b) Eingriff und Gesetzesvorbehalt
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Angesichts des umfassenden Schutzes der Berufsfreiheit gerät grundsätzlich jedes staatliche Handeln mit Auswirkungen auf die wirtschaftliche Betätigung unter Rechtfertigungsdruck. Neben klassischen Grundrechtseingriffe (durch Gesetz und Verwaltungsakt) sind die „faktisch-mittelbaren“ Grundrechtseingriffe getreten (s. schon Rn 113). Dort bedarf die Eingriffsqualität jeweils besonderer Prüfung. Zunächst hat das BVerfG vor allem in den Entscheidungen zu staatlichen Produktinformationen den Gewährleistungsbereich des Art. 12 GG beschränkt und damit den Gesetzesvorbehalt relativiert. Es hat diese häufig kritisierte Sonderdogmatik[346] jedoch mittlerweile aufgegeben. Es verlangt nunmehr ein „funktionales Äquivalent“ zum klassischen Grundrechtseingriff und sieht diese – wie früher schon das BVerwG – in der Finalität der staatlichen Maßnahme (Abzielen der Information auf die Beeinflussung des Konsumverhaltens)[347]. Der „Engführung“ des Gewährleistungsbereichs dient auch das Merkmal der „objektiv-berufsregelnden Tendenz“[348]. Diese soll fehlen, wenn die Maßnahme weder auf eine Berufsregelung zielt, noch sich unmittelbar auf die berufliche Tätigkeit auswirkt. Sie wird bejaht bei solchen nicht auf eine Berufsregelung zielenden Maßnahmen, die die Rahmenbedingungen der Berufsausübung verändern und in Folge ihrer Gestaltung in einem so engen Zusammenhang mit der Ausübung des Berufs stehen, dass sie objektiv eine berufsregelnde Tendenz haben[349].
Bejaht wurde sie bei Vorschriften, die im Schwerpunkt Tätigkeiten betreffen, die typischerweise beruflich ausgeübt werden[350]. Fehlt ein solcher Zusammenhang, etwa weil die Besteuerung von Kraftstoffen alle Verbraucher betrifft und die Regelung nicht bestimmte Berufe, sondern den Verbrauch an Biokraftstoff generell beeinflussen soll[351], so wird die Regelung nicht an Art. 12 GG gemessen[352]. Auch die Pflichtmitgliedschaft in berufsständischen Organisationen ist nach hM kein Eingriff in Art. 12 GG. Die Verbindung zum Beruf ist nach dem BVerfG also „nicht unmittelbar, sondern vielmehr nur locker und mittelbar“[353]. Damit kommt allenfalls ein – regelmäßig gerechtfertigter – Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) in Betracht (dazu unten Rn 141 ff). Von der Rechtsprechung wird auch die polizeirechtliche Generalklausel selbst nicht als Eingriff in Art. 12 GG betrachtet, da sie keine objektiv berufsregelnde Tendenz aufweise[354]. Davon zu unterscheiden ist die Frage, inwieweit die polizeirechtliche Generalklausel überhaupt als Ermächtigungsgrundlage herangezogen werden kann. Durch ihre Anwendung auf Einzelfälle darf nicht „der Sache nach das getan werden, was der Gesetzgeber hätte tun müssen, nämlich eine verbreitete neue Erscheinungsform der Berufsausübung zu regeln“. Beim Laserdrome (s. zum Sachverhalt schon Fall 5 Rn 47)[355] sah das BVerwG diese Voraussetzungen – anders als in dem ausdrücklich in Bezug genommenen älteren Fall zu den Kondomverkaufsautomaten[356] – noch nicht als gegeben an[357]. In seiner zweiten Entscheidung hat das BVerwG allerdings klargestellt, dass jedenfalls bei Verstößen gegen die Menschenwürde ein Einschreiten auf der Grundlage der Generalklausel zulässig bleibt[358].
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Die objektiv-berufsregelnde Tendenz ist in Fall 10 (Rn 101) gegeben. Selbst wenn es dem Staat mit den Verbraucherinformationen um Gesundheitsschutz geht, besteht jedenfalls bei der Veröffentlichung unternehmensbezogener Daten ein hinreichender Zusammenhang mit der beruflichen Betätigung. Dennoch wäre verfassungsrechtlich eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für die Veröffentlichung nicht erforderlich, wenn man in der wahrheitsgemäßen staatlichen Information schon überhaupt keinen Grundrechtseingriff sieht. In der Praxis stellt sich dieses Problem allerdings angesichts der vielfältigen Rechtsgrundlagen für staatliches Informationshandeln kaum noch, so dass im konkreten Fall wegen des Vorrangs des Gesetzes die tatbestandlichen Voraussetzungen zu prüfen sind[359]. Eine Veröffentlichung bedarf jedoch einer gesetzlichen Grundlage. Die Informationsfreiheitsgesetze verlangen einen Antrag und lassen sich wohl nicht für aktive Informationstätigkeiten des Staates heranziehen[360]; jedenfalls wären sie insoweit zu unbestimmt. Als ausdrückliche Rechtsgrundlage für die Informationstätigkeit der Behörde kommt außer dem VIG § 40 Abs. 1 LFGB in Betracht, der jedoch wegen § 40 Abs. 2 LFGB nur subsidiär Anwendung findet. Neuerdings beschäftigen sich die Gerichte eingehend mit dem im Jahr 2012 neu eingeführten § 40 Abs. 1a LFGB, der unter bestimmten Voraussetzungen, insbes bei einem aufgrund der Verstöße zu erwartenden Bußgeld von mehr als 350 €, eine neue Rechtsgrundlage für die Informationstätigkeit der Behörde darstellt (s. Rn 135).
c) Rechtfertigung: Die Drei-Stufen-Lehre als Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsprinzips
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Der Gesetzesvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG wird entgegen seinem Wortlaut auf die gesamte Berufsfreiheit erstreckt[361]. In materieller Hinsicht bestimmt das Bundesverfassungsgericht die Grenzen staatlicher Eingriffe in Art. 12 GG anhand seiner Drei-Stufen-Lehre, ohne dass es die genaue Abgrenzung dieser Stufen abschließend geklärt oder auch nur in allen Fällen überhaupt herangezogen hätte. Die Stufenlehre lässt sich am besten als konkretisierende Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsprinzips begreifen. Deren Raster wird vom BVerfG keinesfalls sklavisch befolgt[362], gibt aber für die Fallbearbeitung ein gutes Raster ab.
aa) Objektive Berufswahlbeschränkungen
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Diese sind „nur zulässig, wenn sie zur Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut zwingend geboten sind“[363]. Da dies nur selten der Fall ist, sind objektive Berufswahlbeschränkungen meist unzulässig. Dies gilt insbes für Bedürfnisprüfungen[364] und beschränkt auch staatliche Monopole auf Ausnahmefälle.
Staatliche Monopole, wie sie etwa das Glücksspielrecht[365] vorsieht, sind zum Schutz vor Ausbeutung der Spielleidenschaft grundsätzlich zulässig[366]; die konkrete Ausgestaltung wurde jedoch zum Musterbeispiel für die von den Gesetzgebern kaum zu bewältigenden Anforderungen an Kohärenz und Folgerichtigkeit der Regelung (s. zum Unionsrecht Rn 69; zum Verfassungsrecht Rn 146 ff; zur Gesetzgebungskompetenz Rn 169). Für die klassischen Monopole im Bereich der Daseinsvorsorge[367], insbes für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen, hat der Verfassungsgeber staatliche Monopole in Art. 87f Abs. 2 S. 2 GG ausgeschlossen[368] und als milderes Mittel die „Gewährleistungsverantwortung“ für ausreichend erachtet (zum Regulierungsrecht Rn 23, 504). Während die Bedürfnisprüfungen bei Gaststätten (s. Rn 410) und Apotheken verfassungswidrig waren, ließ das Bundesverfassungsgericht sie vor allem bei den staatlich gebundenen Berufen[369] als Ausnahmen zu. Auch ein staatliches Monopol stellt eine objektive Berufswahlbeschränkung dar, die strengen Anforderungen genügen muss.
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Verfassungsrechtlich