. 1 GG Schutz vor den werbeaktiven Konkurrenten[402], noch darf dies aus dem herkömmlichen Berufsbild gefolgert werden, weil das Berufsbild des Apothekers nicht Selbstzweck ist, sondern nur zum Schutz der Volksgesundheit entwickelt und aufrechterhalten worden ist[403]. Damit steht das Verbot der Werbung für das frei verkäufliche Apothekensortiment nicht mit der Verfassung in Einklang, die zwar Werbeverbote zur Sicherung der Integrität des Berufsstandes und des Vertrauens der Bevölkerung in die freien Berufe grundsätzlich für gerechtfertigt hält, aber in den konkreten Fällen zu einer zunehmenden Lockerung entsprechender Beschränkungen geführt hat. Die sich in einigen bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidungen abzeichnende Differenzierung zwischen dem Internetauftritt und sonstigen Werbebeschränkungen[404] überzeugt dagegen nicht.
d) Zur Vertiefung: Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse und staatliche Informationserteilung
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Gerade im öffentlichen Wirtschaftsrecht sehen sich Unternehmen vielfältigen Informationsansprüchen ausgesetzt, die jedenfalls die Gefahr eines Eingriffs in Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse mit sich bringen. Der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen wird herkömmlich in Art. 12 GG verortet[405]. Richtigerweise liegt der (erste) Eingriff bereits in der Datenerhebung und nicht erst in der „Verbreitung“ von Geschäftsgeheimnissen[406]. Da es verfassungsrechtlich allerdings keinen absoluten Schutz unternehmensbezogener Daten gibt[407], hat der Gesetzgeber einen erheblichen Gestaltungsspielraum bei ihrer Ausgestaltung[408]. Nachdem das BVerfG seine Rechtsprechung zur Begrenzung des Gewährleistungsbereichs des Art. 12 GG bei der staatlichen Verbreitung zutreffender Informationen aufgegeben hat, unterliegen behördliche Maßnahmen uneingeschränkt dem Gesetzesvorbehalt. Im Gesetz erfolgt die Abwägung der relevanten Rechtspositionen. Auch die voraussetzungslosen Informationsansprüche bieten dann – etwa mittels der Berücksichtigung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen – Raum, um die grundrechtlichen Belange der betroffenen Unternehmen zu würdigen[409]. Die Verfassung als Rahmenordnung determiniert nicht die Feinjustierung des Verhältnisses zwischen Offenbarungspflichten und Geheimnisschutz. Die konkrete Ausgestaltung der Schutzstandards ist also weniger „Verfassungsvollzug“ als vielmehr das Ergebnis einer rechtspolitischen Entscheidung[410], zunehmend aber auch unionsrechtlich determiniert. Daher haben im richtliniengeprägten TK- und Energierecht[411] genauso wie im unionsrechtlich determinierten Finanzmarkaufsichtsrecht[412] die unionsrechtlichen Maßstäbe Vorrang.
Als Teilgewährleistung insbesondere der unternehmerischen Freiheit (Art. 16 GRCh) werden auch Geschäftsunterlagen und Geschäftsgeheimnisse geschützt, um so die Erhaltung marktwirtschaftlich erarbeiteter Wettbewerbsvorteile sicherzustellen. Für Eingriffe gilt der Gesetzesvorbehalt (Art. 52 GRCh). Als Belange des Gemeinwohls, die einen Eingriff in die Berufsfreiheit, insbesondere in die unternehmerische Freiheit, rechtfertigen können, hat der EuGH zB den Schutz der Menschenrechte, den Umweltschutz, den Schutz der Volksgesundheit, den Verbraucherschutz und die Herstellung des Binnenmarktes anerkannt. Gleichwohl zeigten sich in der praktischen Handhabung deutliche Unterschiede (s. Rn 132).
aa) Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse
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Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse fallen in den Schutzbereich des Art. 12 GG, es wurde aber bereichsspezifisch unterschiedlich definiert, was sie umfassen. Grundsätzlich sind dies alle auf ein Unternehmen bezogenen Tatsachen und Vorgänge, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Geheimnisinhaber ein berechtigtes Interesse hat[413]. Dazu gehören insbes das technische und kaufmännische Know-how eines Unternehmens. Nunmehr findet sich erstmals eine Legaldefinition in § 2 Nr 1 GeschGehG. Das Gesetz betrifft zwar nicht unmittelbar die im öffentlichen Wirtschaftsrecht relevanten Konstellationen, da öffentlichrechtliche Geheimhaltungsvorschriften gem. § 1 Abs. 2 GeschGehG Vorrang haben. Allerdings spricht dies nicht ohne weiteres gegen die Erstreckung der Neudefinition auf das Informationsfreiheitsrecht[414].
bb) Verfahrensunabhängige Informationsansprüche
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Seitdem 1990 mit dem Umweltinformationsgesetz (UIG) erstmals in Deutschland „voraussetzungslose“ Jedermann-Ansprüche auf Information eingeführt wurden, hat sich die Rechtslage erheblich ausdifferenziert[415]. Mit Blick auf die Gesetzgebungskompetenz versteht man sie als Verfahrensrecht, so dass Bund und Länder jeweils eigene Vorschriften erlassen haben. Seit 2006 gibt es das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) des Bundes. Auf dem Gebiet des Wirtschaftsrechts wird das Verbraucherinformationsgesetz (VIG) relevant, das den freien Zugang zu gesundheitsbezogenen Verbraucherinformationen öffentlicher Stellen im Lebensmittel- und Futtermittelbereich und seit 2012 auch für Verbraucherprodukte iSd Produktsicherheitsgesetzes gewährt. Die Gesetze beruhen regelungstechnisch darauf, dass gegenüber Behörden ein voraussetzungsloser Informationsanspruch gewährt wird, der allerdings in bestimmten Fällen, unter anderem bei berechtigten Interessen Privater, wieder eingeschränkt wird[416]. Daneben treten die speziellen presserechtlichen Auskunftsansprüche nach den Landespressegesetzen und – gegenüber Bundesbehörden – als verfassungsunmittelbarer Anspruch aus Art. 5 Abs. 1 GG[417]. Einen allgemeinen grundrechtlichen Anspruch auf Informationszugang gibt es demgegenüber nicht[418]. Davon zu unterscheiden sind die (punktuellen) aus Art. 12 GG bzw. Art. 19 Abs. 4 GG ableitbaren, verfahrensbezogenen Informationsansprüche[419]. Diese Vorschriften sind allerdings in ihrer Gesamtheit weniger ein Ausdruck gesetzgeberischer Systematik als Reaktion auf entsprechende Skandale[420].
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Einen solchen voraussetzungslosen Informationsanspruch betrifft Fall 9 (Rn 100)[421]. Nach § 1 Abs. 1 IFG hat B grundsätzlich einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen gegenüber Behörden des Bundes, zu denen unter Zugrundelegung des funktionellen Behördenbegriffes auch die BaFin zu fassen ist[422]. Dieses Informationszugangsrecht wird in §§ 3, 4 IFG bei besonderen öffentlichen Geheimhaltungsinteressen und in §§ 5, 6 IFG zum Schutz Dritter ausgeschlossen. Im vorliegenden Fall stellt § 9 KWG eine durch Rechtsvorschrift geregelte Geheimhaltungspflicht iSv § 3 Nr 4 IFG dar, die bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 KWG zum Ausschluss des Informationszugangsrechts