Der Fuchs. Johanna Breitwieser. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johanna Breitwieser
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783991076360
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sich noch nie im Leben für irgendetwas geschämt. Der Blonde musterte kurz die leicht bekleidete Penelope, dann wandte er sich an ihren Ehemann. „Patroklos ist weg! Ist er bei euch gewesen?“ Achill wirkte zornig und etwas frustriert. „Nein, brauchst du ihn für etwas Besonders?“, flüsterte Penny. „Brauchen?“ Achill wiederholte dieses Wort, als kenne er dessen Bedeutung nicht. „Nein, ich nicht, aber es ist doch immer gut zu wissen, wo die Verwandtschaft sich rumtreibt, ob man sie braucht oder nicht.“ Diese Anmerkung erschien logisch. Odysseus gab resigniert die Hoffnung auf eine angenehme Nacht auf, denn ihm dämmerte, dass Achill ihn auffordern würde, nach Patroklos zu suchen. Die Sorgen konnte der Blondschopf nicht ganz unterdrücken, dafür lag ihm zu viel an dem Kleinen. Dieser Tatsache war sich auch Odysseus bewusst. Er küsste seine Frau zum Abschied und versprach, bald wieder zurück zu sein. Penelope ordnete ihr Gewand und begleitete ihren Mann noch zur Haustüre. Und schon war er mit Achilles auf der Suche nach dem jungen Burschen.

      Der Pelide fegte mit seinem achtspännigen Kampfwagen durch die Landschaft. Odysseus war mit seinem Zweispänner weit zurückgeblieben. Missbilligend starrte Achill ihn an. „Sag mal, Listenreicher, was ist mit deinen Pferden los, die werden ja von jeder Schnecke überholt. Sind die etwa auch aus Holz?“ Ein Blick genügte, und Achilles stellte den Spott sofort wieder ein. „Komm, lass uns weitersuchen, bevor die Dunkelheit uns überrollt.“ Es folgte nur ein bestätigendes Kopfnicken der Gegenseite.

      Doch es sollte sich als nahezu unmöglich erweisen, Pat zu finden. Der Mond zeichnete sich voll und rund am Horizont ab, als Achilles seine Wut, die aber auch nur Verzweiflung sein konnte, laut hinausschrie. Er brüllte mindestens acht Minuten lang so laut, dass ein Rabe tot vom Himmel fiel. Odysseus hielt sich vor Schreck die Ohren zu.

      Ohnmächtig, die Suche weiterzuführen, blieb Achill einfach vor seinem Wagen sitzen. Vor Wut über sein Versagen traten ihm Tränen in die Augen. „Pat, mein Kleiner, wo bist du bloß?“ Schließlich fasste er einen bitterbösen Entschluss. „Ich schwöre, wer auch immer für dein Verschwinden verantwortlich ist, ich werde ihn finden und ihm dann seine Knochen bei lebendigem Leib einzeln herausreißen, bis er langsam daran krepiert!“ Bedrohlich flackerten Achills eisblaue Augen. „Niemand vergreift sich straflos an meinem kleinen Pat.“ Odysseus einfach ignorierend stand Achill auf, packte sein Schwert und verschwand wortlos im Dunkeln. Den armen Odysseus ließ er frierend alleine zurück. Es schien ihm zutiefst absurd, dem Abgott weiter zu folgen. Dieser war schon längst außer Reichweite. Odysseus kam es klüger vor, wieder nach Hause zu fahren. Er schirrte die Pferde an.

      Penelope schlief bereits tief und fest in ihrem Bett. Odysseus ließ sich entkräftet neben sie fallen. Die Wärme seiner Frau beruhigte seine wirren Gedanken, die ziellos durch seinen Kopf geisterten. Ihre Hand legte sich auf seine Brust. Müde lächelte er, als er ein leises Stöhnen vernahm. Seine Finger glitten ihre schlanken Beine hinauf und zeichneten dabei jede Rundung und jede Kurve nach. Zufrieden entspannte sich sein Körper endlich. Doch Schlaf sollte keiner kommen in dieser Nacht.

      Um Schlag drei Uhr nachts flog ein schwerer Gegenstand durch das Fenster und explodierte auf dem Boden des Zimmers. Sofort ging die gesamte Einrichtung in Flammen auf. Überall war Feuer. Begierig fraß es sich die Möbel und Textilien entlang. Das Erste, was Odysseus vernahm, waren die Schreie seiner Frau. „Es brennt! Es brennt, Odysseus! Unser Haus brennt ab!“ Er hatte nur einen Gedanken. – Raus hier. Sofort!

      Penelope lief nur mit einem Schuh an den schmalen Füßen los. Telemachos und der Hund waren bereits aus dem Haus gestürmt, sobald sie die Explosion vernommen hatten. Der Sohn des Hauses war in der Küche eingeschlafen, als er sich vor Hunger über die alten eingelegten Rüben hergemacht hatte. Wildes Bellen und Jaulen hatten ihn rechtzeitig geweckt. Der Hund witterte sofort die Gefahr. So waren nur noch Odysseus und Penelope im Gebäude, das jeden Moment einzustürzen drohte. Die Treppe ins Untergeschoß war weggebrochen. Zu allem Überfluss fielen donnernd brennende Balken vom Dach hinab. Dadurch wurde Odysseus von seiner Frau getrennt, obgleich er ihre Hand fest umschlungen hatte. Sie stolperte. Ohne es zu wollen, ließ sie seine Hand los. Im nächsten Moment versperrten Flammen und Geröll den Weg. Odysseus konnte nur noch ihre erstickten Hilferufe hören. „Penne, Penne, bitte … sag doch was, Penelope! – Penelope antworte mir, bitte!“ Er merkte, wie der Rauch ihn im Hals kratzte. Hustend und keuchend brach er zusammen. Neben ihm loderte das Feuer heiß und vernichtend weiter. Er schloss verzweifelt die Augen. Das wäre wohl das Ende der Eheleute aus Ithaka gewesen, wenn nicht Achilles zurückgekommen wäre. Nachdem dieser festgestellt hatte, dass ihm niemand mehr folgte und ihn bei seiner Suche unterstützte, brach er sie schweren Herzens ab. Nur eine halbe Stunde trennte ihn von Odysseus‘ Haus. Jedoch legte er sich nicht schlafen, sondern ging ratlos und fluchend auf seinem Balkon auf und ab. Verwünschungen ausstoßend trabte er in seinen kleinen Garten mit den netten Bäumen und schönen Hecken. Da zog die hellgelbe, grelle Feuersbrunst die Aufmerksamkeit des Abgottes auf sich. Es tat schon fast weh, sie anzusehen, eine reine Qual für das menschliche Auge. Achilles, der schon immer mehr ein Mann der Tat als des Kopfes war, stürzte sich ohne weiter nachzudenken geradewegs in das brennende Haus, während Telemachos mit dem Hund verängstigt und verwirrt auf der Straße saß. Achilles packte zuerst die am Boden liegende Penelope und zog Odysseus dann mit sich. Noch nie war er selbst so froh darüber gewesen, unverwundbar zu sein. Pallas Athena sei Dank waren sie alle gerettet.

      Kaum waren sie aus dem brennenden Haus entkommen, brach Penelope zusammen. Bewusstlos lag sie auf dem Weg. Odysseus übergab sich hustend neben ihr. Als er aufsah, hätte er lieber nicht gesehen, was da vor ihm saß. Ein fetter und hässlicher Drache hockte vor ihm. Odysseus kniete zwischen Schutt und Asche, und über ihm thronten zwei finstere wie bedrohliche Gestalten. Ein heiseres Lachen ertönte. Es klang, als würden Nägel über eine Säge kratzen. „Der große Odysseus, sieh an, sieh an! Der schlauste aller Griechen. Ich möchte sehr hoffen, dass dir unsere kleine Inszenierung hier zugesagt hat.“ Eine Schwertklinge legte sich unter sein Kinn und zwang so seinen Blick nach oben. Vor ihm stand ein Mann, groß gewachsen und mit eingefallenen Augen. Sein schwarzes Haar wurde von einem prächtig verzierten Helm verdeckt. Der Federbusch wie auch sein Umhang waren tiefschwarz. Ein wenig glich er mit diesem Aussehen einem riesigen bösartigen Raubvogel. Geringschätzig musterte er den König von Ithaka, als wäre dieser etwas sehr Ekelhaftes. Achilles zog seinerseits sofort sein Schwert, sowie er bemerkte, dass seine Freunde in Schwierigkeiten steckten. „Na, na, das willst du nicht wirklich. Ich wünsche keine faulen Tricks von euch Bauerngesindel!“

      Wütend sah Achill, dass die beiden Fremden sich den jungen Telemachos gekrallt hatten. „Die Waffen weg, oder ich schlitze dem Jungchen hier langsam die Kehle auf!“ Um dem Gesagten noch Nachdruck zu verleihen, schnitt sich ein Messer langsam in die Halsbeuge des Jünglings. „Wartet, was wollt ihr von mir?“ Odysseus hatte trotz seines Entsetzens seine Sprache wiedergefunden. „Ich war ein Narr, jemals eine hohe Meinung über deinen Verstand zu haben, Bastard. Ich will mein Geld, und du wirst es mir bringen, ob du möchtest oder nicht!“ Nun schaltete sich Achilles wieder ein. „Das ist lächerlich. Wir lassen uns doch nicht einfach erpressen!“ Aber weder der Fremde noch die Leute aus Ithaka schienen ihn zu hören. Es war, als ob er gegen eine Wand redete, obgleich er nur drei Meter entfernt stand. „Aber ich habe überhaupt kein Geld!“, rief Odysseus verzweifelt aus. „Spar dir deine dreckigen Lügen und zahle gefälligst!“ Der Mann holte aus und schlug ihm mit dem Heft des Schwertes ins Gesicht. Der Listenreiche spürte zuerst das Blut spritzen, dann hörte er, wie sein Nasenrücken brach. Es war kein besonders schönes Geräusch. „Bis Freitag gebe ich dir Zeit, ansonsten würde es mich durchaus freuen, der Beisetzung deines Sohnes und deiner schönen Frau beizuwohnen.“ Daraufhin drehte sich der Mann um und schwang sich elegant auf den Rücken des Lindwurms. „Und um zu gewährleisten, dass ihr keine Regeln brecht, hast du wohl auch nichts dagegen, wenn ich Telemachos hier umquartiere. Abgesehen davon hat ein Tapetenwechsel noch nie jemandem geschadet. Man sieht sich!“ Damit flog das Ungeheuer auf mächtigen Schwingen mit den Dreien davon. „Wartet, König … Aietes!“, zischte Odysseus aus, dessen Stimme unwillkürlich in ein Decrescendo übergegangen war. Penelope klammerte sich schmerzhaft in die Schulter ihres Gatten. „Was hast du getan? Was hast du nur getan?“ Tränen rannen ihre schönen Wangen hinunter. Weinend lehnte sie sich an die Brust von Odysseus. Dieser saß immer noch, wie vom Blitz getroffen, gänzlich erstarrt am Boden. „Sag doch was, bitte! Wieso sagst