Der Fuchs. Johanna Breitwieser. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johanna Breitwieser
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783991076360
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„Wir haben nichts gemeinsam. Nicht das Geringste ließe sich an uns vergleichen. Wer auch immer aus diesem Kampf als Sieger hervorgeht, wird den Verlierer nach seinem Belieben töten. Es kann schließlich nur einer von uns weiterleben. Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass wir einfach dazu geboren wurden, Feinde zu sein“, sagte Achilles leise und mehr zu sich selbst. Recht viel länger würde er es mit dem anderen jedenfalls nicht mehr aushalten. „Eine Frage, bevor wir anfangen, uns mit Argumenten und Ansichten zu zerfleischen: Was ist dein werter Einsatz?“ Achilles überlegte. „Wenn du hier gewinnst, Trojaner, darfst du überall herumerzählen, dass du mich besiegt hast.“ Überraschung zeichnete sich im Gesicht des anderen Mannes ab. „Obgleich das sonst nicht meine Art ist, will ich fair mit dir sein, und schließlich ist ein leichter Sieg ziemlich langweilig. Die Frist läuft bis zu den ersten Sonnenstrahlen.“ Hektor nickte abermals und stählte seinen Geist. „Sehr schön“, flüsterte Achill. Dann beugte er sich vor und ergriff Hektors Handgelenke. Den Griff intensivierend leckte er fordernd über dessen Kieferknochen, danach den Hals und den Nacken hinunter, wo er sich verbiss. Zuerst leicht, dann immer fester und gewalttätiger, bis er einen kaum merklichen Ton des Schmerzes vernahm. Das Feuer erleuchtete ihre Gesichter, die nur eine Handbreit voneinander entfernt lagen. „Diese Runde geht an mich“, schnurrte Achill kalt und amüsiert, worauf Hektor ihm aus reinster Verachtung ins Gesicht spuckte. Mit fahrigen Bewegungen wischte der Pelide sich den Speichel von der Wange. „Sieh an, sieh an, dein Kampfgeist ist zurück. Dachte schon, er ist erstickt, nachdem du so apathisch hier sitzt.“ Er liebte Herausforderungen und Wettkämpfe einfach zu sehr. Mit der rechten Hand holte er aus, doch dann zögerte er. „Nein, schlagen werde ich ihn nicht, sonst könnte es passieren, dass ich mich selbst dabei vergesse. Lieber eine weitere Frage, ja, die tut’s auch.“ Kurz war wieder Stille. Dann verlangte der Abgott, dass der Sterbliche ihn ansah. „Du hast schöne Augen, so warm und braun wie Schokolade“, zischte er mit gefährlichem Unterton. Hektor wusste, dass er etwas auf diese falsche Freundlichkeit erwidern musste, wenn er nicht schon nach der ersten Runde ausscheiden wollte. „Und deine sind so kalt wie Eis und Schnee“, konterte er emotionslos. Achilles umfasste die Wunde des anderen. Seine groben Finger pressten sich rücksichtslos in die Verletzung. Hektor fieberte wieder etwas stärker, als ihn der Schmerz durchzuckte. Jede Bewegung würde ihm jetzt wohl noch mehr Qualen bereiten. „Das war nur eine Feststellung und noch keine meiner Fragen.“ Ein raues Lachen ertönte. „Verwundert mich, Grieche, dass du jemals unbefangen bist.“ Achilles kostete es nur ein mildes, überhebliches Grinsen. „Du wärest erstaunt.“ Dann stand er auf und ging zu einem übrig gebliebenen Bündel, dem er zwei Stücke Brot entnahm. Der Blonde kehrte zurück und bot dem Gegenspieler Essen und Trinken an. Dann biss er selbst in das Roggenbrot, das er mit einem Schluck Wein hinunterspülte. Der jedoch schmeckte verdächtig nach Abbeizmittel. Wie hatte das alles nur so eskalieren können?

      Zweites Kapitel

       Nimbus

      Nach dem Kampf gegen den Bergdämon machten sich Griechen und Trojaner einträchtig auf den Heimweg. „Von euch hat auch keiner Paris gesehen?“, fragte Hektor die Männer aus Ithaka. „Sieben Höllen, nein. Die Begegnung ist mir glücklicherweise erspart geblieben“, bemerkte Odysseus und verdrehte die Augen. „Da heißt es immer, die Welt ist so furchtbar und schlimm. Aber wenn ich mir die Aktionen deines Bruders zu Gemüte führe, tut mir eher die arme Welt leid.“ Der Trojaner nickte zustimmend. „Die reinste Landplage ist er, und ich habe ernsthaft den Verdacht, dass er meiner geliebten Dido nachsteigen will“, zischte Aeneas. Hektor schnaubte leicht. „Also ist er verschwunden, und keine Menschenseele weiß, wohin.“ Auf diese Folgerung hin empörte sich sein Schwager abermals. „Auf Paris ist einfach kein Verlass mehr.“ – „Da erzählst du ja ganz was Neues. Auf den hat man sich schon vor 3000 Jahren nicht verlassen können.“ – „Dann verstehe ich nicht, wieso du ihn nicht hochkant und umgehend rauswirfst! Glaube mir Hektor, der größte Schaden wird’s schon nicht sein.“ – „Ach Aeneas, wenn ich jeden rausschmeiße, der mir nicht in den Kram passt, komme ich billiger davon, wenn ich mir gleich eine eigene Wohnung nehme.“

      Sie warfen sich vielsagende Blicke zu. Der junge Remus war jedoch anderer Meinung. „Ich bin trotzdem dafür, dass wir ihn suchen sollten. Womöglich steckt er in Schwierigkeiten.“

      Die beiden Älteren musterten ihn missbilligend. „Der wird in Schwierigkeit stecken, wenn ich ihn erst erwische. Vergiss nicht, dass er gestern meinen Wagen gestohlen und mein Konto leergeräumt hat. Meine Bruderliebe in allen Ehren, aber irgendwie sollten wir doch wenigstens die Heizkosten für den Winter abdecken können. Ich für meinen Teil möchte jedenfalls nicht den Erfrierungstod sterben.“ Die Zwillinge schwiegen. Eigentlich hatten sie als Einzige Paris sogar etwas gern. Er war immer gut gelaunt, für jeden Schabernack zu haben und nicht so forsch wie Hektor oder aufbrausend wie Aeneas. Doch es stimmte, dass die meisten Probleme, die sie heute hatten, Paris zuzuschreiben waren. „Was hältst du übrigens von dem neuen Hauswärmesystem, das ich mir einfallen ließ?“, fragte Romulus unverblümt. „Ah ja, die Hypokausten-Heizung, ich weiß schon. Ich verspreche dir, ich werde drüber nachdenken“, versicherte ihm der Anführer der Trojaner. Remus biss verlegen auf seiner Unterlippe herum. Die Tatsache, dass selbst Hektor die Sache mit seinem Bruder mehr oder weniger abgeschrieben hatte, war bedenklich. Sollten sie als Familie denn nicht zusammenhalten? Doch schwarze Schafe und Unglücksraben gab es wohl überall, und Paris stellte in der Beziehung den absoluten Hauptgewinn dar. Das wussten auch die Griechen, die erstaunt darüber waren, dass die Trojaner wirklich erwogen, den Missratenen und Verächtlichen in die Verbannung zu schicken.

      Achills Brauen wanderten nach oben. „Ich habe euch gar nicht zugetraut, dass ihr so hart und skrupellos durchgreifen könnt.“ – „Am liebsten würde ich ihn morgen gleich auf einer einsamen Insel aussetzen, falls ich nicht am Ende derjenige wäre, der die Quittung dafür erhält. Abgesehen davon graut es mir eher davor, was er alles anstellen könnte, wenn uns die Kontrolle über ihn endgültig entgleitet“, lachte Hektor grimmig. „Mittlerweile bin ich so weit, dass ich überlege, diese gesamte Angelegenheit sich selbst zu überlassen und mich einfach abzusetzen.“ Die übrigen Trojaner schluckten. „Aber es wäre feige, und ich habe schließlich auch noch eine Familie, um die ich mich kümmern muss. Da stelle ich meine Interessen eben hintenan, davon abgesehen, dass die sowieso noch nie jemanden interessiert haben. “ Er ließ die glotzenden Gefährten einfach stehen und trabte stur weiter, ohne auf mögliche Einwände zu hören.

      Odysseus hielt unterdessen immer noch eine Drachenklaue in der Hand, die er mitgenommen hatte. Nachdenklich drehte und wendete er das abgerissene Körperteil, um es zu begutachten. „Dem werde ich es heimzahlen. Niemand entführt meinen Filius und schleudert mir ungestraft eine Brandbombe durchs Haus“, erklang seine Stimme hart und kalt. „Nun, wenn wir sie schon nicht wegen Körperverletzung und Sittlichkeitsbruch drankriegen, dann wenigstens wegen Vandalismus“, meinte Achilles. „Ha, und wo willst du Minos verklagen, beim Obersten Gerichtshof, dessen Richter er selbst ist?“ Darauf wusste auch Achilles keine Antwort. „Du bist der Denker von uns beiden, Odysseus. Lass dir eine schöne List für unsere Rache einfallen.“

      Plötzlich ertönte ein Schrei, und Achill stürzte geradewegs in einen Abgrund. Der Erdboden, auf dem sie standen, war trocken und spröde. Ehe sich’s der Abgott versah, fand er sich ein Stockwerk tiefer am Grund einer Schlucht wieder. Hektor und der König von Ithaka beugten sich vorsichtig über den Rand. Das jedoch hätten sie besser unterlassen, denn der Fels brach, und mit lautem Getöse fielen auch sie hinterher. Aeneas gelang es gerade noch, die Übrigen wegzureißen. „Hektor! Odysseus! Sofort runter von mir! Ihr drückt mir ja die Rippen entzwei!“, keifte Achilles verärgert. Doch außer ihnen war noch jemand hier unten. „Achilles, bist du das?“, sprach eine Stimme aus der Dunkelheit. Der Abgott rappelte sich auf seine schlanken und schnellen Beine, um dem Ruf nachzugehen. „Paris!“ Hektor rannte zu ihm und umarmte ihn. „Bei Phoebus Apollon, was hast du jetzt wieder fabriziert? Ich habe mir verdammt große Sorgen um dich gemacht, Brüderchen.“ Paris sah mit seinen schönen Gesichtszügen und den großen Augen zu ihnen auf. „Ich wollte für Helena einkaufen gehen, so als Versöhnungsgeschenk, du weißt schon. Ich fahre also friedlich mit dem Wagen los, und ganz plötzlich verschwindet das Erdreich unter mir. Dann bin ich hier unten ein wenig umhergelaufen, bis ich in diesem blöden Loch hängengeblieben