Der Fuchs. Johanna Breitwieser. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johanna Breitwieser
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783991076360
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erleichtert. Offenbar war sein Cousin gekommen, um ihn zu retten. Ansonsten fiel ihm niemand ein, der todesmutig vor einen feuerspeienden Drachen sprang, um ihn zu schützen. Umso größer war die Überraschung danach. Es war nicht Achilles. Aug in Aug stand ihm da der Anführer der Trojaner gegenüber. Dieser hatte seinen Schild vor sich und Pat geworfen und presste den Kleineren fest an sich, als der Feuersturm über sie hinwegfegte. „Patroklos?“ Seine schönen braunen Augen musterten ihn ernst und finster. Pat konnte sich vor Schreck nicht rühren. Eine weitere Welle aus Flammen schlug über ihnen zusammen. Die Hitze war fast unerträglich. Doch der eiserne Schild hielt.

      Hektor lockerte seinen Griff um die Arme des Griechen ein wenig. Dann war es vorbei. Aeneas, Romulus und Remus waren ihnen zu Hilfe geeilt. In dem ganzen Tumult war Telemachos, obgleich er gefesselt war, vom Rücken des Drachen gesprungen. Der Lindwurm hätte womöglich jeden auf dem gesamten Landstrich geröstet, wären die Trojaner nicht so gut bewaffnet gewesen. Feige machten sich die Feinde aus dem Staub, nachdem ihrer Geisel die Flucht gelungen war. Denn auch das Flugwesen war am Flügel verletzt worden, und so blies Aietes den Angriff kurzerhand ab und flüchtete. Kaum waren sie verschwunden, lief Patroklos zu dem Griechen. Dieser machte einen wahrhaft erbärmlichen Eindruck. Als er dessen Fesseln löste, zuckte dieser von Schmerz erfüllt zurück. „Was ist denn? Ich bin’s doch, Pat, dein bester Freund!“ Im Innern fragte er sich, was diese Scheusale ihm wohl angetan hatten. Doch darauf gab es keine Antwort. Hektor musterte die zwei sichtlich gepeinigten Jünglinge. Große Güte, sollte man in diesem Alter nicht hinter Mädchen her sein und feiern, anstatt in aller Frühe von Monstern durch die Gegend gescheucht zu werden? „Das allerdings würde mich auch interessieren“, meinte er. „Das geht euch Trojaner einen Dreck an!“, zischte Patroklos, worauf ihn Romulus wütend anfuhr. „Dir ist wohl entfallen, dass wir euch gerade eure jämmerliche Existenz gerettet haben, undankbares und freches Volk!“ Aber Hektor brachte ihn mit einer Bewegung zum Schweigen. „Wie ich sehe, hat der gute Achilles nicht gerade viel Zeit investiert, wo es nötig gewesen wäre. Doch wie sollte jemand Anstand lehren, wenn er selbst kaum einen solchen besitzt. Aber zum Beweis, dass wenigstens wir die Grundlagen einer respektablen Erziehung genossen haben, will ich dir, Patroklos, die Unfreundlichkeit erst mal nachsehen. Vor allem da ihr beide sowieso kaum in der Lage seid, Bedingungen oder Forderungen zu stellen. Aber vergreife dich noch einmal im Ton, und ich schwöre, dass es dir schnell leidtun wird.“ Seine Worte waren voller gefährlicher Höflichkeit. Gelassen packte er sich die zwei Burschen und zerrte sie auf die Beine, um sie grob vor sich her zu stoßen. „Es gibt zwei Möglichkeiten, entweder ihr kommt freiwillig als Gäste mit uns und gebt mir alle relevanten Informationen, oder ihr wehrt euch, was nebenbei bemerkt ziemlich töricht und nutzlos wäre, und wir nehmen euch als Gefangene mit. Glaube mir, wir haben einen geeigneten Ort für Plagegeister. Es ist deine Entscheidung, Patroklos, aber sei dir sicher, dass dein kleiner Freund hier es kaum überstehen wird, falls du mich zwingst, Gewalt anzuwenden.“ Die Drohung war durchaus hörbar. Hektor war nah an Pat herangetreten, die Finger unter das Kinn des Angesprochenen gelegt. Sein Blick war forschend und eindringlich. Da meldete sich Telemachos. „Wir nehmen eure Einladung gerne an.“ Er klang heiser und schwach. „Romulus! Remus! Helft den Besuchern, auf das Schiff zu kommen, und päppelt sie mir etwas auf!“ Der Anführer der Trojaner war ernsthaft geschockt, wie ausgehungert und abgemagert die beiden waren. „Sieben Höllen, die brechen mir ja bis zur Galeere noch zusammen, wenn sie nicht bald etwas zu essen bekommen.“ Vorsichtig, als transportierten sie Glas, trugen sie die Verletzten nun an Bord.

      „Wir müssen weiter nach Patroklos suchen!“, beharrte Achilles. „Jaja, ich weiß, du machst dir große Sorgen um ihn, aber ohne Sinn und Verstand durch die halbe Unterwelt zu irren, wird uns nichts helfen“, beschwichtigte Odysseus ihn. Er selbst war inzwischen fast verrückt vor Kummer um seinen Filius. „Wir müssen systematisch und vor allem logisch an die Sache rangehen. Soweit wir wissen, hat Minos es nur auf unser Geld abgesehen, deshalb werden sie, jedenfalls bis zum Fälligkeitstag, meinem Telemachos nichts tun. Sie sind auf einem Drachen unterwegs, und so etwas hinterlässt Spuren. Die dürften sich nicht allzu schwer verfolgen lassen, und was Patroklos betrifft, so glaube ich, dass er halbwegs in Sicherheit ist. Aietes und Minos wissen nicht, dass er verschwunden ist, darum werden sie wohl kaum Energie vergeuden, um nach ihm zu suchen.“ Das leuchtete selbst Achill ein, dennoch war er noch nicht ganz überzeugt. Den beiden traute er inzwischen alles zu. Und abgesehen von ihnen liefen da draußen allerhand dubiose Gestalten herum, die seinem Schüler etwas tun könnten.

      Odysseus hatte mit seiner ersten Einschätzung recht. Die Zerstörung, die die Feinde hinterlassen hatten, war nicht zu übersehen. Sie waren so markant, deutlich und offensichtlich, dass der König von Ithaka schon zwangsläufig mit einer Falle rechnete. Doch er hatte nicht mit deren Hochmut gerechnet. Nach der Geiselnahme waren Aietes und Minos in einen regelrechten Rausch aus Gewalt gefallen. Willkürlich brannten sie alles nieder, was ihnen an Vegetation und Architektur in die Quere kam. Es war einfach, sich an ihre Fersen zu heften. So trafen Achilles und Odysseus rechtzeitig ein, um Zeugen des Kampfes der Trojaner mit dem Drachen zu werden. Sie sahen, wie Hektor losgesprintet war, um Patroklos zu retten. Wie er seinen Schild zwischen sich, den Griechen und die Flammen warf und ihn so vor dem sicheren Tod bewahrte. Achill musste äußerst widerwillig zugeben, dass er dem Trojaner gegenüber, zumindest in diesem Augenblick, so etwas wie Dankbarkeit empfand.

      Der Abgott war schließlich zu weit entfernt, um seinem Cousin zu Hilfe zu eilen. Doch diese seltene Verbundenheit verflog sogleich ein paar Sekunden später. Wütend sah er, wie Hektor grob seinen geliebten Pat packte und die Trojaner sich anschließend auf ihr Schiff zurückzogen. Odysseus hingegen war sehr erleichtert. Er entspannte sich, denn mit Hektor konnte er im übelsten Fall immer noch verhandeln. Gerade wollte er den Blonden über seine nächsten taktischen Schritte in Kenntnis setzen und ihm eine strategische Lösung unterbreiten, als er merkte, dass dieser verschwunden war. Wutentbrannt stürzte sich der Abgott auf die Trojaner, allseits bereit zum Angriff. Odysseus folgte ihm notgedrungen. Doch es sollte ganz anders kommen. Als der Pelide nur noch etwa dreißig Meter entfernt war, also nahe genug, um seinen Speer nach Hektors Kopf zu werfen, erbebte die Erde. Jetzt wird so mancher sagen, ein Erdbeben sei eine schreckliche Angelegenheit, doch es war schließlich etwas anderes, das alle Anwesenden zu Salzsäulen erstarren ließ. Aeneas schrie als Erster. Das blanke Entsetzen war in sein Gesicht gezeichnet. „Bei Pallas Athena, was ist das?“, sagte Hektor leise, und seine Augen weiteten sich vor Furcht. „Heiliger Phoebus Apollon, was für ein ekelhaftes und abgrundtief hässliches Biest!“, schnaubte Achilles. Vor ihnen türmte sich ein Wesen von der Größe eines Berges auf. Seine Haut war über und über mit schwarzen glänzenden Schuppen und struppigen Federn bedeckt. Ein wenig ähnelten sie dem Federkleid von Krähen. Die Augen strahlten ein intensives gelbes und ungesund wirkendes Licht aus. „Vater, hast du so was schon mal gesehen?“, fragte Telemachos, der sich geschwächt auf dessen Schulter stützte. „Das muss ich tatsächlich verneinen.“ – „Und was sollen wir gegen diese Bestie da tun?“ Langsam näherte sich das Wesen den Sterblichen. „Meist ist der erste Einfall der beste und am naheliegendsten“, meinte Odysseus zitternd. „Und der wäre?“, fragte Aeneas voller Panik. „Lauft!“, schrie der Listenreiche. Das ließ sich keiner von ihnen zweimal sagen. Sie stoben wie Schneeflocken auseinander. Der Bergdämon, denn nichts anders war dieses Wesen, stürzte vorwärts. Trotz der Größe war er unglaublich schnell und wendig, und so schlug er peitschend mit seinem Schwanz nach den Griechen und Trojanern. Er hatte es auf ein bestimmtes Ziel abgesehen. Seine auserwählte Beute war ausgerechnet Odysseus. Krallen schnellten vor. Sie packten den König von Ithaka und rissen ihn mit sich. „Vater!“ Telemachos wollte sogleich hinter ihm her, doch Achilles hielt ihn eisern fest. „Vater, Vater!“, schrie er dennoch wie am Spieß weiter. Messerscharfe Klauen bohrten sich in dessen Bein und Teile der Hüfte. Der Schmerz war betäubend. Dennoch versuchte er, mit einem kleinen Dolch den Fangarm abzuhacken. Doch dieser hielt ihn weiter fest umschlungen. Einmal, zweimal, dreimal stach er zu. Das Metall glitt kratzend an den Schuppen ab. Es war unmöglich, sie zu durchdringen. Fauchend wirbelte der Dämon den sich Windenden hoch, um ihn zu begutachten. Das grelle gelbe Licht lähmte Odysseus augenblicklich. Zufrieden öffnete das Biest sein Maul. Eine glitschige, mit Warzen, Beulen und Pusteln übersäte dicke Zunge schlängelte sich heraus. Sie leckte über den bewusstlosen Mann. Eklig riechender Speichel troff aus dem Maul. Die Zähne waren so scharf wie die eines Hais und klappten gierig auf