Der Fuchs. Johanna Breitwieser. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johanna Breitwieser
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783991076360
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hatte unterdessen aufgehört, derbe Flüche gegen alles und jeden auszustoßen. Denn bald musste er sich eingestehen, dass das zu rein gar nichts führte.

      Odysseus hatte sich unterdessen die Ohren zugehalten und versucht, einen klaren und rationalen Gedanken zu fassen. Dann kam er zu dem niederschmetternden Schluss, dass sie zahlen mussten. Nachdem er dem anderen seine Lösung präsentiert hatte, verfiel der Abgott in einen seiner berühmten cholerischen Wutanfälle. „Tut, was ihr nicht lassen könnt, wenn ihr euch gerne erpressen lasst, bitte!“ – „Nicht jeder ist unverwundbar, Pelide!“ Der Angesprochene überhörte diesen unterschwelligen Vorwurf. „Jeder, wie’s ihm beliebt, ich suche weiter nach Pat, und wehe dem, der mich aufzuhalten versucht!“ Mit hoch erhobenem Kopf stolzierte der Blonde von dannen. Odysseus wischte sich mit dem Handrücken das Blut ab und blickte ihm lange nach.

      Nun wollt ihr Leser sicher wissen, was mit Patroklos geschehen ist. Nach dem Zwischenfall auf der Agora war der Bursche mit Achilles nach Hause gegangen. Am selben Abend noch gerieten die beiden in einen großen Streit. Der Abgott, der seinem geliebten Schützling sonst jeden Wunsch von seinen wunderschönen großen Augen ablas, blieb dieses Mal unerwartet kalt und verschlossen. Ein Wort gab das andere. Patroklos blieb stur. In dieser Hinsicht kam er ganz nach seinem Lehrmeister. Wütend und enttäuscht schrie der Jüngere ihn an. „Nie sagst du, was los ist! Nie darf ich dich bei deinen geheimen Missionen begleiten! Nie scherst du dich darum, wie es mir wohl geht!“ Achill blickte lange in diese grünblauen Iriden, welche, seiner Meinung nach, die Krönung der Schöpfung darstellten. Es fiel ihm sehr schwer, dem Flehen nicht nachzugeben. Pat hatte er bisher noch nie etwas abschlagen können. Doch er blieb hart. Der göttliche Auftrag seiner Mutter Thetis erforderte äußerste Geheimhaltung und Diskretion. Folglich kein Wort zu niemanden, auch nicht zu Patroklos. Obwohl es ihm beinahe das Herz zerriss, ihn so voller Gram und Missgunst zu sehen, sagte er nichts. Irgendwann, so dachte der Pelide, würde Pat das vielleicht verstehen. Irgendwann, wenn er reifer, erfahrener und vernünftiger war. Dieser Gedanke des Achilles erschien vielleicht etwas absurd, da er auch nicht gerade zu den Denkern zählte, doch die Vergangenheit hatte ihn einige Lektionen gelehrt. Eine davon war, auf Patroklos zu achten und ihm nicht alles durchgehen zu lassen.

      Er nahm seine gesamte Autorität und Dominanz zusammen, um seinem übermütigen Schüler einmal so richtig über dessen vorlautes Mundwerk zu fahren. „Nein! Dabei bleibt es. Wage es nicht, mit mir zu diskutieren, denn ich bleibe dabei. Ich habe einen Auftrag zu erfüllen und kann mich nicht in jede Kleinigkeit, über die auf der Agora getuschelt wird, einmischen!“ – „Aber, das ist ein richtiger Skandal!“ Patroklos konnte nun seinen Eifer und den Tatendrang nicht mehr verhehlen. Sein Lehrmeister sollte ruhig sehen, welche krummen Geschäfte er, nämlich Pat ganz allein, da aufgedeckt hatte. In seiner Vorstellung hatte Achilles ihm für seine kluge Vorgehensweise gratuliert und ihn vor Stolz gelobt. Doch das Gegenteil war eingetreten. Achilles war weder von dem Wirbel um die Milchsteuer im Allgemeinen noch von seinem Schüler im Besonderen erbaut. Leider verringerte seine herrische Attitüde die Missverständnisse beider Parteien nicht im Geringsten. „Ich glaube es nicht, dass du einfach dabei zusiehst, wie unsere Landsleute von König Minos um ihr Geld gebracht werden! Wieso, verdammt noch mal, tust du nichts dagegen?“ Der Streit war mittlerweile bis auf die Straße zu hören. „Pat, das kann ich dir nicht sagen, du würdest es noch nicht verstehen!“ – „Ach, für dumm willst du mich jetzt auch noch verkaufen? Schön, ich helfe ihnen wenigstens, damit sie nicht im Schuldenturm landen oder verhungern!“ – „Patroklos, bitte, jetzt sei doch nicht gleich so melodramatisch!“ Achilles seufzte entnervt. Dieses gesamte Gespräch strapazierte seine ohnehin nicht große Geduld besonders. „Ich kann ihnen nicht helfen, selbst wenn ich wollte!“ – „Ich fasse es nicht, dass du uns einfach so verrätst …“ Weiter kam er nicht. Achill hatte ihn mit einem festen Schlag zum Schweigen gebracht. „Niemand nennt mich Verräter, hörst du? – Niemand!“ Ein zweites Mal bekam der Jüngere die Hand des Älteren zu spüren. Entsetzte grünblaue Augen sahen zu dem Abgott auf, der sogleich bereute, Gewalt angewandt zu haben. „Verfluchte Verdammnis! Pat, es tut mir leid. Das wollte ich nicht, hörst du, es tut mir leid!“ Doch der Schüler stürzte verängstigt und verstört aus dem Haus. Achilles und dessen Wutanfall im Gedächtnis, rannte er orientierungslos einfach geradeaus. „Ich muss vollkommen von Sinnen sein! Ich habe Pat geschlagen. Ich habe ihm ins Gesicht geschlagen, weil er nicht hören wollte.“ Achilles fuhr sich, entsetzt über sich selbst, durch das blonde Haar. Dann rannte er ihm hinterher. Doch Patroklos war längst verschwunden. „Was habe ich bloß getan? Pat, bitte komm zurück!“

      Der Wind nahm bedrohlich zu. Ihm folgte ein regelrechtes Unwetter. Das wäre schon in einem Wagen nicht ganz ungefährlich gewesen. Eine halbe Stunde später vermutlich hatte er Sturmstärke erreicht. Von den Dächern fielen Ziegel herab, und sämtliche kleinen Bäume wurden entwurzelt. Zusätzlich schüttete es Wassermassen vom Himmel, die Achilles annehmen ließen, das Mittelmeer sei ausgepumpt worden, um es anschließend wieder über seinem Kopf auszuleeren. Die Sintflut war dafür sozusagen nur ein Hilfsausdruck.

      Zur selben Zeit war dem armen Odysseus das Haus in die Luft geflogen. Achilles war natürlich sofort zur Stelle, denn wenn es einmal im Süden ein derartiges Unwetter gab, wurde man bei einem nichtlöschbaren Häuserbrand hellhörig. Das Geheimnis dahinter war eigentlich ganz einfach, um nicht plump zu sagen: Jemand hatte den Leuten aus Ithaka einen Molli durchs Schlafzimmer gejagt. Unter diesen Umständen konnte man von Glück reden, dass das Feuer sich nicht weiter ausgebreitet hatte. Nun stellt sich die Frage, wie es bei einem Wolkenbruch geschehen kann, dass Odysseus‘ Haus in Flammen steht. König Aietes, der Schwager von Minos, war einer der besten Zauberer seiner Zeit, doch bei diesem Anschlag griff er zu subtileren Mitteln. Das Ganze diente vielmehr einer Machtdemonstration, denn vor nicht allzu langer Zeit hatte er einige Erdöl- und Teerspeicher an sich gerissen. Mit diesen Zutaten panschten Minos und Aietes den Molli zusammen. Der Brandcocktail enthielt eine Flamme, die nicht erlischt und besonders heiß ist, das sogenannte Griechische Feuer. Dieses ließ sich nur mit Sand löschen, da es durch die eingesetzten Komponenten in der Lage war, auch auf Wasser zu brennen. Folglich war dies auch eine beliebte Waffe bei Seeschlachten.

      König Aietes war ein glühender Verehrer des Kriegsgottes Ares und des Krieges im Allgemeinen. Er tötete langsam, kalt und effektiv. Jedoch ließ sich sein zunehmender Sadismus auch auf seinen Schwager zurückführen. Entschlossen planten die beiden eine wahre Schreckensherrschaft. Diese begann erst harmlos mit kleinen Überteuerungen, Verbindlichkeiten und Erpressungen. Aietes war ein begnadeter Mörder und hatte sich einen derart schlechten Ruf verschafft, dass sogar Achilles ihn abfällig als Schuft bezeichnete, obgleich er selbst den Drachenfürsten an Grausamkeit noch übertraf. Doch es gab einen entscheidenden Unterschied: Minos und Aietes quälten und töteten aus purer Lust und schlichtem Zweck. Ihnen machte es einen Heidenspaß, ihre Mitmenschen leiden zu sehen. Dabei war es ihnen schrecklich gleichgültig, ob es sich hierbei um Adelige oder Bettler handelte. Achilles hasste nur die Obrigkeit, die sich an Schwächeren vergriff. Die Liste der Menschen, die er definitiv nicht ausstehen konnte, beinhaltete Großkönige, den Klerus, Gerichtshöfe und nicht zuletzt die Trojaner. Abgesehen davon zeigte sich Achill seinen Mitbürgern gegenüber durchaus freundlich und zuvorkommend. Wenn es ans Töten ging, war er geschickt und gnadenlos. Doch Vergnügen hatte der Sohn der Göttin dabei noch nie wirklich verspürt. Anderenfalls hatte er eine grimmige Freude daran, seine Macht und Überlegenheit zu demonstrieren, indem er den erlösenden Todesstoß gelegentlich hinauszögerte. Doch in Gefechten hielt er es meist lieber schnell und schmerzlos. Dem Abgott ging es hauptsächlich um den vermeintlichen Ruhm und die Ehre. Aietes sah das genau umgekehrt. Je mehr Gräueltaten auf dessen Konto eintrafen, desto besser. Diese verdankte er nicht zuletzt seinen Sturmtruppen und seiner Armee von Drachen. Ungeheuer, Dämonen und Ausgeburten aller erdenklichen Arten züchtete er heimlich heran. Die Lindwürmer waren jedoch seine absoluten Lieblinge. Bald streiften die Feinde brandschatzend und mordend durch das Land, bis in den Süden. Dort wohnten Achilles und Odysseus ruhig und friedlich in einem Dreihundertseelendorf. Der ursprüngliche Plan des Drachenfürsten sah einen direkten Angriff von oben vor, sprich Luftkrieg, jedoch waren ihm bei einem kleinen Scharmützel mit den Trojanern seine besten Schöpfungen abgeschossen worden. Als Rache überfiel er einen Transport mit Griechischem Feuer und nutzte diese Waffen auch gleich, um seinen eigenen Landsleuten in den Rücken zu fallen. Dies alles war nur