Der Fuchs. Johanna Breitwieser. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johanna Breitwieser
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783991076360
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Glück war das. Bist du verletzt?“ – „Nein, ich glaube nicht, Hektor. Wärst du nun bitte so freundlich, mir aufzuhelfen?“ Dessen Augen blitzten unverwandt und wütend auf. „Vorher gibst du mir mein Geld zurück. Und unterstehe dich ja, dich noch einmal ungefragt an meinen Sachen zu bedienen.“ Paris sah ihn mit seinem unwiderstehlichen Welpen-Blick an. „Das Schmollen kannst du dir schenken.“ – „Entschuldige, Hektor“, flüsterte er.

      Starke Arme packten ihn und zogen sein Bein aus dem tiefen Spalt. Kaum stand er wieder auf festem Untergrund, schlug ihn der Ältere mit der Faust gewaltsam nieder. „Dafür entschuldige ich mich nicht!“ Der jüngere Trojaner mit den schwarzen Locken und dem ansehnlichen Körper starrte ihn geschockt an, als er bemerkte, dass Blut aus seinen Nasenlöchern rann. „Heul nicht gleich los, Jungchen“, zischte Achill ihm zu und lachte schadenfroh. „Das ist dafür, dass du den Wagen genommen hast. Meinen Wagen, möchte ich wohl betonen.“ Hektor sah ihn abfällig an und betrachtete danach wehmütig die Überreste des Fahrzeugs und die zwei toten Pferde. Paris reichte ihm zerknirscht einen Beutel mit Münzen. „Sehr brav, Bruderherz, und nun sollten wir alles daranlegen, wieder ans Tageslicht zu kommen, sofern niemand etwas Gegenteiliges einzuwenden hat.“ Dieser Entschluss erschien allen als das Vernünftigste. Zumindest fiel in dieser Situation auch den Griechen nichts Besseres ein. Achilles ging voraus, sich vorsichtig an der Wand entlang hangelnd, jeden Millimeter mit den Händen abtastend. Der Fels war rissig und sehr rau. Ihm folgten Hektor und Odysseus. Paris lief als Letzter hintendrein. Um sie herum nichts als nasser und kalter Stein. „Au, du stehst auf meinem Fuß!“, fauchte Achilles böse in Hektors Richtung. „Dann geh gefälligst weiter, wenn’s genehm ist, Pelide!“, kam eine patzige Antwort. Odysseus stöhnte entnervt auf. Eine schöne Bescherung war das in der Tat. Langsam verbreiterte sich der Weg und teilte sich in vier Pfade auf, die abschüssig ins Innere führten. „Da vorne ist eine Gabelung!“, stellte Paris fest, für den Fall, dass es noch keinem aufgefallen war. „Ist nicht wahr, und die Erde ist in Wirklichkeit auch keine Scheibe, Brüderchen!“ Worauf Achilles ein hartes Lachen ausstieß. Offenbar war der Anführer der Trojaner doch nicht so humorlos, wie er immer dachte. „Echt jetzt?“, fragte Paris etwas irritiert. Die Griechen brüllten los und lachten. Hektor schüttelte den Kopf über so viel Unwissen. „Große Güte, Paris. Jedes Kind weiß, dass die Welt rund ist“, sagte er gepresst, denn offenbar riss ihm bald der Geduldsfaden über die Hirngespinste des Verwandten. „Burschen, wollen wir wieder einmal zur Sache kommen? Wie Paris schon,messerscharf’ analysiert hat, trennen sich hier unsere Wege.“ Der Ernst in seiner Stimme ließ selbst Achilles das Lächeln auf den Lippen ersterben. „Teilen wir uns also auf, und falls einer von uns rauskommt, holt er sofort Unterstützung!“, entschied der König von Ithaka ganz undiplomatisch. „Gut, dann muss ich eure Visagen nicht mehr sehen“, schnalzte Achilles mit der Zunge, und weg war er.

      Hektor und Paris sahen ihm lange nach. Er hatte einen der mittleren Wege gewählt, weshalb Paris sich nach rechts wandte und die anderen beiden nach links. Im Untergrund verlor Odysseus bald jedes Zeitgefühl. Er orientierte sich eher am Hungergefühl in seinem Magen, der ihn mürrisch daran erinnerte, dass bald ein Mittagessen fällig sei. Nach schätzungsweise einer Stunde, in der er über breite Felsen gestakst war, kam Übelkeit in ihm hoch. Seit fast fünf Monaten hatte er sich nur von Rübeneintopf ernährt. Auf Dauer konnte so eine unfreiwillige und vegetarische Diät nur schiefgehen. Plötzlich blendete ihn ein Licht. Es war gleißend hell und doch kein Tageslicht. Tausende Kristalle schimmerten um ihn herum. Sie leuchteten und glitzerten in allen erdenklichen Farben. Mal verfärbten sich die Nuancen und Schattierungen, sobald man an ihnen vorbeiging, oder sie gaben klirrende Töne von sich. Odysseus musste an ein Glockenspiel denken, das leise klimperte. Er war so überwältigt von den vielfältigen Sinneswahrnehmungen, dass er einfach stehen blieb und staunte. So etwas hatte er noch nie gesehen. Und diesen Anblick würde er auch nicht so schnell wieder vergessen. Da hörte er auf einmal Stimmen. Sie kamen ihm bekannt vor, und augenblicklich wünschte er sich, er hätte lieber nichts vernommen. Es war gruselig. Wirklich unheimlich, als ob sie ihn verfolgen würden. Mit äußerster Vorsicht spähte er um die nächste Biegung, nur um dahinter seine schlimmsten Befürchtungen mehr als bestätigt zu sehen.

      Der Weg mündete in eine weitere Höhle vom Ausmaß einer Basilika. Dort ragten viele kleinere Kristalle leuchtend aus dem Boden, sodass sie wie Fliesen aussahen. Eine steile Treppe führte auf ein Felsplateau. Darauf thronte ein mächtiges und steinernes Portal – zu dessen Fuße niemand anderes als König Minos saß. Vor ihm ging sein Schwager unruhig auf und ab. Derbe Wortfetzen von sich gebend fuchtelte er mit den Händen durch die Luft. „Aietes, jetzt entspann dich mal.“ – „Ich werde nicht zulassen, dass das Haus dieser Hurensöhne aus Ithaka weiterbesteht!“ Minos erhob sich. „Du musst mal lernen, gelassen zu bleiben. Wir haben ja alles unter Kontrolle. Mit diesem wertlosen Bauerntrampel werden wir uns später beschäftigen. Mir geht es einzig um das Amulett. Und darf ich dich daran erinnern, dass du sie alle hast entkommen lassen?“ Ein Schatten erschien auf seinem Gesicht. Nicht ohne Vorwurf fuhr er fort: „Tja, da hättest du besser aufpassen müssen, Idiot. Nun ist es zu spät. Diese korrupten Trojaner haben es in ihre dreckigen Hände bekommen, und was willst du dagegen tun?“ Da lächelte er den Drachenfürsten an. „Hier in diesen Stollen liegt die Lösung. Die höchsten magischen Errungenschaften werden hinter dieser Tür verwahrt. Folglich sind wir am Ziel. Sobald die Macht des olympischen Feuers auf uns übergegangen ist, hält uns niemand mehr auf. Diesen lästigen Abschaum fegen wir dann anschließend ganz nebenbei vom Spielfeld in die Vergessenheit.“ Minos ließ seinen Blick siegessicher durch die Halle schweifen. „Ich, liebster Schwager, habe versucht, mit meinen stärksten Sprüchen das Portal aufzubrechen, doch es will mir bislang nicht gelingen. Mir schwant, dass wir dafür doch das Amulett benötigen“, gab Aietes aalglatt zu. Verärgert sah Minos umher. „Wozu bist du eigentlich ein Zauberer?“, blaffte er den anderen an. „Dann beschaffe es mir gefälligst, und zwar schnell, wenn ich bitten darf. Ich schwöre, noch einmal so ein Versagen und ich lasse dich wegen Sabotage hinrichten, auch wenn ich hundertmal der Mann einer deiner verdorbenen Schwestern bin.“ Der Drachenfürst fletschte herausfordernd die Zähne. Wenn Minos unbedingt Streit suchte, konnte er ihn haben.

      Odysseus lauschte so gebannt diesem interessanten Gespräch, dass er gar nicht merkte, wie Paris und Achilles neben ihm auftauchten. Sie sahen zu, wie Minos aufsprang und sein Kurzschwert zog. „Nun, mir scheint, dass es vielleicht gar nicht mal so weit entfernt ist.“

      Er schnippte mit den Fingern, und ein riesiger Drache trat in Erscheinung. Seine Flügel waren so groß wie die Segel einer Jolle. Dann ein wütender Aufschrei, und eine Gestalt wurde von dem Lindwurm in den Saal geschleudert. Triumph zeigte sich bei den Anwesenden. „Mittwoch scheint wirklich mein Glückstag zu sein. Sieh an, was uns da ins Haus geflattert kommt, mein Amulett. Nein wirklich, Götter, das wäre doch nicht nötig gewesen!“ Aietes warf den Kopf in den Nacken und lachte voller Häme. „Wenn du es uns freiwillig gibst, verspreche ich, wenigstens deine garstige Brut am Leben zu lassen, Trojaner.“ Hektor erhob sich gequält auf die Knie. Er hustete und blickte finster zu den Feinden auf. „Das könnt ihr Verräter euch so was von abschminken. Wie kommt ihr zwei überhaupt dazu, eure eigenen Landsleute zu hintergehen und Forderungen zu stellen, widerwärtiges Griechenpack!“ –

      „Sag mal, wie redest du eigentlich mit mir, dem angehenden Wächter der olympischen Flamme! Zeige uns Respekt, Sterblicher!“ Ein Schlag, dann ein paar Tritte, und er hatte den Brünetten am Hals gepackt. Mit einem schnellen Ruck riss er ihm das Amulett ab. „Die letzten Worte?“, säuselte er geradezu freundlich. Eine Hand vergrub sich in den dunklen Locken, die andere hielt das Schwert. „Du kannst mich mal, Aietes!“ Hektor riss seinerseits die Klinge aus dem Gürtel und stieß sie nach seinem Angreifer. Die Waffe bohrte sich durch dessen gesamten Unterarm zwischen Elle und Speiche hindurch. Dann sank er brüllend zu Boden, denn offensichtlich hatte er nicht damit gerechnet, fast aufgespießt zu werden. Im nächsten Moment herrschte das pure Chaos. Odysseus hatte die Gelegenheit genutzt, Paris seinen Bogen von den Schultern gezogen, und nun hagelten Pfeile auf Minos und Aietes nieder. Zuvor war er heimlich auf den gegenüberliegenden Felsvorsprung geklettert, um die Geschosse vorzubereiten. Die Bogensehne surrte in Sekundenschnelle, die Spitzen waren frisch geschliffen worden und bereit zu treffen. Auch Achilles blieb nicht untätig. Während Aietes und Hektor sich zu einem kreischenden und um sich tretenden Bündel verkeilten,